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Die Tradition des Salons wiederbeleben

Wie die Familie von Nicolaus v. Löbbecke Freiherr v. Girsewald ihr Gut Mahndorf bei Halberstadt für Kultur, Begegnungen und Kulinarisches öffnet.

Von Stefanie v. Wietersheim

Ein Haus kann Sinnbild und Schicksal einer großen Familie sein, Herausforderung für jede neue Generation, täglicher Kampf – und ab und zu auch Glorie oder tägliche Freude. Viele aristokratische Familien, die nach der Wende 1989 ihre alten Mauern im Osten wieder erworben und restauriert haben, könnten ganze Bücher darüber schreiben. Wollte man der Löbbeck’schen Saga, die in Sachsen-Anhalt spielt, einen Titel geben, so müsste sie lauten: „Vom Glück der Gastfreundschaft“. Denn die sechsköpfige Familie um den 51-jährigen Hausherrn Nicolaus v. Löbbecke Freiherr v. Girsewald und seine fünf Jahre jüngere Ehefrau Yvonne lebt Gastfreundschaft als Rai son d’Être. Mit ihren vier Kindern Ferdinand, Leopold, Benedikt und Amélie zogen sie im Jahr 2014 vom Niederrhein in das renovierungsbedürftige Familiengut Mahndorf bei Halberstadt. Ihr Ziel: die Türen des historischen, innerhalb der Familie zum Verkauf stehenden Familienhauses zu öffnen, neues Leben in ein 100-Seelen-Dorf zu bringen und eine strukturschwache Region zu beleben, die andere – freundlich gesagt – als „abgelegen“ bezeichnen.

Herren­haus

Am Anfang des neuen Lebensprojekts musste der lebhafte Clan zu sechst in einer Zwei-Zimmer-Wohnung des Verwalterhauses wohnen und begann, einen Teil des aus dem 19. Jahrhundert stammenden Herrenhauses für sich herzurichten. Seitdem haben Nicolaus und Yvonne v. Löbbecke – deren Familienzweig seit der Adoption des Vaters Hans-Jost durch dessen kinderlosen Onkel Ernst Frhr. v. Girsewald einen Doppelnamen führt – die Alte Verwaltung, Wirtschaftsanbau, Herrenhaus und Gärtnervilla auf 18 Hektar Park und Hof renoviert. Aus dem totalen Neuanfang in gefühlter Einsamkeit ist ein buntes Leben in dichten, neu gewebten Netzen geworden, in denen Musik und Literatur besonders dicke Schussfäden sind.

Von Bruder zu Bruder

Mahndorf ist in vielfacher Hinsicht eine „Family Affair“, denn Löbbeckes bekamen Mahndorf – seit 1828 im Besitz der Familie – nach der Wende nicht einfach restituiert. Nicolaus’ Bruder, Konstantin v. Löbbecke, Nachkomme der letzten Eigentümerin, übernahm das Gutshaus 1992 von der Gemeinde und pachtete die landwirtschaftlichen Flächen, um eine kontrolliert ökologische Landwirtschaft einzurichten; 1994 übernahm er von der Treuhand die Hofstelle und leistete mit seiner Ehefrau Isa vor Ort echte Pionierarbeit.

Als jedoch die Nachfolge des elterlichen Besitzes in Dorstadt bei Wolfenbüttel anstand, ging er mit seiner Familie dorthin zurück – und verkaufte seinem Bruder Nicolaus das Gut mit 18 Hektar Grundstück in Sachsen-Anhalt. Trotz der Aufbauleistung waren viele Gebäude in einem schlechten Zustand. „Eine Mischung aus 50er- und 70er-Jahre-DDR-Charme, lauter Schrott, und dazu gab es viele Probleme mit Altmietern. Wir mussten das Zusammenleben neu strukturieren, und ich habe wochenlang Gebäude von Müll und Schutt befreit, der immer wieder abgekippt worden war“, erzählt Yvonne, deren Mutter ursprünglich aus Gera, der Vater als Chinese aus Indonesien stammt.

Familie

„Wir haben das Haus innerhalb der Familie gekauft, um unser Lebensideal realisieren zu können“, erklärt der jetzige Hausherr. „Als wir unser altes Leben für Mahndorf aufgegeben haben, hatten wir neben der Restaurierung der Häuser vor allem das Ziel, zu sagen: „Wir sind da, kommt auch her!“, erzählt er. „Wir wollten bewusst als Familie hier das Konzept des Salons im 21. Jahrhundert neu beleben, Menschen zusammenholen zu Konzerten, Vorträgen, literarischen Abenden.“

Da in der strukturarmen Gegend um Halberstadt Jobs rar sind und zur Gutsanlage kein Land mehr gehört, arbeitet Nicolaus zeitweise in Köln, seine Ehefrau kümmert sich unter der Woche um die Arbeiten vor Ort und pendelt zusätzlich zu externen Auftraggebern, die sie als Restauratorin betreut. Zurzeit arbeitet sie in der Halberstädter Klaussynagoge an einer Wanduntersuchung. „Endlich eine Baustelle um die Ecke!“, freut sie sich. Ihrem eigenen Haus kommt zugute, dass sie Absolventin der Fachschule für Restaurierung in Potsdam (Fachgebiet polychrome Architekturoberflächen) war. Sie hat im Neuen Palais in Potsdam gearbeitet. „Ich kann verputzen, streichen, lackieren, kenne mich mit Fachwerk, historischen Materialien und Arbeitsweisen, Secco- und Fresco-Techniken aus. Das ist hier natürlich super“, sagt sie. Sie hat außerdem mit dem Hofschreiner Stefan Müller die Mahndorfer Möbelmanufaktur gegründet und bietet klassische Sideboards, Waschtische, Nacht-kästen und Lampen an, die vor Ort gefertigt und je nach Kundenwunsch mit Farben von Farrow & Ball gefasst werden. „Die eigene Möbelkollektion ist entstanden, weil wir Einrichtungsgegenstände suchten und nicht fanden und gesagt haben: Dann machen wir sie eben selber!“, so die kreative Restauratorin/Designerin.

Als semiprofessionelle Sängerin – sie singt im Opernchor Halberstadt und macht als Liedsängerin Hausmusik – begann die vierfache Mutter schon kurz nach dem Einzug, Hauskonzerte und Lesungen im Herrenhaus zu organisieren. Zu denen kommen nicht nur Freunde, sondern auch Nachbarn aus einem großen Umkreis. Das persönliche Miteinander und Zusammenbringen von Menschen steht im Mittelpunkt der Abende: Die Besucher geben eine freiwillige Spende für die auftretenden Künstler, die Künstler genießen die Atmosphäre des Gartensaals, der mit von der Hausherrin im Chinoiseriestil gemalten Porträts geschmückt ist – und alle treffen sich hinterher in der offenen Küche des Gartensaals zu Gesprächen am Buffet.

Am Anfang war es für viele Halberstädter ungewohnt, in einem privaten Wohnzimmer bei bisher unbekannten Menschen zu Gast zu sein. „Ihr könnt doch nicht Fremde bei euch spionieren lassen“, sagten die Nachbarn. „Zu unserem ersten Dinner-Konzert war es dann rappelvoll, die Leute saßen mit Tränen in den Augen da und sagten: „Dass es so etwas gibt! Dass man mit Menschen zusammensitzt, die man nicht kennt!“, erinnern sich die Gastgeber. Das nächste geplante Großprojekt ist die Restaurierung des Landschaftsparks; ein Maßnahmenkonzept ist in Arbeit und der Förderverein „Freundeskreis Gutspark Mahndorf e. V.“ gegründet. „Wir planen für die kommenden 20 Jahre über rund 15 Hektar, da müssen uns die Mitglieder unterstützen.“

Nachdem 1945 Mahndorf im Zuge der Bodenreform enteignet worden und später ein kleiner Teil der Ackerflächen an ehemalige Landarbeiter aufgeteilt, der größere Teil aber volkseigener Besitz der DDR geblieben war, hatte sich im Landschaftspark Wildwuchs ausgebreitet. Nun sind mit einem Parkprofi Bäume ausgezeichnet worden, jetzt geht es ums Aufräumen und um Neuanpflanzungen von Baumgruppen, Stauden und Büschen. Dazu braucht es ein Wegekonzept sowie die Schaffung von Sichtachsen.

Stallanlage

„Ich empfinde sehr stark, dass wir in Fußstapfen von Menschen treten, die hier stets ein offenes Haus hatten und den Austausch mit Künstlern und spirituellen Menschen gesucht haben“, erzählt die Hausherrin. Dazu gehören immer neue Ideen. Gerade hat die Familie ihr neues Hofcafé in einer alten Scheune eröffnet und liebevoll eingerichtet, unterstützt von EU-Fördermitteln des Programms LEADER. Der 19-jährige Sohn Ferdinand hat dafür mit seinem Vater eine GbR gegründet und fungiert als Juniorchef. Seine jüngeren Geschwister Leopold und Benedikt helfen an den Wochenenden beim Service den Eltern, die selbst in der Küche und an der Theke stehen sowie Yvonnes hausgemachte Kuchen und Quiches verkaufen. „Wir brauchen ja für alle Gebäude mittel- und langfristig eine Nutzung, weil sie sonst verfallen. Allein hier war das Dach des Hofcafés viel maroder, als wir dachten“, seufzt die Restauratorin, die trotz langer Erfahrung in ihrem Beruf vor Überraschungen auch nicht gefeit ist. Mit den erhaltenen öffentlichen Geldern unterstützen Löbbeckes mit ihrem Café das Leben im ländlichen Raum und sind Anlaufstelle für den Tourismus. „Im Vorharz und Harz ist viel Potenzial“, ist Yvonne v. Löbbecke überzeugt, „irgendwann würden wir für das Café gerne einen Pächter finden, denn wir haben ja unter der Woche eigene Jobs und das ist schon etwas anstrengend“, sagt sie lachend. „Wir freuen uns aber erst einmal riesig, dass sich unser Haus als schöner Veranstaltungsort herumspricht und wir die ersten Anfragen für Hochzeiten haben. Wir können bis zu 50 Gäste unterbringen.“

Die Grenzen zu finden zwischen Öffnung ihres historischen Hauses und persönlichen Rückzugsräumen ist ein Prozess, der für die Besitzer immer noch nicht abgeschlossen ist: „Wenn man so ein Projekt wie unseres hat, muss man nicht aus allem eine Kneipe machen, da man selbst ja auch ein eigenes Leben auf seinem privaten Grund und Boden hat, aber ich will nicht überall Schilder aufstellen, auf denen ‚Durchgang verboten‘ steht. Wir möchten das subtiler lösen, aber dieses Miteinander ist für alle Seiten ein Lernprozess.“ Dass Eigensinn, Abenteuerlust und Risikofreude, gepaart mit generationenübergreifendem Familiensinn zum Erfolg führen können – dafür sind die Mahndorfer Löbbeckes das beste Beispiel. „Als wir anfingen, sagten uns Bekannte: ‚Ihr bekommt eure Gebäude hier in der Pampa nie alle vermietet.‘ Aber nun ist alles voll, und wir haben sogar Untermieter aus den USA aufgenommen, die es hier so herrlich finden“, so Hausherrin. Ihr nächstes Projekt: aus der Reithalle eine Konzerthalle für ein Musikfestival machen. „Ich habe so viele Musikerfreunde, die gern größer spielen würden als nur im Gartensaal, und wir bekommen immer mehr Anfragen. In diesem Zusammenhang planen wir gerade, aus einem Speichergebäude ein Gästehaus zu entwickeln. Wäre das nicht toll?“, erzählt sie, und ihre Augen blitzen. „Der Markt in dieser Region ist riesig. Leider fehlt uns hierzu noch ein Investor. Es ist doch ein Geschenk, das, was man liebt, teilen zu können und Wegbereiter für die nächste Generation zu sein.“