Schloss Gottdorf

Das 2.„Weltwunder“ von Gottorf

In der äußersten nördlichen Ecke Deutschlands liegt Schloss Gottorf, das eines der umfangreichsten archäologischen Museen Deutschlands beherbergt. Die Ausstellungen sind nur noch dieses Jahr zu besichtigen – ab 2023 wird das Kulturhaus umfangreich umgebaut. Allerdings: Die Schlossanlage auf der Schlei-Insel kann weiter besucht werden.

Von Christian Personn

Schleswig als Mittelpunkt des Universums. 1698 war das so. Obwohl, na ja, in Wirklichkeit kreiste die Erde um Schloss Gottorf, im heutigen Schleswig, um genau zu sein. Im Schlossgarten stand ein runder Riesenglobus, innen begehbar, ausgeschmückt mit dem Sternenhimmel über dem Planeten Erde. Zumindest der, den die Menschheit im 17. Jahrhundert kannte.

Der Globus im Barockgarten war das erste Planetarium der Geschichte. Und es ist auch heute noch die Attraktion des Schlossgeländes. Allerdings als Nachbau des historischen Globus. Auch in diesen Tagen lädt der Globus seine Besucher ein, in der Kugel Platz zu nehmen und eine achtminütige Fahrt um die Erde machen: Zeitgemäß tauchen die Sterngucker nun allerdings auch mit einer futuristischen Virtual-Reality-Brille in die Geschichte ein – damit wird das Wirken der einst mächtigen Herrscher hier im Norden illustriert.

Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597–1659) ließ gemeinsam mit seinem Hofgelehrten Adam Olearius, einem der größten Erfinder seiner Zeit, ab 1651 den Globus planen und bauen – mit einem Durchmesser von 3,11 Metern entstand das bislang größte Modell von Erde und Himmel. Das sollte ihn europaweit berühmt machen. Die Technik war ausgefeilt: Eine wassergetriebene Mechanik im Keller drehte den Globus in 24 Stunden einmal um seine Achse. Außen befand sich eine kartografische Darstellung der Erde, innen konnten bis zu zwölf Personen auf einer harten Sitzbank bei Kerzenschein das dreidimensionale Modell des Sternenhimmels vorbeiziehen sehen.

Was veranlasste den Herzog im 17. Jahrhundert ein derartiges wissenschaftliches Gerät ins Zentrum seiner Selbstdarstellung zu rücken? Schlösser und ihre Parks dienten damals der Repräsentation – und sie sollten das Herrschaftsverständnis der Bauherren und Finanziers symbolisieren. Friedrich III. hatte sicherlich großes wissenschaftliches Interesse, das gehört zum guten Ton des Adels – aber er wollte noch mehr, wie viele Herrscher damals: in seinem Schloss ein Gesamtkunstwerk schaffen. Kunstkammern mit ungewöhnlichsten – oft auch wundersamen – Exponaten und umfangreiche Bibliotheken waren vor 300 Jahren en vogue.

Das Staunen und Bewundern als Reaktion der Betrachter, in dem Fall einer spektakulären Maschine, war also der Hauptzweck der Ausstellungen. Wir können sie auch als außeruniversitäre Forschungseinrichtung sehen, quasi als Vorgänger der Museen von heute. Eines wie das im Schloss Gottorf mit einer der ältesten archäologischen Sammlungen (über 3000 Objekte) Deutschlands.

Globus

Schleswig – und Holstein auf ewig vereint

Die Anfänge von Schloss Gottorf beherbergte eine Bischofsburg, die 1161 zur Überwachung des Landweges auf der Schlossinsel errichtet und 1268 unter Herzog Erich I. von Schleswig zur Herzogsburg wurde. Ab 1460 fungierte sie auch als Residenz der dänischen Könige. Der Hintergrund: Das Herzogtum Schleswig war ein Lehen der dänischen Krone, und Holstein gehörte als Reichslehen zum Heiligen Römischen Reich. Nachdem der dänische König Christian I. im Jahr 1460 zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein gewählt worden war, wurde die Unteilbarkeit Schleswigs und Holsteins festgelegt; und Christian richtete in Gottorf seine Residenz ein. Mehrere Brände im 15. und 16. Jahrhundert führten zu baulichen Veränderungen durch die dänischen Herrscher.

Ab 1544 diente die ehemals königliche Residenz dann als Hauptsitz der Herzöge von Schleswig-Holstein-Gottorf, es entsteht eine vierflügelige Festungsanlage nach schwedischem Vorbild. Denn die Gottdorfer fühlten sich nun stark mit dem Königshaus im hohen Norden verbunden. Dazu ein immer größer werdender Wunsch nach Autonomie belasteten das Verhältnis zum nahen Nachbarn Dänemark. Doch das Herzogtum hatte auf den falschen Verbündeten gesetzt: Schweden verlor, und Dänemark siegte im Großen Nordischen Krieg um die Vorherrschaft im Ostseeraum und besetzte 1713 wieder das Herzogtum Schleswig. Das Schloss stand von nun an unter dänischer Verwaltung. Nach dem Krieg zwischen Dänemark und den Herzogtümern Schleswig und Holstein 1848 diente das Schloss erst als dänische und nach der Niederlage Dänemarks gegen Preußen und Österreich im Jahr 1864 als preußische Kaserne. So blieb es, im Zweiten Weltkrieg dann wurde das Gebäude als Auffanglager für Flüchtlinge genutzt.

Sternzeichen

Der Grundriss blieb vom 18. Jahrhundert an unverändert

Der dreigeschossige barocken Südflügel mit seinem turmartigen Mittelrisalit beherbergt das Eingangsportal. Hinter dem imposanten Südflügel dehnt sich eine vierflügelige Renaissanceanlage um einen rechteckigen Innenhof aus, welche nach dem Vorbild der ursprünglichen Bischofsburg angelegt wurde – von der sind aber nur wenige Gebäudeteile unter dem Innenhof erhalten geblieben.

Von außen, besser von oben, betrachtet, sticht aber heute als optisches Highlight der restaurierte Barockgarten hinter dem Schloss hervor (siehe unten Kasten). Die heutige Pracht verdankt die Anlage auch der Existenz des neuen Globushauses mit dem Nachbau des Geräts, am Anfang der Terrassen. Es ist eine Reminiszenz an den „alten“ Globus. Der war 1713 von hier fortgeschafft worden: Der russische Zar Peter I. hatte 1713, als Verbündeter des siegreichen Dänen-Königs Friedrich IV., den Globus als „Kriegsgewinn“ eingefordert. Der Transport der damals als „Weltwunder“ gefeierten Installation nach Petersburg geriet zu einer schwierigen Staatsaktion über drei Jahre: In den Kriegswirren konnte das vier Tonnen schwere Teil nicht über die Ostsee verschiff t werden. Also wurde es mit Schlitten, in zwei Holzkisten verstaut, über 300 Kilometer durch Sümpfe und über Flüsse bewegt. Dafür war starker Frost nötig, sonst wäre das Teil in dem nassen Untergrund, z. B. bei Tallin, eingesackt. Immer wieder mussten deshalb Bäume gerodet und Wege geebnet werden, damit die riesigen Schlitten mit den Kisten von Hunderten von Bauern gezogen werden konnten. Bis der Globus dann 1726 in der Petersburger Kunstkammer eine wirkliche Heimstatt fand, ging viel Zeit ins Land. Erst wurde das Gerät vergessen, blieb eingemottet stehen, wurde neu als Weltwunder entdeckt und aufgebaut, brannte mehrfach ab – und die Herrscher ließen es immer wieder restaurieren.

Die deutsche Wehrmacht erinnerte sich 1942 an die Berühmtheit des Globus und brachte ihn ebenso aufwendig wie die Russen zurück nach Norddeutschland. Doch die Briten übergaben – nach dem Ende des Krieges – das inzwischen schwer beschädigte Gerät an die Sowjets zurück, und so ging der Globus ein zweites Mal auf Reisen, jetzt nach Leningrad. Dort steht er bis heute in der weltberühmten Eremitage, endgültig bis 1986 aufwendig restauriert.

Auch in Schleswig lockt der Globus – allerdings als Rekonstruktion – wieder Tausende von Besuchern an. Großzügige Spenden hatten den 2005 fertiggestellten Nachbau als „astronomisches Wunderwerk“ möglich gemacht. Der darum herum rekonstruierte Barockgarten wurde 2007 wiedereröffnet, in Sichtweite zum Gottorfer Schloss, das für sich gesehen schon eine Attraktion ist – durch die Ausstellung in Dutzenden von Museumsräumen noch mal mehr einen Besuch lohnt.

Schlosskapelle

Ein Kaleidoskop der Kultur

Von den rund 120 000 Exponaten des Museums werden ausgewählte Kunstwerke und Objekte auf mehr als 15 000 Quadratmetern präsentiert. Die Sammlung enthält wahre Schätze und reicht von Kirchenkunst aus dem Mittelalter bis hin zu zeitgenössischer Malerei, von Möbeln bis hin zum Kunsthandwerk. Hervorzuheben sind die Fayencen des Ostseeraums, die Gemälde von Lucas Cranach.

Das Museum für Archäologie Schloss Gottorf präsentiert mehr als zehn Millionen Funde aus 80 000 Jahren Menschheitsgeschichte. Viele davon sind im nördlichsten Bundesland entdeckt worden. In seinen Ausstellungen zeigt das Museum ausgewählte Exponate, darunter sind so spektakuläre wie das Nydamboot und die Moorleichen, zu denen auch das Kind von Windeby zählt. Das passt zu den Ausgrabungsausstellungen u. a. aus der Wikingerzeit wenige Kilometer entfernt, das besonders mit dem Dorf Haithabu Besucher von überallher anlockt.

So schließt sich der Kreis, zumindest in Sachen Archäologie. Schleswig eben als Zentrum der Welt.