Schloss Schleißheim

Das Erbe der Wittelsbacher

Das Nymphenburger Schloss, das in Neuschwanstein – bayerische Wahrzeichen, die jeder kennt. Etwas im Schatten der Aufmerksamkeit steht die Schlossanlage Schleißheim. Doch es gibt ein paar wirklich gute Argumente für den Besuch der Schlösser und des einmaligen Barockgartens nördlich von München, der Hinterlassenschaft vom „blauen König“ Max Emanuel.

Von Christian Personn

Ein Königreich für eine Drohne. Wer durch den Hofgarten der Schlossanlage Schleißheim flaniert, wünscht sich automatisch den Besucherblick aus der Vogelperspektive. Die ganze Pracht, mit den Fontänen und der Wasserkaskade mittendrin, die lang gezogenen Alleen mit Kies garniert, diese architektonische Gradlinigkeit des Barockgartens, möchte man engelsgleich von oben bestaunen.

Besonders die Broderien, grünsatte Ornamente aus niedrig geschnittenen Strauchhecken und Buchsbäumen, beeindrucken. Früher waren die Büsche mit farbigem Splitt, Ziegelbruch oder Kohle ausgefüllt, seltener mit Blumen. Dadurch leuchteten die Beete förmlich, quasi eine Fernwirkung, weil die beschnittenen Strauch-Kunstwerke auch von den Gemächern in der Beletage der Schlossgebäude zu erkennen waren. Heutzutage verzaubern uns die Aufnahmen von Drohnen, wie fantastische Blicke auf die weitläufige Schleißheimer Parkanlage mit dem ganzen Ensemble von Gebäuden belegen – Schloss Lustheim, dazwischen die üppigen Blumenstraßen, das Neue Schloss und vis-à-vis das Alte Schloss. Die Geometrie des Gartens prägt diese Barockanlage – und sie hat ihre besondere Bewandtnis: Vor dem Neuen Schloss entstand ein vertieftes Parterre mit ausgedehnten Zierbeeten, Skulpturen und der prächtigen Kaskade. Die Mittelachse als absolutes Ordnungsprinzip des Gartens diente zunächst als Bahn für das am Hof beliebte Maille-Spiel, das dem Croquet ähnelt. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Bahn als Kanal angelegt.

Hofgarten

Mit einer Distanz von etwa 1300 Metern zum (Alten) Schloss, in dessen Mittelachse platziert, sollte das Jagdschloss Lustheim das Zentrum einer eigenen Gartenanlage bilden. Dass ihm gleichzeitig die Funktion eines „point de vue“ zukam, ergab sich nebenbei. Diese ganze Anordnung wurde vom Schweizer Architekten Enrico Zucalli zeitgleich mit dem Bau von Schloss Lustheim ab 1684 konzipiert und vom französischen Garten- und Wasserbauingenieur Dominique Girard von 1717 bis 1726 geschaffen. Sie ist in den Grundzügen bis heute fast unverändert erhalten.

Die gärtnerische Garnierung der fürstlichen Anlage hängt also ursächlich mit der Anordnung der Schlossgebäude zusammen. In seiner Gesamtheit ist das Ensemble ein prächtiges Beispiel für höfische Kultur, die sich sogar mit Versailles messen kann.

Anlage

Aus dem Wirtschaftshof wurde das Alte Schloss

Die Gründung der Schlossanlage Schleißheim geht auf Herzog Wilhelm V. von Bayern (1548–1626) zurück. 1597 erstand er den in einsamer Moorgegend gelegenen herrschaftlichen Wirtschaftshof (damals „Schwaige“ genannt) vom Freisinger Domkapitel. Der Wilhelmsbau bildete das Zentrum einer Anlage, die um mehrere Höfe heranwuchs und erst unter seinem Sohn Maximilian I. (regierte von 1598 bis 1651) fertiggestellt wurde. Aus der ersten Bauzeit blieb bis heute der zentrale Tor- und Uhrenturm erhalten.

Maximilian war eher beseelt von weltlichen Dingen, die sich in der damals als sehr schick angesehenen italienischen Villenarchitektur manifestierten. Die Legende will, dass der Herzog Aufzeichnungen von Vincenzo Scamozzi in die Finger bekam, in dem der Architekt seine Ideen zum italienischen Herrschaftsbau publizierte. 1617 ließ Maximilian das Gebäude bis auf die Kellermauern abreißen, und der prächtige Neubau entstand in äußerst kurzer Zeit. Architekten des Neubaus waren Hans Krumper und der berühmte Baumeister Heinrich Schön. Allerdings: Bauherr Maximilian redete sicherlich bei allem entscheidend mit. Die dekorative Gestaltung der Schleißheimer Schlossräume mit Stuck und Fresken gestaltete der Niederländer Peter Candid.

Max Emanuel gab neue Impulse

Ein neues Kapital begann mit der Regierungszeit von Kurfürst Max Emanuel: Der später als „Blauer König“ berühmt gewordene Wittelsbacher ließ den Landsitz seiner Vorgänger umbauen. Und bis zum Zweiten Weltkrieg begeisterte die pompöse Residenz als Bauwerk des Absolutismus. Alliierte Luftangriffe zerstörten in den 1940er-Jahren fast das gesamte Dach, etliche Räume des Schlossgebäudes wurden vernichtet; erst 1970 begann der Wiederaufbau. Große Teile des Mauerwerks oberhalb der aus der Bauzeit erhaltenen Kellergewölbe sind erneuert, die westliche Vorhalle und die angrenzende Saalwand original erhalten.

Der Wiederaufbau bis 1986 folgte einem neuen Nutzungskonzept. In den Räumen des Nordflügels und im Untergeschoss entstand ein Museum über neuere religiöse Volkskunst aus aller Welt (Sammlung Gertrud Weinhold).

Gemäldegalerie

Der italienische Casino-Bau und die neue Residenz

Im späten 17. Jahrhundert entstand das oft als Jagdschloss bezeichnete Schloss Lustheim, heute in der Mitte der Anlage, mit seinen beiden Pavillons, nahezu ein Idealbeispiel für den Typus eines Casinos italienischer Prägung. Bauherr war Max Emanuel (1662–1726), der langersehnte Thronfolger von Kurfürst Ferdinand Maria, der bekanntermaßen aus lauter Stolz und Freude seiner Frau Henriette Adelheid zur Geburt ihres Sohnes Schloss Nymphenburg schenkte. Schlösser sollten für Max Emanuel eine Leidenschaft bleiben – neben der Jagd, der Kunst und dem Krieg. Er schuf mit der Schlossanlage Schleißheim die bedeutendste Hinterlassenschaft der Wittelsbacher.

Sein ganzes Leben war der „Blaue König“ mit Planung, Bau und Ausstattung der neuen Residenz, ganz nach dem Vorbild von Versailles, beschäftigt. Die verschwenderische Pracht dieses Neuen Schlosses kam nicht von ungefähr – sie fußt, wie so oft in der Historie, auf dem Ego seines Bauherrn. Kurfürst Max Emanuel I. wollte sein Schloss im Hinblick auf die erhoffte Kaiserwürde symbolisch in Größe und Ausstattung erstrahlen lassen. Im Winter 1700/01 wurde unter der Leitung des bereits erwähnten Hof-architekten Enrico Zuccalli mit der Realisierung des ursprünglich als Vierflügelanlage geplanten Komplexes begonnen. Doch der unglücklich verlaufene Spanische Erbfolgekrieg zwang Max Emanuel 1704 ins Exil. Die Bauarbeiten wurden eingestellt, kaum mehr als der Rohbau des Hauptflügels stand.

Erst nach der Rückkehr des Kurfürsten aus Paris im Jahr 1715 konnten die Arbeiten wieder aufgenommen werden. Angesichts der Finanzlage des Landes wurde jedoch die ursprüngliche Idee, eine Ehrenhofanlage mit gewaltigen Seitentrakten, weiteren Pavillons und dem Alten Schloss auf der Westseite zu schaffen, schrittweise reduziert. Trotzdem: Im Inneren wurde an kaum etwas gespart. Die Ausstattung der Räume mit großen Deckenfresken gilt als die erste ihrer Art im nordalpinen Profanbau – und sie ist in vielen Details richtungsweisend.

Bei der Besichtigung der hohen Säle fühlt man sich unwillkürlich in die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts versetzt, stellt sich die am Boden raschelnden Kleider der Damen und das Klack-Klack der hölzernen Hackenschuhe der Herren vor. Im wahrsten Sinne Highlights sind die Deckenfresken in der Kuppelwölbung über dem Treppensaal und dem Gewölbe der Maximilianskapelle. Die Zimmerdecken der beiden Säle im ersten Obergeschoss, besonders des Großen Saals, angefertigt vom italienischen Maler Jacopo Amigoni, sind wahre Meisterwerke.

Die ausgestellten Interieurs sind Zeugnisse allerbester Qualität und Geschmacks. Prachtvoll geschnitzte und vergoldete Konsoltische von Johann Adam Pichler, die prächtigen Imperialbetten mit Baldachinhimmel im Schlafzimmer sind Zeugnisse höchster höfischer Textilkunst. Max Emanuels starb Februar 1726, die Ausstattung der Räume war noch an vielen Stellen unvollendet. Sein Sohn und Nachfolger Karl Albrecht (er regierte von 1726 bis 1745), ließ erst nach und nach die wandfeste Ausstattung durch noch fehlende Marmorkamine, Wandbespannungen, Täfelungen und Bodenbeläge ergänzen. Max III. Joseph (regierte 1745 bis 1777), Enkel Max Emanuels und letzter Kurfürst der altbayerischen Linie des Hauses Wittelsbach, ließ den Gardesaal zum Speisesaal ausbauen und gab beim bayerischen Bildhauer Ignaz Günther zwei reich geschnitzte Schlossportale in Auftrag.

Bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts war das Neue Schloss in Schleißheim dank seiner durch Kurfürst Max Emanuel begründeten Gemäldesammlung ein großes, zunehmend öffentlich zugängliches Galerieschloss. An diese Tradition knüpft die Staatsgalerie Europäischer Barockmalerei der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen an, die heute in den fürstlichen Appartements und Sälen des Schlosses gezeigt wird. Sie umfasst Werke aller großen Schulen dieser Kunstepoche. Die einzigartige Barockgalerie wurde nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten im Jahr 2001 in neuer Konzeption wiedereröffnet.

Wer am Ende des Besuchs wieder in den traumhaft schönen Garten hinaustritt, muss einfach nur schwelgen. Die Schlossanlage Schleißheim ist selbst im so üppig mit Baukunst verwöhnten Bayern ein – heute sagt man: „Hotspot“ – europäischer Residenzkultur.

Die aktuelle Lage für Besucher:

Die Parkanlagen sind nach derzeitigem Stand für Besucher geöffnet. Aufgrund der allgemeinen Corona-Maßnahmen können die Gebäude nur eingeschränkt besichtigt werden. Das kann sich aktuell je nach Entscheidungslage der bayerischen Staatsregierung ändern. Am besten vorher die aktuellen Infos abfragen unter www.schloeeser.bayern.de oder telefonisch 089-1 79 08-0. Als Vorgeschmack für spätere Besuche lässt sich die Anlage schon online bestaunen: www.schloesser-schleissheim.de/deutsch/virtuell