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Eine feste Burg für Generationen

Die Burg Hinta im ostfriesischen Dorf Hinte ist seit 1567 im Besitz der Familie und wird heute von Mauritz und Marianne v. Frese bewohnt und erhalten.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Die Angst saß im Nacken, der Feind überall. Als im späten Mittelalter, 1438, die Burg Hinta nach einem Überfall wieder aufgebaut wurde, sparte der Burgherr nicht an Mitteln und Aufwand. Mauern, dicker als ein Meter, der vierflügelige Bau umgeben von einem breiten und tiefen Wassergraben. Der Blick vom „Hohen Haus“ reicht weit über das flache Land. Hinta ist eine feste Burg, war eine stattliche Mitgift, die Fossa Allena 1567 in ihre Ehe mit dem angesehenen und weit gereisten Victor v. Frese brachte. Mauritz und Marianne v. Frese geb. v. Estorff sind die 13. Generation des ostfriesischen Uradels, die auf Hinta lebt, die die Burg erhält und die Schätze der Familie bewahrt.

Der mächtige Burgkomplex, eine der wenigen noch bewohnten Wasserburgen in Ostfriesland, ist eine weite Reise wert. Besonders jetzt, im Sommer, wenn sich ein buntes Blumenband durch den Park schlängelt, der Innenhof mit vielen Pfl anzenkübeln und Sitzecke zum gemütlichen Klönen einlädt.

Über ein paar Stufen gelangt man in einen breiten Flur, von dem aus sich ein Salon an den nächsten reiht. Überall spiegeln Möbel, Bilder und Erinnerungsstücke die lange Familientradition wider. Der mit Fries und Wappen verzierte Kamin im Ahnensaal wurde 1927 anlässlich des 100. Geburtstag von Victor v. Frese (1827–1930) eingebaut. Darüber hängt der Säbel jenes Victor v. Frese, der vor seiner Hochzeit mit Fossa Allena Graf Enno I. auf seinen zwei Pilgerfahrten ins Heilige Land begleitet hat. Ein Salon weiter dann die große Spieluhr, auf der bei den Tanztees der 20er-Jahre Musik gemacht wurde. Nur die wertvollen Ölgemälde der Alten Meister, die einst an den hohen Wänden hingen, werden immer noch schmerzlich vermisst. Sie wurden im Krieg ausgelagert. Ausgerechnet dort schlug eine Bombe ein.

Lindholm

Später Erbe: Wilfried v. Frese

Beim Mittagessen, es gibt frischen Fisch, reden wir über Lebensmodelle. „Wir hatten Glück“, sagen beide. „Unsere Träume haben sich erfüllt.“ Marianne v. Frese sehnte sich danach, mit Familie auf dem Land zu leben, Mauritz v. Frese ebenso, und vor allem wollte er immer in Hinte bleiben. Sein Vater Wilfried v. Frese hatte einen anderen Lebensentwurf. Als zweitjüngster von vier Söhnen und einer Tochter war er nie als Erbe von Hinta vorgesehen – und wurde es dann doch.

Wilfried v. Frese wäre gern Jurist geworden, doch dann kam der Krieg, und er wurde Offi zier beim Reiterregiment 13. Im Russland- Feldzug verlor er ein Bein. Später, im Lazarett in Kemnitz in der Oberlausitz, fand er seine große Liebe: Marie-Jutta Freiin v. Bonnet zu Meautry. Wie so viele Töchter aus gutem Hause wurde das junge Mädchen ins Lazarett geschickt, um Verwundete zu unterhalten. Mit ihrem Charme eroberte sie den schwer verwundeten jungen Offizier. Die aus Süddeutschland stammende Baronesse und der Ostfriese Wilfried v. Frese verliebten sich, heirateten im Kriegsjahr 1943 und zogen nach Hinte.

Es waren traurige Zeiten für den Anfang einer Ehe. Ein Jahr zuvor war sein Vater Carl v. Frese gestorben, sein Bruder Carl-Mauritz war 1935 bei einem Flugzeugabsturz auf Rügen ums Leben gekommen, von seinen beiden Brüdern Ernst Victor und Udo hatten sie schon lange nichts mehr gehört. Standhaft hatte seine Mutter Theda geb. v. Bülow mit ihrer Tochter Ingrid die Stellung auf Hinta gehalten. Im Winter 1944 bekamen Wilfried v. Frese und Marie- Jutta ihr erstes Kind, Tjalda. Ein niedliches Baby mitten im Grauen des Krieges.

Die englischen Bomber warfen auf ihrem Heimweg die Reste ihrer Munition über Emden ab, legten das „Klein-Venedig des Nordens“ in Schutt und Asche. Bei einem Artilleriebeschuss wurde das Dach der Burg getroffen. Viel schlimmer aber war das Bangen um die Vermissten. Täglich hoffte die besorgte Mutter auf ein Lebenszeichen der Söhne. Keine Nachricht war zumindest keine schlechte Nachricht. Und solange man nichts wusste, galt Ernst Victor als designierter Erbe.

Im Winter 1944/45 hielten die ersten Trecks im Innenhof. Unzählige Verwandte kamen mit ihren zusammengerafften Habseligkeiten aus Ostpreußen. Sie campierten in den Salons. Bald ragte aus jedem Fenster ein Ofenrohr. Und immer noch keine Nachricht von den Vermissten.

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Kein Plan, was aus Hinta werden sollte

Erst lange nach Kriegsende konnte Wilfried v. Frese seine Mutter überreden, den schweren Gang anzutreten und ihren vermissten Ältesten für tot erklären zu lassen. Nur als legitimer Erbe konnte er rechtswirksam handeln, die Zukunft der Familie und der Burg gestalten.

Die Ziegelei, die bislang für den Unterhalt der Burg gesorgt hatte, erwies sich als veraltet, das Tonvorkommen neigte sich dem Ende zu. Wilfried v. Frese nutzte die Möglichkeiten der ersten Nachkriegsjahre und baute eine Wäscherei auf. Was verdient wurde, steckte er in die Renovierung der Burg, aus der nach und nach die Flüchtlingsfamilien wieder auszogen.

In den 1960er-Jahren hatten die Ostfriesen wieder Geld und wollten bauen. Geschickt arrondierte Frese den Grundbesitz, verkaufte Bauland und machte gemeinsam mit seiner Frau Marie-Jutta aus der einstigen Flüchtlingshochburg wieder ein repräsentatives Schloss. Eine Ölheizung wurde installiert, das Dach repariert, die Salons wieder elegant möbliert. Vor allem aber restaurierten sie die wertvolle alte Handdruck-Tapete im Saal. Ein kunsthistorischer Schatz aus der Zeit um 1840.

KaminzimmerMuseum

Für Hinta bestimmt: Mauritz v. Frese

Als Theda v. Frese 1954 starb, hatten ihr Sohn Wilfried und Marie-Jutta bereits drei kleine Kinder. Tjalda (*1944), Carl-Friedrich (*1947) und Mauritz (*1953). Ihren Enkel Carl-Friedrich hatte die Großmutter ganz besonders ins Herz geschlossen. Ihm vermachte sie das von der Bonnet’schen Seite geerbte Schloss Klingenburg zwischen Ulm und Augsburg.

Mauritz war für Hinta bestimmt und konnte in seine Rolle als Burgherr hineinwachsen. Er ging in Emden zur Schule, baute Baumhäuser im Park, galoppierte mit seinem Pony Rex über die weiten Wiesen und hatte keinen größeren Wunsch, als immer in Hinte zu bleiben. Später wurde er dann doch Speditionskaufmann bei einer Überseespedition in Bremen, reiste viel – kam aber immer wieder zurück nach Hinte.

Die richtige Frau für sein Leben fand der dann 43-Jährige beim Teeclub in Hannover. Oder fand sie ihn? Egal! Der jährliche „Besorgungsball“, zu dem sich im Winter, wenn die Ernte eingebracht und das Konto aufgefüllt ist, der norddeutsche Landadel nach seinen Weihnachtseinkäufen versammelt, brachte ihnen Glück.

Marianne v. Estorff , die aus einem ebenso alten niedersächsischen Adelsgeschlecht entstammt und auf dem Gut ihrer Eltern in Veerßen bei Uelzen aufwuchs, fühlte sich in der Familie und im ländlichen Idyll am Wasser auf Anhieb wohl. Leichten Herzens nahm sie Abschied vom Singledasein in der Stadt und ihrem Job als Flightmanagerin bei der Lufthansa in Hannover. Im Herbst 1996 heirateten die beiden. Im Jahr darauf wurde ihre Tochter Friederike geboren, und die kleine Familie machte es sich in der Vorburg gemütlich. Zwei Jahre später kam Victoria zur Welt. 2001 starb Wilfried v. Frese im Alter von 87 Jahren. Sein Sohn übernahm und zog mit seiner Familie in die Burg.

Weder am wirtschaftlichen Konzept seines Vaters noch an der Einrichtung seiner Eltern haben Mauritz und Marianne v. Frese viel geändert. Die meisten Möbel stehen da, wo sie immer standen, der Landbesitz wird weiterhin verpachtet. Hin und wieder kauft der kluge Rechner ein Feld, verkauft eine brachliegende Wiese als Bauland, nutzt Flächen und die steife Brise für Windenergie. „Ein Haus braucht Grundbesitz zum Erhalt“, erklärt Mauritz v. Frese. „Und eine alte Burg kommt kein Jahr ohne Handwerker aus“, ergänzt seine Frau. Mit Unterstützung der Stiftung Denkmalschutz sanierten sie den Dachstuhl, die Balken und die Maueranker, erneuerten brüchige Steine und marode Fugen. Später wurden die Bäder „aufgepäppelt“ und neues Tafelparkett gelegt. Gerade haben die Handwerker die Wände im Esszimmer geglättet und taubenblau gestrichen.„Während des Corona-Lockdowns“, erzählt Marianne v. Frese, „waren Friederike und Victoria, die in Nürnberg und Bonn studieren, das erste Mal seit der Schulzeit wieder wochenlang zu Hause. Alle hatten Zeit. Hinta war unsere feste Burg.“