Palais Lichtenau

Spätes Heim für eine königliche Mätresse

Das Potsdamer Palais Lichtenau erstrahlt in neuem Glanz – ein Besuch in einem der schönsten Häuser aus der klassizistischen Zeit der preußischen Residenzstadt.

Von Stefanie v. Wietersheim

er Einfluss von – manchmal unstandesgemäßer – Liebe und Leidenschaft auf die Lebensläufe von Herrschern und Politikern ist eine der eher unerforschten Seiten in Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte. Leben und Wirkung von inoffiziellen oder offiziellen Mätressen sind häufig mehr oder minder romanesk beschrieben oder verfilmt worden. So ist es auch mit der jahrzehntelangen Liaison des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) mit der Musikertochter Wilhelmine Enke, die ab 1796 den Titel Gräfin Lichtenau führte und mit dem königlichen Hofkämmerer Johann Friedrich Ritz (1755–1809) eine Scheinehe führte. Als „Die schöne Wilhelmine“ nach dem Roman von Ernst von Salomon mit Anja Kruse und Rainer Hunold in den 1980er-Jahren verfilmt, gehört die Geliebte des Neffen Friedrichs des Großen zum amourösen Anekdotenschatz Preußens und besonders Potsdams. Tatsächlich ist Wilhelmine insofern eine Ausnahmeerscheinung im Reigen der europäischen Mätressen, als zwischen König und Geliebter eine drei Jahrzehnte währende Bindung bestand, nachdem Friedrich Wilhelm II. sie als junges Mädchen entdeckt hatte und sie nach einer von ihm arrangierten Erziehung Freundin, Vertraute und die Mutter seiner sechs unehelichen Kinder wurde.

Wilhelmine Enke

Auch wenn Wilhelmine als eine Art preußische Pompadour galt, die nach dem Tod des Königs wegen Hochverrats verklagt und in Festungshaft gesetzt wurde, war sie auf dem politischen Parkett nicht sehr einflussreich. Für die Entwicklung von Preußens Bauten jedoch und damit auch für die deutsche Kunstgeschichte entwickelte sie sich im Laufe ihres Lebens zu einer entscheidenden Persönlichkeit: Sie beeinflusste den Bereich, den wir heute Interior Designer oder Directeur artistique nennen würden, da sie an einer Schaltstelle des Machtgeflechts um den König als einflussreiche Gestalterin und Mäzenin die Inneneinrichtungen des Schlösschens auf der Pfaueninsel, der Winterkammern in Schloss Charlottenburg und dem Marmorpalais in Potsdam mitbestimmte. Diese Interieurs waren wiederum von Einfluss auf die Gestaltung von Schloss Paretz.

Wilhelmines Einfluss auf die Bauten Preußens am Ende des 18. Jahrhunderts war insofern ein besonderes Moment, da es unter Friedrich Wilhelm II. von 1786 bis 1797 einen veritablen Bauboom in und um Berlin gab; in einer Region, die architektonisch bis dahin überwiegend noch dem Barock und Rokoko verhaftet geblieben war. Mit der Umgestaltung von Charlottenburg, dem Bau des Brandenburger Tors, Bellevue, dem Marmorpalais und dem Neuen Garten in Potsdam änderte sich das, und die neue Art zu bauen und Räume auszuschmücken blieb architektonisch stilbildend auch für die Regentschaft Friedrich Wilhelm IV.

Palais 1927

Ein Kleinod von „Land-Häußchen“

Aber zurück nach Potsdam. Ein architektonisches Schatzkästchen, ein Kleinod von „Land-Häußchen“, das als Prototyp des frühklassizistischen Stadtpalais gilt, ist das für die zur Gräfin Lichtenau aufgestiegene Wilhelmine Enke gebaute, aber nie von ihr bewohnte Palais Lichtenau am Neuen Garten. Das heute von der Arztfamilie Axel und Tanja Fischer als Klinik und überaus charmanter Veranstaltungsort für Konzerte und Lesungen genutzte Haus, das in enger gestalterischer Verbindung zum Schloss auf der Pfaueninsel und dem Marmorpalais steht, trägt die kreative Handschrift von Ritz und Lichtenau: ein vierhändig geschaffenes Meisterwerk aus Stein, Holz, Farbe und Glas. Auch nach der einfühlsamen Restaurierung ist der besondere gestalterische Ton gut zu erkennen und erzählt vom Geschmack der ursprünglichen Hausherrin, deren Palais wie sie selbst eine mehr als bewegte Geschichte hatte – denn es ging in den vergangenen zwei Jahrhunderten durch zahlreiche Hände. Das von außen stattliche, aber dem Zeitgeschmack entsprechend eher schlicht wirkende, gefühlt nach innen gekehrte Palais, dessen volle Pracht sich erst beim Betreten des Gartensaals zeigt, wurde in exponierter Lage in der Nähe des 1787 errichteten Marmorpalais im Neuen Garten, dem Sommersitz des Königs, errichtet. Friedrich Wilhelm II. beauftragte seinen geheimen Oberbaurat Michael Philipp Daniel Boumann mit der Anfertigung der Entwürfe, deren Aufriss- und Grundstruktur sich an der märkischen und oberschlesischen Landbaukunst orientierten. Für die bis heute erhaltene Innenausstattung war vermutlich Carl Gotthard Langhans (1732–1808) verantwortlich, der Schöpfer des Marmorpalais und des Brandenburger Tors. Dass es ein königliches Haus war, erkennt man bis heute im Keller, der aus Rüdersdorfer Kalkstein gebaut ist – wie auch das Stadtschloss.

Die Zusammenarbeit zwischen Architekt, Ehemann/Kämmerer und Wilhelmine muss eng gewesen sein, denn Wilhelmines formaler Ehemann Johann Friedrich Ritz war als königlicher Kämmerer mit Boumann gut bekannt und befreundet, da er über weitreichende Kompetenzen im königlichen Baubetrieb verfügte. Der heutige Eigentümer des Palais, Professor Axel Fischer, der sich jahrelang mit der Geschichte des Hauses befasst hat, erklärt: „Ritz war für den König eine Art Privatsekretär oder persönlicher Referent. Aus den Quellen weiß man, dass er komplett unbestechlich war und deshalb des Königs Vertrauen genoss. Er setzte an den verschiedenen Baustellen meist dieselben Kunsthandwerker ein. Auch Wilhelmine hatte ihre Hände dabei im Spiel, wie dann eben auch im für sie gebauten Palais Lichtenau.“ Dort arbeiteten Künstler, die auch sonst in königlichen Bauten beteiligt waren: die Maler Christian Bernhard Rode, Bartolomeo Verona und Johann Carl Wilhelm Rosenberg und der Bildhauer Johann Christian Angermann. Sie sorgten mit ihrer Arbeit dafür, dass die Einrichtung auf einem sehr hohen Niveau war – bis heute ist.

Schablonenmalerei

En vogue mit „Pariser Grün“

Wer das eingeschossige Gebäude über dem Souterrain und unter dem ausgebauten Mansardendach von der Gartenseite her betritt, fühlt sich vor allem im prachtvollen Gartensaal, einem typischen Empfangsraum mit seinen illusionistischen Ausmalungen, zwei Jahrhunderte zurückversetzt. „Man sieht hier eine lupenreine Wilhelmine-Farbgebung in Pariser Grün, das zu ihrer Zeit sehr en vogue war, der Festsaal ist so gut wie im Originalzustand, es wurde nur etwas gereinigt“, erklärt Professor Axel Fischer. Vertäfelung und Malerei in lichten Farben geben dem Raum bei aller Pracht eine große Leichtigkeit, bacchantische Motive spielen auf die Weingebiete an, die das Palais ursprünglich umgaben. Schablonenmalereien an den Wänden zeigen Architektur- und Landschaftsmotive der Pfaueninsel und schaffen eine inhaltliche Verbindung der beiden Orte. Auf der Straßenseite schließen sich als Enfilade Damenzimmer, Rosenholzzimmer und ein kleines Kabinett an. Diese haben mit wandhohen Täfelungen und Deckenmalereien einen eher dunklen und intimen Charakter. Auch das zur Gartenseite gelegene Ovale Kabinett mit Stuckmarmornischen und Deckenkassettierung hat eine eher private Atmosphäre. Dass dieses für die königliche Mätresse erbaute Haus, das ganz nach ihrem Geschmack ausgestattet war, niemals von ihr bewohnt wurde und auch der König selbst an ihm kaum noch Freude hatte, ist Ironie des Schicksals: Nach der Grundsteinlegung im Juni 1796 wurde nach kurzer Bauzeit das Palais am Geburtstag des Königs, dem 25. September 1797, feierlich eingeweiht. Wilhelmine war an diesem Tag zwar in Potsdam, nahm aber nicht an der Einweihungsfeier teil. Vermutlich weilte sie zu dieser Zeit bis zum Tod des Königs in den Holländisches Etablissements neben dem Marmorpalais, um sich um den kranken Monarchen zu kümmern. Wenige Wochen später starb der König. Und wie so oft bei Häusern, die durch die politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts gingen, wurde das Palais Lichtenau immer wieder an neue Besitzer verkauft. Im Jahr 1801 erwarb Gräfi n Freda Antoinette v. Arnim-Boitzenburg das Palais, 1823 wurde es an Kriegsminister Graf Karl Georg Albrecht v. Hacke verkauft. Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb es Gutsbesitzer Friedrich Rhode, sieben Jahre später übernahm es Oberbürgermeister Kurt Voßberg. 1927 kaufte Lucie v. Schierstedt das Palais, deren Sohn Ernst v. Lüttwitz es 1932 erbte.

Maison de famille

Dessen Tochter Margaretha wuchs von 1933 bis 1944 im Palais Lichtenau auf und hat bis heute gute Erinnerungen an das Zuhause ihrer Kindertage. Ihr persönlicher Palais-Lichtenau-Kreis schloss sich für sie, als sie im Gartensaal den 60. Geburtstag ihres Schwiegersohns Kolja v. Bismarck, mit Tochter Laura verheiratet, feiern konnte. Auch Rochus v. Lüttwitz, der Enkel Lucies v. Schierstedts, hat eindrückliche Erinnerungen an das Haus als „maison de famille“. Die Zeit der DDR überlebte das Haus der königlichen Mätresse mehr oder weniger gut: 1945 wurde es durch die sowjetische Armee beschlagnahmt und dort ein „Sonderbaubüro“ eingerichtet. „Die Familie v. Lüttwitz wurde jedoch nicht enteignet, weil der Bruder der Großmutter in der Schweiz eine Hypothek aufgenommen hatte und die Verwaltung der DDR diesen internationalen Finanzbereich nicht berühren wollte“, erklärt Professor Thomas Rogge, Ehemann von Margaretha v. Lüttwitz. Staatliche Organisationen wurden Mieter, die Einnahmen gingen in die Restaurierung. In den 1960er- und 1970er-Jahre verwahrloste das Palais, von 1970 bis 1973 wurden jedoch das Rosenholzzimmer (das nicht aus Rosenholz, sondern mit „Ulme rüster“ und Vogelaugen-Ahorn ausgekleidet ist), der Festsaal und das Ovale Kabinett restauriert.

Im Jahr 2007 kaufte die Unternehmerin Viola Hallmann das Haus; nach deren Insolvenz erwarb das Arztehepaar Axel und Tanja Fischer 2010 das von ihnen bewunderte Gebäude und setzte es 2012/2013 instand. „Wir hatten eine Mordsangst, dass wir etwa unter den Fresken verrottete Balken finden und das Haus ein bodenloses Fass wird, und natürlich hat uns der Denkmalschutz ordentlich arbeiten lassen“, sagt der Mediziner. „Originalpläne des Hauses gibt es nicht, nur Handzeichnungen von Ritz, die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz liegen. Grund dafür ist, dass königliche Bauten keiner Baugenehmigung bedurften und deshalb auch nicht unbedingt dokumentiert wurden.“ Dafür fand eine der Töchter im alten Ofen einer kleinen Mädchenkammer Feldpostbriefe des Friedrich v. Schierstedt – und ließ sie der Familie zukommen. Der vierfache Vater, Architektur- und Gartenliebhaber Axel Fischer organisiert pro Jahr rund 50 Kulturveranstaltungen im Festsaal, hochrangige Ensembles musizieren in dem intimen Rahmen mit seiner guten Akustik vor bis zu 150 Gästen. Renommierte Künstler wie Alfred Brendel oder Ensembles der Berliner Philharmoniker und der Staatskapelle Berlin gaben Kammerkonzerte. In 200 Jahren hat sich eine gewisse Patina auf das Haus der „schönen Wilhelmine“ gelegt, die hier nie lebte und doch ein zeitloses preußisches Refugium der Schönheit schuf. Ihr hätten die intimen Konzerte und Lesungen, zu denen Musiker, Schriftsteller und Schauspieler heute kommen, sicher sehr gefallen.

Interessenten an Kulturveranstaltungen im Palais Lichtenau bekommen über eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! gerne Einladungen zu Konzerten und Lesungen.