Schloss wehrden

Breit aufgestellt für die nächste Generation

Als Andrea und Alexander v. Köckritz den Wolff-Metternich’schen Familienbesitz übernahmen, drohte Schloss Wehrden Verkauf und Verfall. Heute können sie ihrer Tochter Louisa und ihrem Mann Constantin Freiherr v. Weichs zur Wenne ein saniertes Barockschloss mit Mietwohnungen, Standesamt und gut etablierten Veranstaltungen übergeben.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Ein selten genanntes, aber untrügliches Kennzeichen für einen Schlossherren ist, wenn er die Dachfläche auf den Quadratmeter genau beziffern kann, aber bei der Frage nach der Anzahl der Zimmer ins Schleudern gerät, so wie Alexander v. Köckritz. „Schloss Wehrden hat 2100 Quadratmeter Dachfläche“, positioniert er sich gleich am Anfang eines ausführlichen Telefoninterviews mit ihm und seinem Schwiegersohn Constantin Freiherr v. Weichs zur Wenne. Er wird mir im Lauf unseres Gesprächs viele Fragen beantworten, nur die nach der Anzahl der Zimmer blieb nach seiner Aufzählung der fürstlichen Prunkgemächer – das Ledertapetenzimmer, das Gobelinzimmer und die Bibliothek – ungeklärt.

Das Barockschloss Wehrden an der Weser wurde 1696–1698 von Hermann-Werner Freiherr v. Wolff-Metternich zur Gracht, Fürstbischof von Paderborn, erbaut und ist seit inzwischen 325 Jahren im Besitz der Familie. Acht Generationen lebten in Wehrden, bis sich 1955 Philipp Freiherr v. Wolff-Metternich, der Vater von Andrea v. Köckritz, entschloss, mit seiner Familie im drei Kilometer entfernten Schloss Amelunxen zu leben. Die Großmutter lebte noch bis 1962 in Wehrden. Danach stand das Haus leer, erst 1968 mietete Professor Haferkamp das Schloss, um es als Landschulheim mit Internat zu nutzten. Nach seinem Tod wurde das Landschulheim aufgelöst, stattdessen zog der Fürsorge- und Gesundheitsverein mit einem Heim für schwer erziehbare Kinder in das Barockschloss. Chaos pur! Die „jungen Wilden“ legten Brände, rissen gar ein Klo aus seinen Verankerungen. Mit fatalen Folgen: Wasserströme flossen durch die Decke in die darunterliegende Bibliothek und zerstörten ein wertvolles Deckengemälde. Weder Erzieher noch Geschäftsführer wurden Herr der Lage. Binnen Kurzem musste der Verein Insolvenz anmelden. Mit einem solch desaströsen Ende hatte Philipp Wolff-Metternich nicht rechnen können, als er nur wenige Jahre vor seinem Tod mit dem Fürsorge- und Gesundheitsverein einen Erbbaurechtsvertrag abschloss. Jetzt war der Schaden groß und die Gebäude in fremder Hand.

Hofgarten

Als Alexander v. Köckritz, damals 25 Jahre alt, bei seinem künftigen Schwiegervater um die Hand der jüngsten seiner vier Töchter, der damals 20-jährigen Andrea, anhielt, wusste er nicht, welch strenge Anforderungen der Gutsherr an den Zukünftigen seiner Erbin hatte: adelig, katholisch, Jäger und Landwirt sollte er sein. Auch wenn er als frischgebackener Architekt nur die ersten drei „Disziplinen“ erfüllte, nahm der Schwiegervater den Bräutigam herzlich in der Familie auf. Allerdings gewährte er nur spärlichen Einblick in die Bücher. Ein Fehler, wie sich leider schon sehr bald herausstellte. Nur drei Jahre nach ihrer Hochzeit starb Philipp Freiherr v. Wolff-Metternich im Alter von nur 66 Jahren, so dass die beiden das Erbe vollkommen unvorbereitet antraten.

Anlage

Was wird aus Wehrden?

Der Konkursverwalter des insolventen Fürsorge- und Gesundheitsvereins hatte vor, das Schloss als Heim für Suchtgefährdete zu nutzen. Seit 300 Jahren war Wehrden im Besitz der Freiherrn v. Wolff-Metternich, ein Ende wie dieses – unvorstellbar! Die einzige Möglichkeit, Wehrden als Zentrum der Familie zu erhalten, war, das Schloss aus der Konkursmasse zurückzukaufen. Noch ziemlich unerfahren musste das junge Paar diese schwerwiegende Entscheidung fällen.

Aber: Wehrden war zurück! Und die Suche nach einer neuen Nutzung begann von vorn. Anfangs strebten Andrea und Alexander v. Köckritz große Lösungen an: Paracelsus- Klinik, Priesterseminar, Zentrum für Denkmalpflege oder ein Hotel? Keine der vielen Ideen ließ sich bei genauerem Hinsehen verwirklichen. So entschloss man sich zunächst, das für Schüler bereits umgebaute Schloss an Studenten der Hochschule Höxter zu vermieten. Die herrschaftlichen Zimmerfluchten verwandelten sich in mehrere WGs, das Haus war belebt, aber nicht gepflegt.

Mit der Wende kam die Wende. Als nach dem Mauerfall viele DDR-Bürger in Ostwestfalen nach einer Bleibe suchten, beschlossen die Köckritzens, die Nachfrage zu nutzen und Schloss Wehrden mit Nebengebäuden für langfristige Mieter herzurichten. In 20 Jahren sanierten sie die alten Gemäuer und richteten stilvolle moderne Wohnungen ein. Auch ein Turm aus der Renaissance wurde aus dem Dornröschenschlaf zu neuem Leben erweckt. Ein Gebäude mit historisch-literarischer Bedeutung.

Gemäldegalerie

Der Droste­ Hülshoff ­Turm

Dorothea Freifrau v. Wolff-Metternich geb. Freiin v. Haxthausen (1780–1854) entdeckte schon früh das Talent ihrer Nichte Annette von Droste-Hülshoff und lud sie häufig nach Wehrden ein. Die Übernachtungen im alten Turm, in dem schon der Fürstbischof während der Bauarbeiten am Schloss im 17. Jahrhundert gewohnt hatte, inspirierten Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) zu einer ihrer schönsten Balladen: „Der Fundator“.

Fast 200 Jahre später renovierte Alexander v. Köckritz den polygonalen Turm in alter Handwerkstechnik unter Verwendung originalgetreuer Baumaterialien, wie Lehm oder auch mit Schweineborsten armiertem Kalkputz. Der alte Turm wurde in ein apartes Wohnhaus umgewandelt mit zwei offenen Kaminen und Dachterrasse, mit modernster Technik ausgestattet und dann vermietet. Ebenso wie die exklusiven Wohnungen, die seit vielen Jahren von jungen Familien, Unternehmern, Kunsthistorikern und naturliebenden Städtern bewohnt werden.

Feld, Strom – und der Wald

Für Andrea und Alexander v. Köckritz war die Generalsanierung der alten, lange vernachlässigten Gebäude ein Kraftakt. Aber nicht der einzige. Neben den Anforderungen einer wachsenden Familie – das Paar bekam fünf Töchter – musste der Betrieb mit Landwirtschaft, Wald und eigener Stromerzeugung straffer organisiert werden. Auch dies ist ihnen gelungen.

Das Wasserkraftwerk am Mühlenbach in Amelunxen kann dank des Wirkens von Alexander v. Köckritz im Vorstand der Wasserkraft KG weiter Strom produzieren. Es ist eines der ersten Wasserkraftwerke Deutschlands. 1898 erbaut von Philipp Frhr. v. Wolff-Metternich, der inspiriert von einem Besuch bei der Weltausstellung in Paris dafür sorgte, dass in Amelunxen und Wehrden früher als anderswo die Lichter angingen.

Beim Thema Wald allerdings wendet sich die Stimmung ins Sorgenvolle. Die Fichten konnten den starken Stürmen und heißen Sommern nicht standhalten, der Borkenkäfer tat sein Übriges.

Übergabe in Etappen

Bereits 2008 fiel die Entscheidung, dass Tochter Louisa einmal den Betrieb erben sollte. Es war ein wohlüberlegter Schritt, der auch innerhalb der Familie kommuniziert wurde. So konnte Louisa in ihre zukünftige Rolle hineinwachsen. Im August 2014 heiratete sie Constantin Freiherrn v. Weichs zur Wenne aus Borlinghausen. Bewusst ließen Alexander und Andrea v. Köckritz ihre Tochter und dann auch den Schwiegersohn an ihren geschäftlichen Überlegungen teilhaben. Während der letzten sechs Jahre haben Louisa und Constantin nach und nach die Verantwortung für den Betrieb übernommen.

Die Übereinstimmung zwischen den Generationen ist groß.

Constantin v. Weichs will den Betrieb ganz im Sinne seiner Schwiegereltern weiterführen. Dazu gehören auch zahlreiche öffentliche Veranstaltungen. Das barocke Herz des Hauses, die einstigen Repräsentationsräume des Fürstbischofs, werden für Feierlichkeiten vermietet. Im Ledertapetenzimmer finden standesamtliche Trauungen statt. Im historischen Saal, ausgestattet mit Wesersandsteinplatten, können 120 Personen tafeln oder tanzen, 40 weiteren steht das Gobelinzimmer mit den kunstvoll gewebten Wandteppichen zur Verfügung. Konzerte, Dichterlesungen, Veranstaltungen im Rahmen des jährlichen Literatur- und Musikfestivals Ostwestfalen „Wege durch das Land“ und auch der schon legendäre „Herbstcocktail“ können allerdings auch im zweiten Corona-Jahr nicht stattfinden. Sie fehlen! Am meisten wohl der „Herbstcocktail“ mit mittlerweile rund 70 Ausstellern in und um Schloss Wehrden. Die seit 27 Jahren etablierte herbstliche Landpartie ist längst ein Jourfixe für den westfälischen Adel und auch für die Großfamilie. Kinder, Nichten und Neff en packen mit an, der Großvater verkauft mit seinen kleinen Enkeltöchtern die selbst geernteten und beliebten Wehrdener Walnüsse.

Aber „ein solches Event lässt sich nicht coronakonform ausrichten“, erklärt Alexander v. Köckritz die Entscheidung. „Wie gut, dass du den Betrieb so breit aufgestellt hast“, federt Constantin die Enttäuschung ab und schildert sein Corona-Projekt.

Verkaufsschlager „glücklicher Heinrich“

Als sich im Lockdown die Einkaufsgewohnheiten ändern mussten und der Wunsch auf nachhaltige Ernährung wuchs, baute Constantin v. Weichs die Direktvermarktung für Hähnchenfleisch vom „glücklichen Heinrich“ auf. Die Hähnchen leben in Kleingruppen von max. 50, haben viel Platz, können nach draußen auf die Wiese und in die Sonne. Sie werden mit selbst angebautem Mais, Weizen und Ackerbohnen gefüttert und bekommen keinen, wie sonst bei Maishähnchen üblich, „genmanipulierten Sojaschrott“. Neben den Hähnchen gibt es Wachteleier von ebenso glücklichen Wachteln, Wild und Walnüsse aus Wehrden. Gesunde, bewusste Ernährung, regional, achtsam und nachhaltig sind seine Leitlinien. Sein Kundenkreis wächst, die Idee hat Potenzial …

„Jede Generation steht vor neuen Aufgaben und Herausforderungen“, stellt Constantin v. Weichs am Ende unseres Telefonats fest.„Die Aufgabe aber bleibt gleich“, entgegnet Alexander v. Köckritz: „Die Familie, das Haus und den Betrieb in die nächste Generation zu führen.“