Schloss heimerzheim

Land unter auf der Burg

Die Flutkatastrophe im letzten Sommer hat die Burg Heimerzheim, am südlichsten Rand von NRW, schwer getroffen und stellt Antonius Freiherr v. Boeselager und seine Frau Ilka vor große Herausforderungen: Die Wiederherstellung der viel genutzten Event-Location.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Über Nacht hat sich unser Leben total verändert …“, sagt Ilka Freifrau v. Boeselager, will fortfahren, wird aber vom Rauschen der Trockner und Surren der Generatoren übertönt. Wir stehen in der Vorburg, dem einstigen Festsaal, wo auch jetzt noch, sieben Monate nach der Flut, die Böden aufgerissen und die Ziegelsteinwände noch immer feucht sind, mit deutlich sichtbarem Pegelstand in etwa 2,50 Meter Höhe. „Gedeckte Tische schwammen quer durch den Raum, Sessel und Sofas verkeilten sich ineinander“, beschreibt Antonius Freiherr v. Boeselager das Wüten der Fluten und zeigt auf seinem Handy das Foto von einem Hecht. Der große Fisch hatte sich in der Bar verfangen.

Der Rundgang führt weiter zur Hauptburg, wo Arbeiter im vor Kurzem noch eleganten „Roten Salon“ mit Schubkarren schwarzes Geröll auf dem Fußboden verteilen. Was wie die Steine zwischen Bahngleisen aussieht, ist modernster Glasschaumschotter, der zur Wärmedämmung unter den Estrich gelegt wird. Vorhänge, Bilder und Dekorationen sind abgehängt, die nackten Wände mit Plastik verkleidet. Nur im Jagdzimmer hängen noch zwei große Trophäen, dick eingepackt in schützende Folien. Überall, von Zimmer zu Zimmer verlaufen dicke Kabelstränge. Mir erscheint die Burg wie eine schwer kranke Patientin, die mit einer Herz-Lungen-Maschine künstlich beatmet und am Leben gehalten wird.

„Die Burg ist mein Lebenswerk“, betont Baron Boeselager. Vor zehn Jahren übertrug der heute 75-Jährige die Landwirtschaft auf seinen Sohn Paul. Die Burg blieb „sein Baby“. Bereits 1998 hatte er begonnen, die aus dem 13. Jahrhundert stammende Wasserburg zur Eventlocation auszubauen. „Die Burg muss wirtschaftlich sein, damit die Familie sie unterhalten kann“, setzte sich der zukunftsorientierte Diplom-Kaufmann zum Ziel. Ein Jahr später fand bereits die erste Veranstaltung statt. Die Vorburg wurde zum Festsaal, der „Rote Salon“ in der Burg zum Standesamt mit eleganten Räumen für Empfang und festliche Diners. Aus dem ehemaligen Backhaus vor der Burg machte er mit einem modernen Anbau einen Pavillon für hundert ausgelassene Partygäste, dann wurden die Wirtschaftsgebäude in ein 3-Sterne-Superior-Hotel mit 21 stilvollen Zimmern für 46 Gäste umgebaut.

Auf der Website, wo die Welt noch in Ordnung ist, kann man zwischen antik eingerichteten Salons in der Burg und modernen, lichtdurchfluteten Sälen wählen. „106 Veranstaltungen im Jahr, manchmal drei Hochzeiten an einem Wochenende fanden hier statt. Außerdem war die Burg das Zentrum der Familie. Hier feierten wir unsere Hochzeiten, Taufen und Geburtstage“, erzählt das Familienoberhaupt voller Stolz. Gerade hatte er die letzten Renovierungsarbeiten beendet, feierte mit Freunden das Ende der Umbauarbeiten auf der Burg – zehn Tage später kam die Flut.

Hofgarten

Dienstag, 14. Juli 2021

Starkregen. Die Swist, ein kleiner Bach, der an der Burg vorbeifl ießt, schwoll an. Ein Grund zur Besorgnis schien dies jedoch nicht. „Wir wurden nicht gewarnt!“, betont die Baronin. Eine Verkettung von Fehlern und Desinformation, die heute ihr politisches Nachspiel hat.

Der Strom fiel aus, das Mobilfunknetz brach zusammen. Dann drohte die nicht weit entfernte Steinbachtalsperre zu brechen. Unmengen von Wasser wurden abgelassen, überschwemmten das gesamte Gebiet. Um 1.30 Uhr in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli trafen sich die Wassermassen aus drei Richtungen kommend bei der Burg: die Flutwelle aus der Talsperre, dazu die Swist, die zum reißenden Strom angeschwollen war, während im höhergelegenen Teil des Dorfes das Kanalsystem kollabierte. Wie Hütchen schwammen die Gullydeckel auf den ins Tal rauschenden Strömen, die sich schließlich im Burghof sammelten.

Es war eine apokalyptische Nacht, die auch Gudula v. Jordans um ihren Schlaf brachte. Als die Hotelmanagerin nach Mitternacht wieder einmal nervös aus dem Fenster ihrer Dachwohnung in der Hauptburg auf den Burghof schaute, sah sie das Wasser stetig steigen. Entschlossen stürmte sie zum Hotel, alarmierte die sieben dort schlafenden Gäste und lotste die verängstigte Schar ins Obergeschoss. Gerettet! Aber dann doch auf eine unerwartet lange Geduldsprobe gestellt. Erst am übernächsten Tag konnte ein Teil der Gäste mit dem Hubschrauber aus der Luft evakuiert werden.

Eine gefährliche Aktion, die die Rettungswacht in den Tagen nach der Flut häufig wiederholen musste. In Panik waren Bewohner überschwemmter Häuser auf ihre Dächer oder auch Bäume geflüchtet, mussten dort tagelang ausharren, bis sie endlich gerettet werden konnten. Auch auf dem Gut Vershoven, wo Sohn Paul mit seiner Familie lebt und die Landwirtschaft betreibt, war das Wasser bis zur ersten Etage gestiegen. Die elfjährige Josefine wird nie vergessen, wie ihr Vater mit einem Boot vor den Kinderzimmern anlegte, sie und ihre drei Geschwister befreite und zum Wohnsitz ihrer Großeltern ins Gut Capellen brachte. Seit der Flut lebt die Familie hier im ehemaligen Damenstift bei Dünstekoven in einer generationenübergreifenden Notgemeinschaft zusammen.

Anlage

„Alles weg, in nur 1½ Stunden!“

Erst am übernächsten Tag gelang es Ilka und Antonius v. Boeselager, mit dem Auto ins Überschwemmungsgebiet zu fahren. Fassungslos schauten sie auf die braune Seenlandschaft in und um die Burg. „Schafft man das? Macht es Sinn, das alles wieder aufzubauen? Und: Kann das wieder passieren?“, fragt sie sich, während ihr Mann verzweifelt wiederholt: „Weg, alles weg in eineinhalb Stunden!“

Doch die beiden sind stark, sehr stark – und sie sind versichert. „Wenn wir nicht versichert wären, könnte die Familie den Wiederaufbau nicht leisten“, erklärt Baron Boeselager mit Nachdruck. „Das wäre dann nach fast zweihundertjähriger Geschichte (seit 1825) das Ende der Boeselagers auf der Burg. Ich würde keinen Quadratmeter Landwirtschaft opfern, um das alte Gemäuer zu retten. Die Familie lebt von der Landwirtschaft – den Ast, auf dem man sitzt, sollte man nicht absägen.“

Gemäldegalerie

Woge der Hilfsbereitschaft

Die Tage nach der Flut waren geprägt von surrealen Bildern, Schreckensnachrichten und großer Verzweiflung – aber auch von einer Woge der Hilfsbereitschaft. Die jungen Landwirte aus der Umgebung schlossen sich zu einem Netzwerk zusammen, eilten mit ihren Schleppern, wohin sie gerufen wurden, und räumten von den frühen Morgenstunden bis spät in die Nacht Berge von Schlamm und Morast von Straßen, Höfen und Gärten. Die Wasserburgen entlang der Swist wie die Morenhoven, Burg Kriegshoven, Burg Peppenhoven, Burg Metternich, Burg Kühlseggen und Schloss Miel waren allesamt vom Hochwasser betroffen.

Wer verschont geblieben war und Platz hatte, nahm Flutopfer auf. Viele obdachlos gewordene Familien fanden in den Schlössern ringsum Unterschlupf. Das Technische Hilfswerk (THW) und die Feuerwehr arbeiteten rund um die Uhr, Freiwillige aus ganz Deutschland strömten ins Katastrophengebiet und beteiligten sich an den Aufräumarbeiten. Seelsorger und Hilfsdienste linderten die Not, wochenlang verteilten Gastronomen kostenlose Mahlzeiten auf den Straßen.

Sobald die Handys wieder funktionierten, häuften sich bei Boeselagers die Anrufe besorgter Verwandter und Freunde. Der westfälische Damenclub schickte eine Spende, das Hilfsangebot der rheinischen Ritterschaft lenkte Ilka Boeselager als bürgernahe, gut vernetzte ehemalige Landtagsabgeordnete der CDU an die Bedürftigsten im Ort weiter.

Die Anteilnahme tröstete, half jedoch nicht darüber hinweg, dass nichts mehr so war, wie es einmal war. Auf seinem Handy zeigt Boese lager Bilderserien von seiner Burg inmitten einer morastig braunen Wasserlandschaft. Man hätte verzweifeln können, er aber ging die enorme Herausforderung tatkräftig an.

Wiederaufbau

In den frühen Morgenstunden von Tag drei nach der Flut traf er einen jungen THWler, der sich als Retter in der Not erwies. Drei Stunden später rollte das THW aus Köln-Porz mit schweren Geräten Richtung Heimerzheim. Mit riesigen Pumpen und modernster Technik wurde das brackige Wasser aus der Burg gepumpt. Über einen Neff en bekam Boeselager Kontakt zu einer Baufirma aus Norddeutschland. Die schickten wenig später einen Tross von 74 Mitarbeitern unter der Leitung eines Stabsunteroffi ziers a. D. Nach dem „Morgenappell“ auf dem Parkplatz vor der Burg begannen die Aufräumarbeiten. Karawanen von Containern mit triefend nassen Polstermöbeln, Holzverkleidungen und Estrich wurden zur Deponie gebracht. Spezialisten kamen, um zu retten, was noch zu retten war. Möbel, Bilder und kostbare Teppiche, die die Flut überstanden hatten, wurden fachgerecht verpackt und in Köln eingelagert. Die Versicherung schickte Gutachter, die penibel genau das Ausmaß eines gigantischen Schadens protokollierten.

Baron Boeselager war vorausschauend. Er hatte die Burg gegen Elementarschäden versichert. Wer das nicht hat, und das betriff t leider viele Hausbesitzer im Katastrophengebiet, geht leer aus. Der Schaden auf der Burg Heimerzheim wird auf eine Summe von sechs bis zehn Millionen Euro geschätzt, rund zwei Millionen davon wurden bislang schon aufgewandt und ausgezahlt.

Seit Oktober surren die Heizlüfter im Dauerbetrieb, noch immer ist der Unterschied zwischen nasser und trockener Wand gut sichtbar. Hier und da bilden sich weiße, schaumartige Gebilde im Mauerwerk. Es sind die Salze, die das Gemäuer ausschwitzt, erklärt der Hausherr, der jetzt wieder einen Vollzeitjob als Bauleiter hat. In allen Gebäuden musste im Erdgeschoss der Estrich entfernt werden, jetzt werden die Böden neu isoliert. Alle Leitungen werden ausgetauscht und jetzt vorsichtshalber an der Decke entlang neu verlegt. Der Elektriker, der bislang die Burg betreute, hat kapituliert. Dieser Mammutaufgabe ist sein Betrieb nicht gewachsen. Auch sieben Monate nach der Flut ist von Normalität noch keine Spur. Viele haben das Geld für den Wiederaufbau noch nicht erhalten. Es gibt zu wenige Handwerker im Gebiet, das Baumaterial ist knapp. Glaser warten zehn Wochen auf Fensterglas, der Preis für Styropor ist um 60 Prozent gestiegen. Handwerker können keine Kostenvoranschläge machen, da sich die Preise für Baumaterialien beinahe täglich ändern.

Jeder Tag bringt neue Herausforderungen. „Wir haben erlebt, dass sich über Nacht das Leben total verändern kann. Nichts hat Bestand. Da lernt man, Demut zu zeigen, gegenüber dem, was man hat“, gibt mir Ilka Freifrau v. Boeselager mit auf den Heimweg.