Château Canon-la-Gaffelière

Mit grüner Veredelung zum Erfolg: Wein auf Weltreise

Stephan Graf v. Neipperg, aus dem schwäbischen Schwaigern, hat den Weinbau im französischen Bordeaux revolutioniert. Seine Weine zählen zur internationalen Spitzenklasse und werden in die ganze Welt verköstigt und verkauft

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Ausgerechnet am heißesten Tag in diesem heißen Sommer verlassen wir die Atlantikküste, stauen uns nach Bordeaux, schlängeln auf schmalen Straßen entlang sonnendurchglühter Weinberge. Kurz hinter Saint-Émilion streikt dann auch noch das Navi, orientierungslos kurvt mein Mann entlang perfekt gepflegter Weinterrassen. In langen Reihen, wie Soldaten beim Appell, steht Rebe an Rebe. Noch sind die Trauben grün, klein und hart, es ist Ende Juli, Graf Neipperg lässt wachsen – und hat Zeit für Besucher.

Im Château Canonla-Gaffelière ist es erfrischend kühl, Stephan Graf v. Neipperg, dessen Weine von Robert Parker, dem Papst unter den Weinkritikern mit Bestnoten ausgezeichnet wurden, erzählt von seinen allerersten Anfängen und der wichtigsten Weinprobe seines Lebens: Der elegante Aristokrat, trotz Hitze auch heute im dunkelblauen Blazer, war Anfang 20 und studierte in Paris Betriebswirtschaft. Spontan lud er ein paar Freunde ins väterliche Weingut Château Canonla-Gaffelière bei Saint-Émilion ein. Im Weinkeller entkorkten die jungen Herren Flasche für Flasche des hauseigenen Bordeaux, tranken sich tapfer durch viele Jahre, testeten Jahrgang für Jahrgang von 1978 bis 1950. Und mit jedem Schluck wuchs die Erkenntnis: Die Rotweine vor 1964 schmeckten voller, runder, würziger als alles, was danach gekeltert wurde.

Neipperg

Und das hatte seine Gründe:/h3>

In den 70er-Jahren eilten fremde Weinbauingenieure ins Bordeaux, versprachen den Winzern enorme Ernten und überredeten sie zum Einsatz von Herbiziden, Insektiziden und Kunstdünger. Tonnenweise wurde Chemie versprüht. Die Erträge wuchsen, die Qualität aber sank. „Eigentlich logisch“, dachte sich Graf Neipperg schon damals. Seit 800 Jahren betreiben seine Vorfahren Weinbau in Schwaben, da weiß man: „Guter Wein ist nur möglich, wenn er auf lebendigem Boden gedeiht!“

Er erweiterte seine Kenntnisse mit einem Studium an der Weinbauschule in Montpellier und übernahm dann, mit dem Vorsatz, alles anders zu machen, die väterlichen Weingüter im Bordeaux.

Kellergewölbe

Die Erfolge des Vaters

Josef Hubert Graf v. Neipperg, der gerade auf dem Stammsitz der Familie in Schwaigern seinen 100. Geburtstag feiern konnte, hatte in den 70er-Jahren mehrere Weingüter im Bordeaux gekauft. Es war das wohldurchdachte Investment eines Großgrundbesitzers, der den Krieg überlebt, die Bodenreform und die Enteignung des tschechischen Besitzes seiner ersten Frau Maria geb. Gräfin Ledebur-Wicheln erlitten hat und dem Frieden nicht trauen konnte. 20 Jahre lang wurden die Weingüter – Château Canonla-Gaffe-lière (20 Hektar), La Mondotte (4,5 Hektar), Clos de l’Oratoire (10 Hektar) und Château Peyreau (13 Hektar) – von einem „Direktor“ geführt, der seine Arbeit ohne „Weingeist“ und fern vom Zeitgeist erledigte. Es wurde gemacht, was damals alle machten: sprühen, spritzen, düngen mit Kunstdünger, Herbiziden und Insektiziden.

„Was gut war, kann wieder gut werden“, hoffte der damals 26-Jährige, als er als immerhin Ältester unter den Kleinen und fünftes von acht Kindern die väterlichen Weingüter übernahm. Kurz nach seiner Hochzeit mit Sigweis geb. Freiin v. Stotzingen zog das junge Paar nach Frankreich. Ihr neues Leben begann am 3. Januar 1983 – in einem Arbeiterhäuschen mit Blümchentapete.

Das, in seinen Grundmauern im 18. Jahrhundert erbaute, Château war seit vielen Jahren unbewohnt. Vom Keller aus konnte man in den Sternenhimmel schauen, die Mauern bröckelten, der Dachstuhl schimmelte. Unkonventionell und abenteuerlustig richtete sich das junge Paar in seinem provisorischen Zuhause ein, eroberte als „bunte Salonpapageien“ im Nu die elegant-arrogante Gesellschaft von Bordeaux.

Traditionsbewusst

„Willkommen zurück in der Zukunft!“

Das war Neippergs Devise, mit der er die Wende im Weinbau ankurbelte. Er stoppte den Einsatz aller chemischen Keulen und verteilte Kuhmist auf seinen Weinbergen. Den einheimischen Winzern sträubten sich die Haare unter ihren blauen Baskenmützen. Estil fou? Übersetzt: Ist der Graf verrückt geworden? Und als er dann auch noch schlechte und überschüssige Trauben in Mengen aus den Reben schneiden ließ, wetterte sogar der Pfarrer von der Kanzel: „Diese Verschwendung! Welch Sünde!“. Heute ist die „grüne Veredelung“ gang und gäbe, und die Baskenmützenträger von einst sind längst bekehrt.

Damit einher ging eine betriebliche Umstrukturierung. „Früher“, so erzählt Neipperg, „hatten unsere Familien Verwalter, die sich um alles kümmerten. „Erlaucht“ unterschrieb zwar gern die Bestellzettel, aber die Niederungen des Alltagsgeschäfts ersparte man sich. „Das hat sich geändert. Ich bin Unternehmer, stehe in der ersten Reihe, mein Produkt wird mit meiner Person identifiziert – und mit meiner Familie.“

Ungefähr zwei Jahre brauchte das junge Paar, um sein Arbeiterhäuschen zu herrschaftlicher Eleganz auszubauen. Mit viel Geschmack und Farbe renovierten sie das Château, verwandelten den Kornspeicher in einen großen Salon, durch den später ihre fünf Kinder mit Rädchen und Roller rasen konnten. Darunter reifen in dicken Fässern die „Kronjuwelen“ des Hauses, der jeweils letzte Jahrgang des Château Canonla-Gaffelière. Familienleben und Weinanbau sind eng miteinander verwoben. Im großen Esszimmer mit Blick in den gepflegten Park versammelt sich nicht nur die Großfamilie, hier finden auch festliche Diners für wichtige Kunden statt. Im Sommer empfangen Graf und Gräfin Neipperg oft mittags und abends Gäste, dazwischen noch Besuchergruppen. Die beiden sind ein gutes Team, das sich seine Aufgaben mal teilt, mal aufteilt.

Farbenmeer unter dem Dach

Sigweis Gräfin Neipperg ist für alles Schöne zuständig. Sie entwirft Landschaftsbilder, nach denen die zu den Weingütern gehörenden Parks und Gärten bepflanzt werden, organisiert die Renovierung und Nutzung der zahlreichen Gebäude. Gerade rechtzeitig vor der Taufe ihres ersten Enkelkinds, Théodore, Sohn ihrer Tochter Caroline, verheiratet mit dem Belgier Philippe Comte de Limburg-Stirum, wurde die Hauskapelle fertig. Durch die von Gräfin Neipperg selbst entworfenen Glasfenster bricht sich das Licht in schillernd bunten Farben. Kunst und Malerei sind ihr Ausgleich.

Wie ein buntes Band durchziehen ihre Ölgemälde das Haus, stapeln sich die Kunstwerke in ihrem Atelier unterm Dach. Die meisten allerdings sind längst ausgezogen und verkauft. Ihre Ausstellungen werden von Kunstliebhabern mit großem Interesse besucht, auf dem Kunstmarkt hat sich Sigweis Gräfin Neipperg längst einen guten Namen „ermalt“.

Während im Haus, Hof und erst recht im viel besuchten Weinkeller auf peinlichste Ordnung geachtet wird, herrscht in ihrem Studio kreatives Chaos. Zwischen Farbtiegeln und Paletten lässt Gräfin Neipperg ihrer Fantasie freien Lauf, spielt mit Farben, Formen, Licht und Schatten. Man möchte länger bleiben, tief eintauchen in ihre Farbenmeere, die Geschichten und Gefühle bergen. Aber wir wollen alles sehen, und vor allem den Keller.

Romantik

Schatzkammer im Keller

In Barrique-Fässern reifen die beiden letzten Jahrgänge, 2016 und 2017, des Château Canonla-Gaffelière. Nebenan werden die abgefüllten Flaschen, Jahrgang 2015, mit dem feudalen Etikett, das Neipperg’sche Wappen in erhabenem Stahlstich, mittels modernster Computertechnik einzeln gekennzeichnet, registriert und sorgfältig in Holzkisten verpackt. Palettenweise werden die edlen Tropfen in alle Welt versandt. Graf Neipperg war einer der ersten Bordeaux-Winzer, der seine Weine im Ausland vorstellte. Selbst und höchstpersönlich!

„Es ist gut zu wissen, wo man herkommt, aber der Blick in den Rückspiegel allein genügt nicht, man muss auch durch die Windschutzscheibe, in die Zukunft, schauen“, sagt Neipperg, der unter seinesgleichen erfolgreiche Unternehmer oft vermisst.

Rund zweieinhalb Monate im Jahr ist der Winzer auf Reisen. Mit seinem Blick durch die Windschutzscheibe und gutem Gespür für kommende Märkte hat er ein weltweites Vertriebsnetz auf gebaut, verkauft seinen Rotwein nach Asien, Nord- und Südamerika und in den Osten.

Die Nachfrage übersteigt das Angebot. Seine Weine kann man nicht einfach mal so kaufen. Wenn sie im Frühjahr zur Verkostung nach Bordeaux auf den Markt kommen, werden die Händler nervös und überbieten sich gegenseitig. In weniger als einer Stunde ist die gesamte Jahresproduktion verkauft.

Genießerisch blickt der „Weinkönig“ in unsere staunenden Gesichter und schickt gleich hinterher: „Der Erfolg kommt nicht von selbst. Wir gehören nicht zu denen, die in einem früheren Leben reüssiert haben und dann mit viel Geld ins Bordeaux kamen. Ich musste immer mit Banken zusammenarbeiten und gut wirtschaften.“

Es ist ihm gelungen. Graf Neipperg bewirtschaftet nicht nur fünf Weingüter und ist an zwei weiteren Weingütern im Bordeaux beteiligt. Seit ein paar Jahren wachsen seine Reben auch auf den thrakischen Hügeln bei Plovdiv in Bulgarien, engagiert er sich mit Ingrid v. Essen in Südafrika auf dem Weingut „Capaia“.

Ganz benommen von so vielen Aktivitäten torkeln wir ans Tageslicht. Unwillkürlich blickt der Winzer zum Himmel. „Hält das Wetter? Jetzt bloß kein Sturm!“ Der Countdown bis zur Lese 2018 läuft … Alles ist gut. Noch immer strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Stephan Graf v. Neipperg und seine Frau Sigweis freuen sich. Die langen heißen Sommertage versprechen einen Spitzenwein.