Schloss Hohenstadt

Plötzlich Schlossherrin

Seit fast 500 Jahren ist Schloss Hohenstadt mit Wallfahrtskirche und einem der ältesten Heckengärten Europas ohne Unterbrechung im Besitz der Grafen Adelmann – und jede Generation stand vor neuen Herausforderungen. Für Anne Gräfin Adelmann v. Adelmannsfelden sind sie besonders groß. Die Amerikanerin und ihr Mann Reinhard Graf Adelmann v. Adelmannsfelden engagieren sich vorbildlich für den Erhalt des Anwesens in der kleinen Ortschaft Hohenstadt.

Dorothee Gräfin v. Walderdorff (Text) und Sibylle v. Loewenich (Foto) waren dort.

Im Sommer ist alles anders. Die Rosen und die Rabatten blühen, und der Terminkalender von Anne Gräfi n Adelmann platzt aus allen Nähten: Kunstausstellung im Heckengarten, Hochzeiten – kirchlich, standesamtlich oder freikirchlich –, festliche Diners im Rittersaal, Kaffeetafeln im „Lusthaus“ oder Party im „Fruchtkasten“. Dazwischen immer wieder Führungen durch das herrschaftliche Treppenhaus des um 1760 von Joseph Anselm Graf Adelmann ausgebauten Barockschlosses.

Musikzimmer

Im Sommer sind die Schlossherren von früh bis spät im Einsatz, schneiden Hecken, decken ein, räumen ab, begrüßen und verabschieden. Spätestens mit den ersten Nachtfrösten aber ebbt der Ansturm ab. Das Schloss versinkt in seinen nur sporadisch unterbrochenen Winterschlaf und gehört jetzt nur noch seinen Bewohnern. Das sind Nikolaus Graf Adelmann und seine Frau Brigitte geb. Tischer, sein Sohn und Erbe Reinhard Graf Adelmann mit seiner Frau Anne geb. Swan, ihren beiden Töchtern Philomena (geb. 2014) und der knapp zweijährigen Victoria sowie Reinhards Onkel Jörg Graf Adelmann. „Das Haus hat 65 Zimmer, da ist genug Platz für alle“, erklärt Anne Gräfin Adelmann an einem neblig-trüben Winternachmittag und führt uns in den Rittersaal über die eindrucksvolle freischwebende Treppe, die man nur noch einmal in der Würzburger Residenz findet. Es riecht nach Bohnerwachs und kaltem Stein. Nur trübe fällt das Licht durch die hohen Sprossenfenster auf die langen Tafeln. An den Wänden hängen alte Adelmänner mit Allongeperücken, Josef Anselm Adelmann in Ritterrüstung. Ein hölzerner Hirschkopf blickt in die Runde, daneben barocke Spiegel, aristokratische Eleganz. Hoch über uns wölbt sich die gewaltige Kuppeldecke mit dem Deckengemälde des italienischen Künstlers Giosuè Scotti aus dem Jahr 1765. Barbusige Amazonen reiten auf grauen Wolkenbergen, uns fröstelt ein bisschen inmitten kalter Pracht.

Drinnen, in der Beletage, wo sich Salon an Salon reiht, verbreitet ein Gasofen wohlige Wärme. Hier ist alles so geblieben, wie es immer war: Barockkommoden, elegante weiß-goldene Stühle, Vitrinen gefüllt mit Schätzen, Klassiker in den Regalen, Jagdszenen als „Supraporte“. Im „Porzellan-Zimmer“, das bis zur Decke mit Fliesen aus Beinglas „tapeziert“ ist, steht ein Blumengebinde aus feinstem Nymphenburger Porzellan auf dem Tisch. „Davon gibt es drei, mit Frühlings-, Sommer- und Winterblumen“, erzählt Reinhard Graf Adelmann. „Ich war oft dabei, wenn meine Großmutter, Ferna Gräfin Adelmann, die kunstvollen Gestecke wechselte und so den Beginn einer neuen Jahreszeit zelebrierte.“

Rittersaal

Von Hohenstadt nach Amerika

Reinhard Graf Adelmann verbrachte die ersten prägenden Jahre seiner Kindheit auf Schloss Hohenstadt. Später zog er mit seinen Eltern und älteren Geschwistern – Tobias, Patricia und Magdalena – nach Ellwangen und von dort in die USA, als sein Vater als Oberstleutnant an das NATO-Hauptquartier in Norfolk, Virginia an der amerikanischen Ostküste versetzt wurde.

Nach seinem Highschool-Abschluss studierte Reinhard an der nahe gelegenen Old Dominion University. Der junge Student war 19 Jahre alt, als er ihr – oder besser gesagt – sie ihm begegnete. Aus einer Zufallsbegegnung auf dem Campus der Universität entwickelte sich eine Liebesgeschichte, die seine Zukunft prägen und das Schicksal der 21-jährigen BWL-Studentin Anne Swan aus der amerikanischen Kleinstadt Virginia Beach in für sie bis dahin unvorstellbare Bahnen lenkte. In fast akzentfreiem Deutsch erzählt die Amerikanerin, was ihr bis heute wie ein Wunder erscheint: „Reinhard war von einer Schar junger Mädchen umgeben, aber ich spürte sofort: Das ist der Mann meiner Träume … Dennoch dauerte es Monate, bis wir ins Gespräch kamen und endlich miteinander ausgingen. Je besser wir uns kennenlernten, desto häufiger erzählte mir Reinhard von seiner Familie und vor allem vom Schloss. Ich spürte bald, wie wichtig es ihm war. Aber ich konnte mir kein Bild davon machen. Damals gab es noch kein Internet, kein Google Earth, und Reinhard zeigte mir keine Fotos – weil ich nie danach verlangte. Seine Vergangenheit, der andere Kontinent waren unendlich weit weg für mich. Ein halbes Jahr später ging Reinhard zurück nach Deutschland, um in Fürstenfeldbruck seinen Wehrdienst abzuleisten. Wir telefonierten, stundenlang, die Sehnsucht wuchs. Kurz vor Weihnachten nahm ich all meine Ersparnisse und buchte einen Flug nach Stuttgart. Es war das größte Abenteuer meines Lebens. Ich war 21, mitten im Studium, hatte wenig Geld und kannte nicht viel mehr als unsere Kleinstadt. Mein Vater ist Mechaniker, zum Reisen fehlten uns immer die Mittel.

Rokokosalon

Angespannt saß ich im Flieger auf dem Weg zu meiner großen Liebe. Um mich abzulenken, schaute ich mir den Film ,Plötzlich Prinzessin‘ an, die ideale Einstimmung auf das, was mich erwartet – dachte ich! Ich begann zu träumen, sah mich von Lakaien umgeben, neue Kleider wurden vor mir ausgebreitet, eine Gouvernante brachte mir Handkuss und Hofknicks bei …

Als wir später jedoch im Schlosshof parkten, verwandelte sich das Märchenschloss meiner Träume jäh in einen geradezu furchteinflößenden gewaltigen Bau mit bröckelnder Fassade. Ein Schock, der sich allerdings angesichts der prachtvollen Innenräume und des herzlichen Empfangs von Reinhards Familie bald legte. Aber ,Plötzlich Prinzessin‘ war ich nicht. Eher die Fremde, die kein deutsches Wort verstand, die Sitten und Gebräuche nicht kannte, mal zu viel, mal zu wenig aß, von Mitleid und Ekel geschüttelt wurde, als Reinhards Schwester einen gerade erlegten Hasen im Schnee ausnahm. Ich stolperte von einem Fettnäpfchen ins nächste. Aber ich spürte, wie sehr Reinhard an seinem Zuhause hängt, dass es diese Familie ohne Hohenstadt so nicht geben würde, und Hohenstadt nicht ohne diese Familie.

Nach seinem Wehrdienst kam Reinhard zu mir zurück in die USA, er fand Arbeit bei der amerikanischen Niederlassung der Firma Stihl, ich beendete mein Studium. Als ‚working couple‘ kauften wir uns ein Haus, heirateten am Strand und feierten unsere Hochzeit in Amerika und Weihnachten 2003 auch in Hohenstadt. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir immer in Amerika leben würden. Dann aber, sieben Jahre später, wir saßen gerade gemütlich am Pool, fragte mich Reinhard fast nebenbei, ob ich mir denn nicht auch ein Leben in Deutschland vorstellen könnte. Das war die Schicksalsfrage. Ich wusste, Reinhards Herz hängt an Hohenstadt. Da konnte und wollte ich nicht Nein sagen. Danach ging alles sehr schnell. Wir verkauften unser Haus und kamen im September 2010 in Hohenstadt an.

Reinhard war glücklich – ich aber fiel in ein tiefes Loch. Ich vermisste meine Familie, meine Freunde, mein Leben, verstand kein Deutsch und konnte deshalb nicht arbeiten. Oft fühlte ich mich unter Druck, weil ich merkte, dass der kritische Blick meiner Schwiegereltern auf uns lastete. Schaffen die beiden das? Sind sie geeignet, Hohenstadt zu erhalten, die Familientradition fortzuführen? Zunehmend offen wurden diese Fragen diskutiert. Ich versuchte zu beweisen, dass ich zwar keine Millionen, wohl aber viel Herzblut mitgebracht hatte. So schnell wie möglich lernte ich Deutsch, fand über Umwege einen guten Job als Unternehmensberaterin, bewährte mich als Schwiegertochter und Schwägerin.

2013 übergab mein Schwiegervater den Besitz an Reinhard. Plötzlich waren wir die Schlossherren, hatten die Verantwortung. Zunächst einmal machten wir alles so, wie es die Schwiegereltern schon immer gemacht hatten. Die Kunstgewerbeausstellung im Frühjahr, ein paar Vermietungen zum Freundschaftspreis, hin und wieder eine Führung. Reinhard, der gleich nach seiner Rückkehr wieder bei Stihl angestellt wurde, arbeitete jetzt in zwei Schichten, erst in der Firma, dann im Haus, im Hof und im Büro. Ich war Vollzeit als Unternehmensberaterin beschäftigt. 2014 wurde Philomena geboren. Mit ,baby at home‘ erkannte ich, dass sich vieles ändern muss – und kann. Wir verteilten unsere Aufgaben neu. Reinhard ist weiterhin fest angestellt bei Stihl und kümmert sich in seiner Freizeit um Haus und Hof, ich habe meinen Job aufgegeben, das Büro übernommen und erledige die restlichen Aufgaben. Und das ist nicht wenig! ,Plötzlich Prinzessin‘, das war nur ein sehr kurzer Traum. Wir müssen beide hart arbeiten, um all die Löcher zu stopfen, die es zu stopfen gilt. Ständig versuchen wir, unser Angebot zu erweitern, mussten die Preise anheben. Damit schafft man sich nicht nur Freunde, das bringt auch manche Härte mit sich. Aber es lohnt sich. Mit unserem Einsatz werden wir 2030 ein großes Jubiläum feiern. Hohenstadt ist dann seit 500 Jahren ununterbrochen im Besitz der Grafen Adelmann – und wird es auch danach hoffentlich bleiben.“