Wuerzburger Residenz

Ferngesteuert

Filip und Christine Linder pendeln zwischen Hamburg und Helsinki. Sie wohnen in Deutschland und managen von hier aus erfolgreich den Betrieb von ihrem Herrenhaus „Svartå Slott“ im hohen Norden.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Vor Kurzem war Filip Linder mein Tischherr bei einem sehr schönen Geburtstagsfest in Hamburg. Zwischen diversen Vorspeisen und Pudding „Nigeria“ reichte mir der elegante finnische Aristokrat kleine Häppchen aus seinem Leben. Er ist verheiratet mit Christine Gräfin Zedtwitz. Ihre jüngste Tochter Johanna wurde gerade drei Jahre alt, Philippa ist fünf und Marie-Isabel sechs. Vor Kurzem bezogen sie ein Herrenhaus von 1797 in der Nähe von Hamburg.

Filip Linder zeigte mir ein paar Bilder, während uns irisches Roastbeef serviert wurde. Dann wechselten wir zum Thema Beruf. Er sei Architekt, so erzählte er, betreibe gemeinsam mit seiner Frau Christine „Svartå Slott“, ein Hotel mit Konferenzsaal und Restaurant in der Nähe von Helsinki. „Geht das?“, fragte ich erstaunt. „Sind 1000 Kilometer Anfahrt zum Arbeitsplatz nicht ein bisschen sehr weit? Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Entscheidung, in Finnland zu arbeiten und in Hamburg zu leben?“

Filip Linder lachte: „Für Christine war die Vorstellung, ihr erstes Kind zu gebären und mit den Ärzten nicht auf Deutsch schimpfen zu können, unerträglich. Also mieteten wir uns für die Zeit um die Geburt eine Wohnung in Hamburg. Als sich unsere zweite Tochter ankündigte, kamen wir wieder und blieben etwas länger. Und als Johanna geboren war, wollten wir gar nicht mehr weg.“ „Wunderbar!“, dachte ich mir. „Sie richten sich ihr Leben ein, wie es ihnen gefällt.“

Wieder zu Hause klickte ich die Website von „Svartå Slott“ unter www.mustionlinna.fi an. Der Grund für diese finnische Adresse: Die Familie Linder gehört zur schwedischen Minderheit in Finnland und verwendet den ursprünglichen, schwedischen Namen „Svartå Slott“ (schwarzer Fluss). Auf Finnisch jedoch heißt der Besitz „Mustion Linna“ – und hat viel zu bieten. Mit jedem Klick wuchs meine Begeisterung.

Prunk und Pracht

Das repräsentative gelbe Herrenhaus ist das größte nicht kirchliche Holzhaus in ganz Finnland. Magnus Linder II. beauftragte 1783 die besten Architekten des Nordens, den Finnen Christian Schröder und den Schweden Erik Palmstedt, mit dem Bau einer herrschaftlichen Residenz auf dem Gelände seiner Gießerei, der um 1560 entstandenen ersten Industrieanlage Finnlands. Schröder und Palmstedt mischten die beiden aufeinanderfolgenden Stile, Rokoko und Neoklassizismus. Das Interieur im gustavianischen Stil spiegelt Glanz und Bedeutung.

Im prunkvollsten der vielen Schlafzimmer haben einst König Gustav III. – und die beiden russischen Zaren Alexander I. und Alexander II. – genächtigt. Heute ist das Herrenhaus ein Museum, das daneben liegende Gebäude, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert, ein Landhotel. Zum Ensemble gehören ein Restaurant, Veranstaltungsräume mit Konferenzsaal und mehrere kleine, rote Arbeiterhäuschen, die zu charmanten Gästezimmern umgebaut wurden.

Dahinter steckt eine spannende Geschichte, ahnte ich, rief Christine Linder an und folgte ihrer Erzählung von der Vergangenheit bis in die Gegenwart.

Verkauf und Verfall

Nach dem Bau im 18. Jahrhundert blieb „Svartå Slott“ über Generationen hinweg im Besitz der Familie Linder. 1940 aber ließ sich Constantin Linder von seiner Frau Dolly, Tochter des erfolgreichen Schokoladenfabrikanten Fazer, scheiden. Er brauchte Geld und verkaufte das Anwesen an den örtlichen Papierfabrikanten. Sein Sohn Magnus war damals elf Jahre alt und litt sehr unter dem Verlust seines Kindheitsidylls.

Während „Svartå Slott“ zusehends verfiel, der Papierhändler die Gebäude als Lager nutzte und sichtlich vernachlässigte, machte Magnus Linder erfolgreich Karriere bei Fazer. Mit seiner Idee „Catering für Firmen“ baute er im Unternehmen ein weiteres Standbein auf, reiste viel durch Europa, sammelte Geschäftsideen und verdiente vor allem viel Geld. 1985 konnte er sich schließlich seinen größten Traum erfüllen: Er kaufte „Svartå Slott“ zurück. Das Herrenhaus stand damals kurz vor dem Exitus. Das Dach war so kaputt, dass man, so der Running Gag in der Familie, auf dem Speicher die größte natürliche Schlittschuhbahn Finnlands hätte betreiben können.

Angelehnt an das Konzept von Relais Chateâu bauten Magnus Linder und sein Sohn Filip „Svartå Slott“ wieder auf. Filip hatte bei seinem Architekturstudium in Helsinki nicht nur Hausbau, sondern auch Innenarchitektur gelernt – beides kam ihm jetzt sehr zugute. Auf „Svartå Slott“ entstand ein Hotelbetrieb mit Restaurant und Konferenzsaal. Gleichzeitig sanierten Vater und Sohn in Zusammenarbeit mit der finnischen Denkmalbehörde das Herrenhaus, machten es als Museum der Öffentlichkeit zugänglich. Schon sehr früh stellte Magnus Linder eine Managerin ein, die den Aufbau von Hotel und Restaurant vor Ort leitete, es ihm ermöglichte, weiterhin im nur eine Stunde entfernten Helsinki zu leben und für Fazer zu arbeiten.

Im Alter von 71 Jahren übergab Magnus Linder den Besitz seinen drei Kindern Johann, Maria und Filip. Das war im Jahr 2000. Neun Jahre später heirateten Filip Linder und Christine Gräfin Zedtwitz. Sie hatte Hotelmanagement gelernt und arbeitete damals als Consultant für eine Softwarefirma im Bereich Hotelmarketing. Ihre erste gemeinsame Station war München – weit, weit weg von „Svartå Slott“. Mit der Zeit allerdings wurde den Geschwistern immer klarer, dass der Betrieb aus der Distanz auf Dauer nicht funktionierte. Bei einem Treffen 2009 kamen sie dann auf die, wie Christine Linder es bezeichnet,„wilde Idee“, ihr die Leitung von „Svartå Slott“ zu übertragen. „Als ich das hörte, konnte ich nur verzweifelt laut lachen“, erinnert sie sich heute. „Ich war damals erst 28 Jahre alt, fühlte mich viel zu jung für diese Aufgabe.“ Letztlich aber siegte der Wunsch, den Familienbesitz zu erhalten und „Svartå Slott“ in die Zukunft zu führen. „Als Erstes sicherte ich mir Filips Unterstützung. Unter keinen Umständen wollte ich große Entscheidungen allein fällen. Zumal ich kein Finnisch spreche, es vermutlich auch nie lernen werde, weil diese Sprache im Gegensatz zu Schwedisch, Filips Muttersprache, so unendlich kompliziert ist.“ Mit ihrem Mann an der Seite vereinbarte Christine Linder mit den Geschwistern eine Art Probezeit mit Ausstiegsmöglichkeiten. Dann legten sie los.

Deckenfresko

Frischer Wind im alten Gebälk

„In all den Jahren war das Anwesen zu einer Art gemütlicher Seniorenresidenz geworden“, schildert Christine Linder ihre ersten Eindrücke nach der Übernahme. Mit einem jungen Koch begann eine neue Ära in der Küche und im Restaurant. Die Speisekarte wurde übersichtlicher, die Gerichte variieren saisonal, die meisten Zutaten kommen jetzt aus der Umgebung.

Im Hotelbereich wurde Zimmer für Zimmer durchforstet und vieles erneuert. Der Overheadprojektor im Konferenzsaal wich einem modernen Whiteboard, die technische Ausstattung wurde auf den neuesten Stand gebracht.

Lange und immer wieder spielten sie mit der Idee, „Svartå Slott“ für Hochzeiten zu nutzen. Die Räumlichkeiten waren optimal. Eine Kirche nah am Haus, der Weg dahin führt durch den malerischen Park, der im Übrigen auch für die deutlich zunehmenden standesamtlichen Trauungen eine romantische Kulisse bildet. Aber es gab keinen großen Saal für die Festgesellschaft. Schließlich kam ihnen die Pleite von Nokia zugute. Die vielen Entlassungen machten die Region zum Krisengebiet, das mit EU-Geldern gefördert wurde. Nach unendlich vielen Formularen war die Finanzierung für einen gelben „Party-Pavillon“ aus Holz mit riesigen Glasfenstern gesichert. Vor anderthalb Jahren wurde er eingeweiht, inzwischen finden in „Svartå Slott“ bis zu drei Hochzeiten an einem Sommerwochenende statt.

Deckenfresko von Tiepolo

Helle Sommer – dunkle Winter

„Im Sommer laufen die Finnen zu Hochtouren auf“, erklärt Christine das ihr lieb gewordene Volk. „Da wird 24 Stunden am Tag gelebt und gefeiert. In den dunklen Wintern dagegen kriechen die Nordlichter nur sehr ungern hinter ihren Öfen hervor, verlassen das Haus nur, um zu arbeiten.“ Der geteilte Jahresrhythmus bestimmt auch die Nutzungsmöglichkeiten. High Life mit Hochzeiten im Akkord und vielen Besuchern im Sommer, im Winter dagegen erweist sich die Nähe zu Helsinki als Joker im Poker um zahlende Gäste. Dann versammeln viele Firmen ihre Mitarbeiter zu Konferenzen, ziehen sich zurück ins nahe, aber doch abgelegene „Svartå Slott“. Man muss wohl Finne sein, um sich mit den langen, dunklen Wintern, die zwangsläufi g auf jeden sonnigen Sommer folgen, zu arrangieren. Christine Linder fällt es bis heute schwer. Nach drei Jahren in Finnland, von 2010 bis 2013, die sie fast durchgehend im Büro verbrachte, wuchs die Sehnsucht der gebürtigen Pfälzerin nach Licht, Wärme und ihren deutschen Freunden immer mehr. Heute ist sie besonders im Winter glücklich, mit ihrer Familie in Hamburg zu leben. Wenn dann aber die Tage heller und wärmer werden, steigen sie alle, wie die Zugvögel, in den Flieger, um den Sommer in Finnland zu verbringen.

Das Modell funktioniert, dank guter neuer Mitarbeiter. Besonders eine ursprünglich als Rezeptionistin eingestellte, sehr tatkräftige Finnin entwickelte sich zur kompetenten Stellvertreterin. Mit ihr steht Christine Linder in ständigem Austausch. Kleine Entscheidungen werden am Telefon oder per Mail gefällt, alles andere muss warten, bis die Chefi n für ein paar Tage im Monat einfl iegt oder die ganze Familie kommt und wieder durch „Svartå Slott“ wirbelt.