eyrichshof

Das rockende Schloss

Vom verschlafenen Provinzschloss zur Bühne internationaler Stars. Hermann Freiherr v. Rotenhan hat Eyrichshof aus dem Dornröschenschlaf gerissen, sein Schloss rockt. Er selbst aber auch: als Schlossherr, Großveranstalter, Teilzeit-Hausmann und jetzt Buchautor.

Daniela Contessa Borromeo d’Adda

Alles ändert sich, damit sich nichts ändert. Der Sinnspruch von Giuseppe Tomasi di Lampedusa kommt einem in den Sinn, denkt man an Schloss Eyrichshof in Unterfranken. Denn die Veränderungen, die das Schloss, und mit ihm sein Herr, in den letzten 19 Jahren durchlaufen haben, sind enorm. Und bedeuten, dass sich am Fortbestehen von 700 Jahren Familienbesitz so schnell nichts ändern muss. Dabei hatte der junge Hermann einst wenig Ahnung, noch einen Plan, wie er sein Erbe erhalten könnte. Heute, konfrontiert mit den überraschenden Wendungen des Jahres 2020, bedarf es einiger Veränderungen.

Hermann v. Rotenhan fühlt sich gewappnet. An seinem Credo „Jeder Eigentümer sollte die unternehmerischen Chancen seiner Zeit nutzen“ wird er gerade auch in Krisenzeiten festhalten. Dennoch, die Corona-Pandemie hat das bisherige Geschäftsmodell von Eyrichshof vor plötzliche und erhebliche Herausforderungen gestellt. Dabei schien es seit der ersten Veranstaltung 2004 mit jedem Jahr stets besser, größer und erfolgreicher zu werden. Während es mit gut 65 Ausstellern und vielleicht 3500 Besuchern begann, hieß das Schloss in Ebern bei Bamberg 15 Jahre später zuletzt 60 000 Besucher im Jahr willkommen.

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13 Jahre lang Hochzeiten und Firmenevents im frisch sanierten Kuhstall

Ein Trupp fleißiger Polen hatte die notwendigen Umbauten gemeistert, wofür ihnen der Hausherr noch heute dankbar ist. Dann, inspiriert durch die positive Entwicklung des Gartenfestes und den Tipp eines Freundes, findet ein paar Jahre später ein Musikfest im Schlosshof statt. Trotz großen Engagements und hoher Erwartungen bleibt das erhoffte Echo aus. Wirtschaftlich entpuppt sich die Initiative als Reinfall, auch der zweite Versuch im Folgejahr bringt nicht die erhoffte Besserung. Statt die Sache zu begraben, will sich der Freiherr nicht so schnell geschlagen geben. Er spürt, dass es professioneller Hilfe bedarf. Und stellt nach kurzer Internetrecherche fest, dass ein renommierter deutscher Konzertveranstalter im nahe gelegenen Bamberg sitzt. Nach einem Anruf bei Geschäftsführerin Gaby Heyder, die schon Michael Jackson auf die Bühne brachte, ist klar: Eyrichshof hat Potenzial. Gemeinsam entwickelt man das Konzept, sorgt für Infrastruktur, verpflichtet Künstler, macht sich an die Promotion. Nach Überwindung aller logistischen Hindernisse fällt 2015 unter dem Motto „Rock the Castle“ der Startschuss zum Open Air im Schlosshof.

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Und es läuft

Mehrere bestuhlte wie unbestuhlte Konzerte mit international bekannten Künstlern wie dem irischen Popsänger Rea Garvey oder dem ehemaligen Deep-Purple-Gitarristen Ritchie Blackmore lassen gleich im ersten Jahr um die 8000 Fans gen Unterfranken strömen. Und nicht nur die Festivalbesucher sind von der un-gewöhnlichen Location begeistert.

Auch die Künstler erliegen dem historischen Charme. Statt wie meist üblich in einem Wohn-wagen kommen sie in den Schlossgemächern unter, improvisierte Ankleide im Blauen Salon inklusive.

Was den Schlossherrn nebst seiner neuen Rolle als Konzertveranstalter auch plötzlich zum Herbergsvater von Popstars werden lässt. Und mittlerweile viel Stoff für Anekdoten liefert. So zum Beispiel, als der weltbekannte US-Popstar Anastacia die Familie Rotenhan nach deren persönlichem Lieblingstitel aus ihrem Repertoire fragte und man sich mit der Antwort „eigentlich alles“ gerade noch so aus der Schlinge zu ziehen wusste. Oder als die deutsche Indie-Rock-Band Sportfreunde Stiller nach Ende des offiziellen Konzerts noch ein intimes, in Kerzenschein gehülltes Konzert am Schlossflügel gab. Auch die illustre wie exzentrische Sängerin Nena („99 Luftballons“) bescherte mit ihrer Patchworkfamilie im Schlepptau ungewöhnliche Momente im sonst so privaten Schlossinneren. Den durchschlagenden Erfolg des 2019 zum vierten Mal veranstalteten Festivals mit bis zu sechs Konzerten und 17 000 Musikfans pro Ausgabe erklärt sich der Hausherr so: „Die Mischung macht’s.“ Während Auftritte von Chris de Burgh, Pur, Status Quo, Konstantin Wecker oder dem 2021 wiederkehrenden Rainhard Fendrich eher älteres Publikum anzieht, locken Mark Forster, Silbermond, Max Giesinger und The BossHoss die jüngeren Zuhörer. Auch der Musikstil muss Abwechslung bringen. Nur Pop ist langweilig, findet Hermann v. Rotenhan, es darf auch ruhig mal härter werden, der Schlosshof soll so richtig rocken. Der eigene Musikgeschmack spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

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Winterzauber mit Lichterglanz der besonderen Art

Der vorläufig letzte Neuzugang im Eyrichshof’schen Veranstaltungskalender ist seit 2016 die „Winterszeit“ Anfang November: ein winterlich stimmungsvoller Kunsthandwerksmarkt mit innovativem Programm, dessen Höhepunkt die Illuminationen auf der Südfassade des Schlosses sind. Noch ein Publikumsmagnet. Man darf zufrieden sein, zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Und dann, die Vorbereitungen für die Saison 2020 laufen auf Hochtouren – alles, vom Gartenfest bis zur „Winterszeit“, abgesagt. Die Hochzeiten, Firmenevents verschoben. Für Hermann v. Rotenhan ist die Corona-Pandemie „wie eine Vollbremsung bei 200 Sachen auf der Überholspur“. Dabei bereitete ihm das andere Standbein, der über 500 Hektar große Forstbetrieb, schon länger Sorgen. Der Klimawandel fordert seinen Tribut, trotz naturnaher Bewirt-schaftung. Denn auch der schönste Mischwald und die stärkste Eiche leiden bei gerade mal 350 Litern Regen im Jahr. An den Sinkflug des Holzmarkts will man gar nicht denken.

Ungewisse Zukunft

Wer weiß, was das nächste Jahr bringt? Hegte er anfangs noch vorsichtige Hoffnung, ist Hermann v. Rotenhan mittlerweile überzeugt, dass die Folgen des Virus auch 2021 massive Auswirkungen auf seinen Betrieb haben. Denn selbst wenn Veranstaltungen wieder stattfinden dürfen, bleibt die Frage, unter welchen Bedingungen und Auflagen. Lohnt der unter diesen Umständen geringere Umsatz den Aufwand?

Aber, so der Schlossherr, jetzt heißt es eben „überwintern und Betriebskosten herunterfahren“. Es wäre in der langen Geschichte der Schlossmauern nicht das erste Mal.

Die ereignisreiche Geschichte des Schlosses relativiert die Pandemie

Denn schon die Grundsteinlegung von Eyrichshof war die Folge dramatischer Ereignisse: Nachdem die nahe gelegene Stammburg auf Geheiß des Würzburger Bischofs geschleift worden war, errichtete 1330 Wolfram III. an der Stelle des Burgguts Irringshof ein viereckiges Castrum mit Wassergraben und Zugbrücke, der Kern des heutigen, von der Familie bewohnten Ensembles. 1525 fiel neben fünf weiteren Rotenhan’schen Schlössern vermutlich auch Eyrichshof dem Bauernkrieg zum Opfer. Während des Wiederaufbaus, der bis ins 16. Jahrhundert dauern sollte, entstand der Südflügel mit gestaffeltem Frontgiebel sowie der Turm mit fränkischer Glockenhaube.

Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges war Adam Hermann v. Rotenhan Statthalter des Schwedenkönigs Gustav und erster Minister des Herzogtums Franken. In der Folge wurden Schloss und Güter von Kaisertruppen konfisziert. Sie konnten zurückerlangt werden – allerdings durch Plünderungen in einem erbärmlichen Zustand. So bescherten die nächsten Jahrzehnte den Herren auf Eyrichshof wieder ein eher karges, einmal mehr mit Wiederaufbau erfülltes Dasein. Zum Ende des 17. Jahrhunderts entstanden Schlosskirche und Orangerie. 1730 schien das Schlimmste überstanden, und der im Stil des frühen Rokoko gehaltene Nordflügel entstand. Die Jahrhunderte auseinanderliegenden Bauperioden vereinigen sich nun hier im Historismus – wie es später genannt wird. Glanz und Gloria hielten dann in Eyrichshof ab 1870 Einzug, als Marianne Mumm Freiin v. Schwarzenstein, Tochter aus der gleichnamigen Champagnerdynastie, in die Familie einheiratet. Die nächsten 40 Jahre herrschen goldene Zeiten, es wird nach Kräften renoviert, gebaut –und gefeiert. Bis die Währungskrise der Party ein jähes Ende bereitet.

Seiner Ururgroßmutter fühlt sich Hermann v. Rotenhan besonders verpflichtet, gleich ihrem Vorbild Schloss Eyrichshof aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken. Dabei fiel zum Studium die Entscheidung, den Familienbesitz von den Eltern, Eyring und Ingeborg geb. v. Tresckow, zu übernehmen. Seine Kindheit beschreibt er als „unbeschwert und wunderschön“. Mit dem jüngeren Bruder tollte er durch die Flure und Getreideböden, baute Baumhäuser und eroberte alles vom Park bis zum Dachboden. Dann die Zäsur, der 15-Jährige kommt aufs Internat nach Salem, die Kindheit ist gefühlt vorbei. Nach dem Studium der Jurisprudenz arbeitet er als Anwalt und M&A-Berater. Mit 30 Jahren heiratet er Sophie Prinzessin v. Croÿ und übernimmt ein Jahr später den Betrieb.

Mit Söhnchen Julius zieht die junge Familie nach Eyrichshof, wo im Folgejahr Viktoria zur Welt kommt. 2003 eine weitere Zäsur, als es zur Trennung kommt und die Kinder mit der Mutter nach Wien ziehen. Die Ruhe im Schloss nutzt Hermann v. Rotenhan, um sich mehr um Forstbetrieb, Renovierungsarbeiten und neue Projekte zu kümmern. Die Juristerei gibt er auf, die kreative Aufgabe des Veranstalters „macht deutlich mehr Spaß“.

Fünf Jahre später, bei einem Abendessen in München, lernt er eine junge, dynamische Frau kennen. Seinen „serbischen Vulkan“, wie er sie liebevoll beschreibt. Ana geb. Teodorovic, deren Eltern aus Belgrad stammen, ist da bereits erfolgreich niedergelassene Kinderzahnärztin in München. 2008 wird geheiratet, 2009 kommt Tochter Lavinia, dann die Söhne Paul und Alexis zur Welt. Die Praxis aufzugeben ist keine Option, so pendelt die Familie seit mittlerweile zwölf Jahren die 270 Kilometer zwischen München und Ebern. Zunächst der Vater gen München, dann die Mutter für ein paar Jahre aufs Land, zum derweil in Teilzeit alleiner ziehenden Vater. Und momentan wieder, schulbedingt, der Vater gen München. Gerade jetzt, im Corona-Jahr, ist Hermann v. Rotenhan besonders froh, dass „meine Ana“ die Praxis hat – ein weiteres Standbein. Und er nimmt eine eher unerwartete Rolle neben der des Schlossherren und Veranstalters ein: die, des Hausmanns. Kochen, Aufräumen, Hausaufgaben. Nicht immer aufregend, dafür nah an der Familie, dank Corona einmal mehr. Und selbstverständlich für eine moderne Ehe, eine moderne Familie.

Denn wie das Schloss, so durchläuft auch sein Herr so manche Veränderung, damit sich am Ende alles erhält. Und so birgt die Krise auch Chancen: Im 1710 erbauten Dekanshaus können Postcorona-Ferien- und Hochzeitsgäste übernachten. Die beratende Architektin aus Belgrad, beste Freundin von Ana v. Rotenhan, wählte ein modernes, luxuriöses Design, abgestimmt auf die historischen Bauelemente. Weitere Apartments und Gästezimmer sollen folgen, bei vielen Inlandstouristen gilt Franken bereits heute als Urlaubsgeheimtipp.

Folge der Pandemie

Die Auszeit mit Corona bescherte dem Schlossherrn den Freiraum, um sein Buch zu beenden. Denn: „Nicht die Misserfolge sind es, die man letztendlich bereut, sondern die Vorhaben, an die man sich nie getraut hat.“ Lange schon verspürte er den Drang zu schreiben. Eine Art Zwischenbilanz mit Eyrichshof als Hauptfigur. Und so umrahmt die Verbindung zu den Schlossmauern die Erlebnisse der Kindheit, die Aufgaben und Erfahrungen als Erbe, einige Erfolge und manchen Misserfolg, amüsante Begegnungen mit den Popstars inklusive. Es entsteht ein persönlich erzähltes Sachbuch mit dem Titel „Steinernes Erbe“ (seit 1. Dezember im Buchhandel).

Sich für das Buch zu öffnen und Persönliches wiederzugeben sei allerdings gar nicht so leicht gefallen. Mann muss eben vieles im Leben ändern, damit sich am Ende nichts ändert.