Wasserschloss

Zurück in Sachsen

Dreißig Jahre stand das Barockschloss im sächsischen Leuben leer und verfiel. Dann renovierte es der Leubener Schlossverein und legte die Basis für das, was Leo und Marion Sahrer v. Sahr v. Schönberg jetzt fortführen: die Wiederbelebung von Schloss Leuben.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Platt, pleite – und glücklich“, antwortet Leo Sahrer v. Sahr v. Schönberg auf meine Frage: „Wie geht es euch?“ Uns verbinden Kindheitserinnerungen. Schade, dass das Corona virus einen Besuch verhindert, ich mir nur aus der Ferne, am Telefon, vorstellen kann, wie Leo v. Sahr und seine Frau Marion gerade im elegant renovierten Kaminzimmer sitzen. Glücklich über alles, was sie geschafft und geschaffen haben.

Schlossverein

Im September 2017 kauften sie das Wasserschloss Leuben in der Dorfmitte der gleichnamigen Gemeinde. Nach umfänglichen Renovierungsarbeiten konnten Leo und Marion v. Sahr mit ihren Kindern und seiner 95-jährigen Mutter vergangene Weihnachten einziehen. Obwohl das 1720 erbaute Schloss nicht zum einstigen Besitz der Familie gehörte, erleben die Sahrs die Wiederbelebung von Schloss Leuben als Rückkehr in die Heimat, aus der seine Eltern im Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden.

Sächsische Wurzeln

Nur wenige Kilometer von Leuben entfernt liegt Dahlen, einst eine herrschaftliche Schlossanlage mit ausgedehnten Ländereien. Weil Siegfried Sahrer v. Sahr (1891–1953) und seine Frau Janna geb. v. Carlowitz (1902–1987) keine Kinder bekommen konnten, adoptierten sie ihren damals erst 14-jährigen Neffen Hanns Heinrich v. Schönberg, den Vater von Leo v. Sahr. Der zukünftige Herr auf Dahlen trug fortan den Namen Sahrer v. Sahr v. Schönberg, konnte aber sein Erbe nie antreten.

Dahlen wurde 1945 im Zuge der Bodenreform entschädigungslos enteignet. Hanns Heinrich v. Sahr kämpfte an der Ostfront, geriet in russische Kriegsgefangenschaft. Erst im September 1947 gelang es ihm, sich bis zu seinen Eltern durchzuschlagen, die zu ihren woellwarthschen Verwandten im schwäbischen Essingen geflohen waren.

1952 heiratete er Marie-Luise Freiin v. Friesen, ebenfalls eine Sächsin, die in Schloss Schleinitz aufgewachsen war. Die verlorene Heimat immer im Herzen, Bilder von Dahlen und Schleinitz an den Wänden, gelang Hanns Heinrich und Marie-Luise (Isi) ein Neuanfang. Sie bekamen drei Kinder – Leo, Josi und Philipp – und lebten im Rheinland. 1994 zogen sie zur Familie ihres ältesten Sohnes – nach Sachsen.

Denn bald nach der Wende, 1993, wurde Leo v. Sahr die Leitung der Niederlassung der IKB Bank in Leipzig angeboten. Ein Wink des Schicksals! „Die Familie gehört nach Sachsen!“ – das spürte auch seine Frau Marion geb. Jung, die als Anwältin arbeitete.

Leo und Marion v. Sahr kauften einen ehemaligen Obsthof in Panitzsch, nicht weit von Leipzig. Hier wuchsen ihre drei Kinder, Philipp, Sophie und Ferdinand, auf. Hier fühlten sie sich zu Hause. Es hätte so bleiben können.

Schloss

Schlossverein gewinnt bei einer Fernsehshow

Zufällig aber entdeckten sie das „verfallene Märchenschloss“ am Rand von Oschatz. Und sie begegneten Marek Schurig, einem genealogisch interessierten Floristen und engagierten Bürger von Leuben. Marek Schurig spielt eine große Rolle bei der Wiederbelebung von Schloss Leuben. Schon 2004, also lange vor den Sahrs, mahnte der damals 27-Jährige: „Wir können nicht zusehen, wie unsere Dorfmitte verfällt.“ Mit sechs Gleichgesinnten gründete Schurig den Leubener Schlossverein. Noch im selben Jahr kaufte der Verein das marode Wasserschloss und nahm den Wiederaufbau in Angriff. Von 2005 bis 2006 wurden das Dach erneuert, eine Stahlbetondecke eingezogen und unendlich viel Schutt beseitigt. Dann beteiligte sich der Schlossverein beim Wettbewerb „Mach dich ran“, einer Spielshow des Mitteldeutschen Rundfunks. Die schlauen Leubener gewannen den ersten Preis, 200 000 Euro, gespendet von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Eine Sensation! Erst recht als die stattliche Summe von den Denkmalämtern noch verdoppelt wurde. Jetzt konnten sie der verwitterten alten Dame ein neues Make-up verpassen, die Außenfassade renovieren.

Schon einige Jahre zuvor waren Marion und Leo v. Sahr dem Leubener Schlossverein beigetreten, hatten sich mit Marek Schurig angefreundet. Leuben hatten es ihnen angetan. Irgendwann sprach der eine aus, womit der andere schon in Gedanken gespielt hatte: „Dahlen ist zu groß, aber Leuben ist machbar – wir könnten Leuben kaufen!“ Was für eine Idee! Mal schwelgten sie in Euphorie, dann wieder stellten sie sich die bange Frage: „Sind wir eigentlich verrückt geworden?“ Den Ausschlag zur endgültigen Entscheidung „pro Leuben“ gab schließlich die berufliche Umorientierung ihres ältesten Sohnes Philipp.

Kaminzimmer

Zukunftsmodell Agroforst

Der 37-Jährige zog sich aus dem operativen Geschäft seines selbst aufgebauten Berliner Unternehmens „Gegessen wird immer“ zurück und wagte den Sprung in die Landwirtschaft – mit Rinderhaltung, Bio- und Agroforstbetrieb, einer ökologisch wie ökonomisch besonders vorteilhaften Nutzung landwirtschaftlicher Flächen. Auf den ehemaligen Dahlener Flächen seines Großvaters, die die Familie zurückerwerben konnte, weidet jetzt „Rotes Höhenvieh“. Eine seltene, sehr robuste Rinderrasse, deren Fleisch besonders schmackhaft ist. Gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand gründete Philipp die Schlossrind GbR und vermarktet das Fleisch der glücklichen, weil in großer Freiheit lebenden Rinder. Als Sitz der Firma, die künftig unter „Gut Waldland“ firmiert, und zu der auch ein Hofladen gehört, konnte Philipp Sahr der Lebenshilfe Oschatz die zum Schloss gehörenden Wirtschaftsgebäude abkaufen.

Sein Engagement machte den Erwerb von Schloss Leuben zum zukunftsorientierten Familienprojekt, das den großen Einsatz an Kraft und Kapital rechtfertigte. Leo und Marion v. Sahr verkauften Panitzsch, ergänzten ihre Ersparnisse um ein „dickes Darlehen“.

Euphorisch trafen sie sich am 17. September 2017 mit Marek Schurig beim Notar. Stolz und wehmütig zugleich, wie ein Brautvater, der seine hübsche Tochter zum Altar führt, unterschrieb Schurig den Kaufvertrag. Ohne den tatkräftigen Einsatz des Vereins hätten Marion und Leo v. Sahr die immer noch notwendigen Renovierungsmaßnahmen nicht stemmen können. So oder so ähnlich wurde es in den Präambeln des Kaufvertrags festgehalten, verbunden mit der Zusicherung, dem Verein einen Raum zur uneingeschränkten Nutzung zur Verfügung zu stellen, und natürlich der Hoffnung auf weitere Zusammenarbeit.

Pavillon Osnabrück zeigt die Historie vom „Deutschen Orden“

Seit 1732 bekleidete der Kölner Kurfürst Clemens August das Amt des Hochmeisters des Deutschen Ordens. Ein Amt, das über alle seine bisherigen Ämter emporragte und reichsweit wirkte. Neben Gemälden und Grafi ken von Würdenträgern werden Kupferstiche, Münzen, Medaillen und Ordenskleidung gezeigt. Zeittafeln verdeutlichen die lange Geschichte des Ordens, der schon 1198 vom Papst als Ritterorden anerkannt wurde.

Leben in der Öffentlichkeit

Das erste halbe Jahr ihres neuen Lebens als Schlossherren war ausgefüllt mit Baugesuchen und Anträgen für Fördermittel von Land, Landkreis, Denkmalschutz und dem europäischen LEADER-Programm, das 150.000 Euro zum Ausbau von fünf Repräsentationsräumen beisteuerte. Allerdings mit der Verpflichtung, diese fünf Räume der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Das muss man mögen! Die Sahrs haben sich dafür entschieden. Die untere Etage repräsentiert mit Möbeln und Kunstgegenständen aus Dahlen den herrschaftlichen Glanz des 18. Jahrhunderts. Dass Möbel, Bilder, Bücher und Porzellan zurück zur Familie kamen, ist der akribischen Recherche von Marion v. Sahr zu verdanken. Die Rechtsanwältin ist Spezialistin für die Rückgabe enteigneter Kunstschätze und führte die Verhandlungen mit den staatlichen Kunstsammlungen Dresden, wohin das Inventar aus Schloss Dahlen nach der Enteignung gebracht worden war. Im oberen Stockwerk zeigt das Ehepaar seine in vielen Jahren gesammelten zeitgenössischen Werke der sogenannten Leipziger Schule.

Summer-Camp für junge Restauratoren

Bevor jedoch die Schätze ausgepackt werden konnten, galt es, die Renovierungsarbeiten der Innenräume auszuführen. Scharen von Handwerkern bevölkerten das Schloss, die gesamte Elektrik, alle Wasserleitungen mussten neu verlegt, Böden aufgebaut und Wände neu verputzt oder aber übertünchte Wandbemalungen freigelegt werden. Die rettende Idee für diese sehr aufwendige und daher kostenintensive Arbeit hatte ein Restaurator aus Altenburg. Er lud angehende Restauratoren aus ganz Europa zu einem Summer Camp nach Leuben ein. Sie arbeiteten gemeinsam, lernten voneinander, hatten Spaß und ein dokumentierbares Erfolgserlebnis.

Gut anderthalb Jahre dauerten die Sanierungsarbeiten unter Leitung eines erfahrenen Wurzener Planers und vieler Handwerker aus der Region. Dann der Umzug am 19. Dezember 2019. „Ein Chaos!“, stöhnt Marion Sahr. Der große Saal verwandelte sich in ein riesiges Containerschiff voller Umzugskartons – mittendrin der Weihnachtsbaum.

Zu zehnt feierte die Großfamilie ihr erstes Weihnachtsfest im neuen Zuhause. Knapp zwei Monate später starb Marie-Luise v. Sahr, 20 km Luftlinie von ihrem Elternhaus Schloss Schleinitz entfernt. Sie wurde auf dem benachbarten Friedhof von Naundorf beerdigt. Wenig später wurde auch das Grab ihres Ehemanns dorthin verlegt. Auch das heißt Ankommen. Und auch, dass eine Beerdigungsfeier mit neunzig Trauergästen selbstverständlich zu Hause stattfindet, der Besucherstrom von neugierigen Freunden und Verwandten gar nicht mehr abreißen will. „Anfang des Jahres waren wir völlig platt“, lacht Leo Sahr. Aber dann kam Corona und mit dem staatlich verordneten Stillstand setzte die Erholung ein. Jetzt genießen sie, was sie geschaff en haben, tanken Ruhe, bevor Marek Schurig die ersten Besuchergruppen durch das gemeinsam gerettete Schloss führt.

Führungen in Schloss Leuben finden am letzten Wochenende eines Monats statt. Bitte telefonisch anmelden unter: 0 34 35-9 35 19 57. Der Hofladen (verkauft Fleisch und andere Spezialitäten) öffnet b. a. W. nur auf Anfrage unter 01 72-9 73 68 87.