Schloss servigny

Ein Schloss für den Frieden

Nach der verlorenen Schlacht von Cherbourg unterzeichnete 1944 Generalleutnant Karl-Wilhelm von Schlieben im Château de Servigny in der französischen Normandie die Kapitulation der Deutschen. Comtesse Bérengère de Pontac gründete an diesem historischen Ort den Verein „Peace by Peace“, der Schulkinder als Friedensbotschafter ausbildet.

Von Comtesse Dr. Bettina de Cosnac

Das Anwesen blieb unversehrt. Seine Besitzer auch. Und der Salon des Schlosses ging in die Geschichte ein. Mit diesen drei Sätzen ließe sich das Schicksal von Schloss Servigny resümieren und besiegeln, gäbe es nicht die Grafen Arnaud und Bérengère de Pontac. Von seinem kinderlosen Großonkel mütterlicherseits adoptiert, übernahm Comte Arnaud de Pontac 2001 das Schloss, dessen erste Steine aus dem 16. Jahrhundert stammen, das im 17. erweitert und im 19. Jahrhundert umgebaut wurde. Mit dem Schloss übernahm er ein Dutzend Hektar Grund im hohen feuchten Norden. Eigentlich jedoch ist die Familie im Südwesten Frankreichs ansässig und baut dort Wein an. Als sich 2012 die 70-jährigen Gedenkfeierlichkeiten des Zweiten Weltkriegs abzeichneten, übertrug Graf Pontac die Ausrichtung des Gedenktages seiner Frau und sagte nur: „Mach!“ Und sie, eine geborene Gräfin v. Looz-Corswarem und damit „neutrale“ Belgierin auf französischem Boden, machte es „preußisch“ – will heißen nach ihrer Fasson.

Hofgarten

Gedenkfeierlichkeiten mit Jugendlichen

Statt wie sonst üblich, rückwärtszublicken und mit wenigen Überlebenden der vielen Toten zu gedenken, blickte Bérengère de Pontac nach vorn und band die Jugend mit ein. „Wir müssen unendlich dankbar sein, dass wir in Frankreich seit 70 Jahren keinen Krieg mehr hatten, in friedlichen Zeiten leben. Aber Frieden kommt nur durch Frieden – dessen sollte man sich stets bewusst sein“, erläutert die Comtesse im Interview. „Und dieses Bewusstsein wollte ich bei Kindern und Jugendlichen wecken.“ So lud sie Kinder benachbarter Schulen ein, um den Feierlichkeiten beizuwohnen und die historische Rolle des Schlosses im Zweiten Weltkrieg kennenzulernen. Denn dort, im Salon von Schloss Servigny, wurde am 26. Juni 1944 nach der Landung der Alliierten, die Kapitulation der „Festung“ von Cherbourg von zwei Generälen unterzeichnet: dem amerikanischen General Joseph Lawton Collins und Generalleutnant Karl-Wilhelm von Schlieben. In Folge wurde von Schlieben mit 800 Wehrmachtssoldaten zum Kriegsgefangenen.

Der Generalleutnant, der erst drei Tage zuvor von Hitler zum Festungskommandanten von Cherbourg ernannt worden war, handelte damals gegen einen Hitler-Befehl – und rettete so das Leben unzähliger Soldaten, darunter über zehntausend Deutsche.

Noch heute steht im Salon der Schreibtisch, auf dem der Kapitulationsvertrag unterschrieben wurde, darauf Schwarz-Weiß-Fotos der Signatur und eine Kopie des Schriftstücks.

Doch warum wurde ausgerechnet Servigny für den historischen Akt von weltweiter Bedeutung ausgewählt? „Das Schloss war zwar von Deutschen besetzt, aber keine hohe Kommandantur. Es lag mittig auf der Halbinsel des Cotentin und somit strategisch günstig: wenige Kilometer von dem befahrenen Landweg von Caen nach Paris, fünf Kilometer von der Eisenbahnstrecke Valognes–Paris entfernt und nahe der Strände, an denen die Alliierten gelandet waren. Und es gab ein Telefon!“, schmunzelt Bérengère de Pontac.

Zudem war das Schloss in gutem Zustand. „Niemand“, unterstreicht die Comtesse, „erinnert sich hier mit Verbitterung an die Besatzungszeit. Der Großvater hat zwar nie viel erzählt, aber auch nie geklagt. Zwar wurde er während der Besatzung vom Schlossbesitzer zum Schlossdiener degradiert, aber er durfte bleiben und zusammen mit den Deutschen wohnen. Die Mutter meines Mannes erinnert sich sogar, wie sie als Kind von einem Deutschen zu einem netten Reitausflug mitgenommen wurde.“ Pferde gab es genug, denn die Stallungen von Schloss Servigny dienten von 1939 bis 1944 als Pferdehospital. Über 700 verletzte oder kranke Pferde wurden dort behandelt und gesund gepflegt.

Anlage

Friedensprojekt als Lebensaufgabe

Die Ausrichtung der großen Gedenkfeier 2014 empfand Gräfin de Pontac geradezu als Fügung. Zwei Jahre zuvor hatte die damals Vierzigjährige aufgehört, als Weinauktionärin zu arbeiten und die Bordeaux-Weine der Familie ihres Mannes zu vermarkten. „Ich suchte einen Sinn in meinem Leben, mehr als nur Konsum und Geld. Hier fand ich ihn.“

Sogar die Jungfrau Maria hätte ihr, wie sie im Interview betont, den Segen für ihr Friedensprojekt „Peace by Peace“ gegeben. Bérengère de Pontac schildert sachlich, wenngleich bewegt, den surrealen Vorfall: Mit 24 Jahren, 1996, pilgerte sie ins kroatische Med̄ugorje (Bosnien-Herzegowina) zur Heiligen Maria. Damals war sie von deren Friedensbotschaft tief beeindruckt. „Und Jahre später geschah das Unglaubliche. Als ich bei der französischen Delegation bei der UNESCO anklopfte, um sie für meine Idee zu gewinnen, war die Diplomatenstelle gerade unbesetzt. Aber eine Stellvertreterin, Pascale Trimbach, empfing mich. Als ich in ihr Büro eintrat, sah ich, wie eine Vision die Heilige Maria über ihrem Kopf schwebte. Da wusste ich, ich war auf dem richtigen Weg, mein Anliegen würde gelingen.“

Fakt ist, die Interimsvertretung bei der UNESCO sagte ihr sofort die notwendige Unterstützung zu. Und so reisten 2014 hohe französische Vertreter ins kleine normannische Dörfchen Yvetot-Bocage und statteten Schloss Servigny einen Besuch ab. Sie standen Seite an Seite mit den Enkeln und Enkelinnen der Generäle, die im Zweiten Weltkrieg das Kommando hatten. Anwesend waren u. a. die deutschen Nachfahren Elisabeth von Maltzahn und Ellen Schwarzburg von Wedel, die den geladenen 150 Kindern von den Kriegserlebnissen ihrer Vorfahren erzählten. Der Festakt stand unter dem Motto „Denkmale und Frieden“, woraus sich das sinnige Wortspiel „Denk mal Frieden“ ergibt.

Gemäldegalerie

„Peace by Peace“

Bérengère de Pontac ist noch immer dankbar für diese erste Gedenkfeier, aus der sich so viele weitere politisch wichtige, aber auch persönliche Kontakte ergaben. Wie die Enkelin von Konrad Adenauer, Bettina Adenauer-Bieberstein, die bald Ehrenmitglied wurde.

In den Folgejahren organisierte „Peace by Peace – Jeunes Artisans de Paix“ mehrstündige Seminare für Schulklassen, um die Kinder für den Frieden zu sensibilisieren und aus ihnen bewusste Akteure des Friedens zu machen.

Über 1000 Jungen und Mädchen nutzten die Mini-Ausbildung bisher. Die Kleinsten basteln Friedenstauben oder zeichnen Friedensplakate. Ältere untersuchen Friedensabkommen und Verträge auf ihre Wirksamkeit und Gerechtigkeit hin, darunter auch der umstrittene Vertrag von Versailles. Dem Alter entsprechend erfährt jedes Kind, dass „wir uns alle im Leben mindestens einmal zwischen Gut oder Böse, zwischen Helfen oder Wegsehen entscheiden müssen“. Am Ende geht jeder Teilnehmer mit einem Diplom „Junger Friedensbotschafter“ nach Hause.„Durch die Zusammenarbeit mit regionalen Schulen oder auch Schulen in Paris erreichen wir viel mehr Jugendliche“, erklärt die Präsidentin des Vereins. Und sie erinnert sich, dass „Schulausflüge an besondere Orte für uns als Jugendliche ein Highlight waren.“ Gut genutzt sind Klassenfahrten immer auch unterhaltsame Wissensvermittlung. Mit dieser Philosophie erreichte die engagierte Friedensmissionarin sogar, dass sich die edlen Salons Pariser Ministerien für ihre „Friedensschüler“ zur Besichtigung öffnen.

Palmengarten für den Frieden

Bei einem „Peace by Peace“-Projekt auf Schloss Servigny pflanzten Schüler einen Palmengarten für den Frieden. Gleichzeitig fand eine bedeutungsvolle interreligiöse Begegnung statt. Ein Rabbiner, ein evangelischer und ein katholischer Bischof trafen sich auf der erneut von Bérengère de Pontac organisierten Gedenkfeier auf Schloss Servigny.

Ein anderes Projekt war ein Film über den Zweiten Weltkrieg, der auf dem Tagebuch einer Nichte basiert. Auch ihre drei Töchter bekamen eine Rolle. „Es war“, so ihre Mutter, „eine gute Gelegenheit, sich mit unserer historisch einmaligen Geschichte auseinanderzusetzen. Wir wollen aber unbedingt vermeiden, dass unsere Kinder die Historie und das Haus als Bürde empfinden.“

Den Stillstand ihrer Friedensaktivitäten aufgrund der Corona-Pandemie nutzten die vier freiwilligen Mitarbeiter von „Peace by Peace“, um unter der Ägide von Bérengère de Pontac neue Pläne voranzutreiben. Die Stallungen wurden zu Seminarräumen ausgebaut. Auf 900 Quadratmetern wurde die Anlage eines „Rosengartens des Friedens“ geplant. Zukünftig darf jede Klasse von dort eine Rose für die eigene Schule mitnehmen, sie dort einpflanzen und auf diese Weise den Frieden sprichwörtlich weiter pflegen.

Klassenfahrten zu den Schauplätzen des 2. Weltkriegs

Ferner wurden zweitägige Klassenfahrten für 20 Schüler und vier Begleitpersonen ausgearbeitet, die zu den bedeutendsten Erinnerungsstätten des Zweiten Weltkriegs führen. Auf dem Programm stehen der Besuch des Caen-Memorial mit Arbeitsatelier sowie des amerikanischen und deutschen Soldatenfriedhofs in Collevillesur-Mer und La Cambe. Die Friedhöfe sind Lehrstätten, wie unterschiedlich mit den Toten umgegangen wurde. Am zweiten Tag erfolgt ein Besuch der Kirche von Sainte-Mère-Église mit dem Fallschirmspringer am Kirchenfenster, des „Musée du débarquement“ und der Strände der Alliierten-Landung nebst Quiz und Diskussionen. Auf Schloss Servigny wird der historische Salon besichtigt und ein abschließendes Friedensseminar abgehalten. Übernachtet wird in einer Herberge vor Ort.

Für die Zukunft erhofft sich Bérengère de Pontac auch den Besuch ausländischer Schulklassen. „Warum nicht auch aus Deutschland?“ Denkbar wäre auch, dass eine Deutsch-Klasse in Frankreich und eine Französisch-Klasse in Deutschland vorab in ihrem Land ein Friedensprojekt in Form von Drama, Poesie oder Prosa oder Plakaten erarbeiten und auf Servigny vorstellen. Das Programm startet 2022. Wer sich anmelden möchte, sollte schon Kontakt aufnehmen. Es wäre eine spannende und vor allem lehrreiche Klassenfahrt, der die jungen Menschen für eine Zukunft ohne Krieg sensibilisiert. Darüber hinaus wollen die Comtesse und ihr Mann, Comte Arnaud de Pontac, das kleine Lehrstück der Weltgeschichte auch historisch interessierten Urlaubern zugänglich machen. Schloss Servigny im wenig bekannten Cotentin kann für mindestens eine Woche gemietet werden. Besonders Amerikaner nutzen dies, um die Schauplätze des Weltkriegs zu besichtigen und auf den Spuren ihrer gefallenen oder in den Krieg verwickelten Vorfahren zu wandeln. So trägt die Vermietung nicht nur zum Erhalt von Château de Servigny bei, sondern sorgt auch dafür, dass die Mahnung „Peace by Peace“ – Frieden durch Frieden – weit verbreitet wird.