
Der Retter von Schloss Gröditz
Der Schweizer Beatus v. Zenker führte das Schloss seiner Vorfahren in eine neue Zukunft. Jetzt sucht er einen Nachfolger.
Von Comtesse Dr. Bettina de Cosnac
Ungefähr alle sechs Wochen fährt Beatus v. Zenker von seiner Heimat Neuchâtel in der Schweiz rund 1000 Kilometer gen Osten, nach Weißenberg im östlichsten Teil Sachsens. Dort restauriert er das Schloss seiner Großtante Gerda v. Krauss geb v. Zenker. Die Reise ist kein Urlaub, sondern ein Kraftakt. Ein arbeitsintensiver, 14-tägiger Aufenthalt, der von seiner aus der romanischen Schweiz stammenden Frau Laurence und seinen beiden Kindern seit über 15 Jahren mitgetragen wird. Jetzt steht die Familie an einem Wendepunkt – Beatus v. Zenker sucht einen neuen Besitzer für das sanierte und wirtschaftlich genutzte Schloss.
Schloss Gröditz ist sein Lebenswerk. Per Zufall wurde der erfolgreiche Consultant zum Schlossherren mit großen Herausforderungen. Als ihm seine Sekretärin erzählte, dass in der ehemaligen DDR viele Schlösser von enteigneten Familien zurückgekauft werden, wurden bei Beatus v. Zenker Erinnerungen wach. Er war größtenteils bei seiner Großmutter aufgewachsen. Sie hatte ihm leidenschaftlich gern und oft die „alten“ und „schönen“ Geschichten von ihrer Heimat, den Rittergütern und Familienschlössern, darunter auch Gröditz, erzählt. „Die ,Geschichten von früher‘ und die dazugehörenden Fluchtgeschichten haben uns bis in die heutige Generation geprägt“, sagt v. Zenker.

Doch als er, von Neugierde gepackt, sich mit seiner Frau 1990 nach Gröditz in das Haus der Schwester seines Großvaters aufmachte, fand er vom gepriesenen „Schönen“ keine Spur. „Ich landete in einer Heilanstalt. Und war entsetzt!“ Aber: Der Kirchturm wurde gerade restauriert. Für Zenker ein Zeichen, dass Schloss, Dorf und Umgebung zusammengehörten und immer zusammengehen mussten. Mit ihm? „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich engagieren würde“, gesteht er ehrlich, wo andere vielleicht flunkern und sich auf eine tief verankerte Familienpflicht berufen würden.
Aber 2006, 16 Jahre nach dem ersten Besuch, zogen die bisherigen Bewohner aus. Beatus v. Zenker, der sich schon bei der Restaurierung von Kirchen mit einer historischen Familienloge engagiert hatte, stand vor der Wahl: „Entweder du schaust zu, wie das Schloss geplündert wird und zerfällt, oder du engagierst dich.“ Trotz familiärer Warnungen und der „großen Gefahr, dass es nicht klappt“, wagte er den Sprung ins Unbekannte. „Ich konnte mir dann zumindest sagen: Du hast es versucht!“
Und es gelang. Mühsam, Schritt für Schritt
Der Vorteil war, dass der studierte Nationalökonom und Jurist nicht nur rechnen konnte, sich mit Gesetzen, Ämtern, Personalentwicklung und Unternehmensführung auskannte, sondern just zu diesem Zeitpunkt als Quereinsteiger im Schweizer diplomatischen Dienst, im „Amt des Äußeren“, für besondere Projekte arbeitete. Das gab dem „Diplomaten auf Zeit“ die Zeit, sich nebenbei um den Besitz in der ehemaligen DDR zu kümmern.
Die Sanierung
Ein so großes Projekt wie der Wiederaufbau von Schloss Gröditz kann nur gelingen, wenn viele an einem Strang ziehen. Dessen war sich v. Zenker bewusst und hielt darum schon bald seine erste Informationsveranstaltung in einem Saal des Schlosses ab – umringt von 80 Krankenhausbetten und „25 Eisenbahnwagons an Schutt und Dreck“. Der nächste Schritt war die Konzept entwicklung. Das Schloss musste bekannter gemacht werden und einen höheren Stellenwert erreichen, um Subventionen und Unterstützung auch aus denkmalpflegerischer Sicht zu bekommen.

Gröditz kam erst 1894 in die Familie
Das Glück seiner Geschichte war, dass der Besitz nach einem Brand von 1920 bis 1933 neu aufgebaut und überformt wurde. Und dies von einem Architekten, der bereits für Kaiser Wilhelm II. gearbeitet hatte. Eine in Auftrag gegebene Schweizer Masterarbeit (Fachbereich Architektur und Geschichte) förderte über 700 Pläne des Schlosses und Parks zutage. Der Fund wurde Basis für die weitere Restaurierung, Möblierung und historische Anerkennung. Kurioserweise lagerten die Pläne dafür in einem Archiv in Braubach, Rheinland-Pfalz.
Beatus v. Zenker, von Haus aus Unternehmer, gründete eine Stiftung und den Förderverein Pro Gröditz e. V. Er lernte, viele Brücken zu bauen und Misstrauen gegenüber dem Fremden, noch dazu einem ferner Schweizer, abzubauen. Er lernte, „über den größten Mist“ zu lachen, und übte sich in Geduld. Mühsame Detailarbeit, wie die extreme Zerstückelung des Grundstücks in eine Einheit zurückzuführen, wurde durch Entdeckungen wie Druidengräber, einen wendischen Schatz, Spuren des Schlosses aus dem 12. Jahrhundert kompensiert. Er warb um Ein-Euro-Jobber und Ehrenamt, eher ein „Fremdwort“ in der ehemaligen DDR. Als passionierter Dressurreiter wusste Beatus v. Zenker, dass ein Lebewesen sanfte Zähmung braucht. Von ihm organisierte Dorffeste erleichterten die schrittweise Annäherung. „Zwölf Jahre dauerte es, bis ich akzeptiert wurde. Aber wir im Westen und vor allem in der Schweiz hatten auch keine Ahnung, was die Menschen in der DDR und nach der Wende durchgemacht hatten, wie sie betrogen wurden.“
Als Hauptmann im Schweizer Militär kannte Zenker auch die „konsequente Vorstellung einer Bedrohung“ durch die DDR. „Es war klar, sie würden über Basel einfallen …“, so der erlernte Diskurs, geprägt vom politischen Denken des Kalten Krieges. Zwei Ideologien prallten aufeinander und mussten täglich revidiert werden. Wobei im ehemaligen Osten „jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wurde“ und das schweizerische nochmals anders als das westdeutsche Vokabular war. Fremdwörter und fremde Worte führen leicht zu Missverständnissen.
War es anfangs die eigene deutsche Familiengeschichte, die den Schweizer antrieb, so veränderte sich im Laufe der Jahre sein Interesse. „Heute sind es die Menschen, die Freude, etwas aufzubauen, und die allgemeine Geschichte.“ Und auch der Reiz, die eigene Geschichte neu zu schreiben.

Pilgerherberge im Schloss
Im Lauf der Jahre wurde Beatus Zenker zum Meister im Aufbau von Netzwerken und der Konzeptentwicklung. Er ist im Vorstand des Fördervereins Pro Gröditz e. V., der nicht nur das Schloss, sondern auch ein vom Verein entwickeltes Naturschutzgebiet unterstützt.
Der Jakobs-Pilgerweg wurde durch das Gebiet gelegt und eine Pilgerherberge im Schloss eingerichtet. Beide Initiativen erwiesen sich als gutes Marketing. Darüber fand der Schlossherr auch die tatkräftige Unterstützung der Ärztin Dr. Gudrun Hetzel. Einst hatte er ihr persönlich den begehrten Pilgerstempel ins Heft gedrückt und sie durch den halb verfallenen Besitz geführt. Heute wohnt die Ärztin in einer Wohnung im Schloss und macht Führungen.
Individuelle Führungen
Mittlerweile gibt es mehrere Führer, die Besucher durch das Schloss begleiten. Jeder von ihnen hat seine eigenen Schwerpunkte. Führt Beatus v. Zenker Besucher durch Schloss Gröditz, erzählt er die Familiengeschichte, weist auf die Technik hin und schildert seine spartanischen Anfänge „in einem feuchten Zimmer, mit nur einer Matratze und seinem Militärrucksack.“
Eine ehemalige Krankenpflegerin in der DDR gibt hingegen ihre Erfahrungen über das Leben in der Heilanstalt preis; eine Dorfbewohnerin schildert ihre Erlebnisse, und Norbert Pikord, langjähriges, erstes Mitglied des Fördervereins, berichtet über das gemeinsame Wachsen.
Die unterschiedlichen Perspektiven ergeben eine interessante Mischung, die sich auch im „Museum für Adelskultur“ widerspiegelt.Das ganze Schloss ist mittlerweile ein Museum, bis auf die Hochzeitssuite, die der Schlossherr inzwischen selbst bewohnt. Die übrigen rund 1800 Quadratmeter sind den Besuchern zugänglich und teilen sich in unterschiedliche Bereiche auf. Die ausgedehnte Besichtigung führt bis unters Dach, wo sich ein „Museum für Medizinalgeräte“ befindet. Nach dem Rundgang kann man sich im Schlosscafé stärken.
Wann immer v. Zenker dachte, es geht nicht mehr, kam unerwartete Hilfe. „Die, die anfangs nur darauf spekulierten, dass sich der fremde Schweizer ruinierte, halfen plötzlich bei großen Katastrophen. Etwa als es keine Fördermittel mehr gab.“ Er bekam passendes Mobiliar im Stil des Historismus geschenkt, fand Originale wie Vasen. Jemand vermachte ihm sogar per Testament eine Kommode von Clara Bienert, die früher in Schlossbesitz war und ihm als Flüchtling zugeteilt worden war. Alte Aquarelle und kunsthistorische Beschreibungen halfen, die Inneneinrichtung nachzuempfinden.
Das Oberlausitzer Kammermusikfest kam als neustes Projekt dazu
Schlossherr Beatus v. Zenker freut sich, dass er mit den Konzerten des Kammermusikfestes Oberlausitz wieder an familienhistorische Bande anknüpfen kann, die seine Vorfahren mit denen des Festivalintendanten Dr. Hagen W. Lippe-Weißenfeld verbinden. Dessen Großeltern Ferdinand Prinz zur Lippe-Weißenfeld und Dorothea Prinzessin zur Lippe-Weißenfeld, Prinzessin v. Schönburg-Waldenburg, Eigentümer von Schloss Baruth, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Schloss Gröditz gelegen, waren einst enge Freunde der Großtante von Beatus v. Zenker, Gerda v. Krauss geb. v. Zenker und regelmäßig auf Schloss Gröditz zu Gast. Die freundschaftlichen Beziehungen „von Haus zu Haus“ sind wieder belebt und werden auch in Zukunft fortgeführt. In eine noch ungewisse Zukunft dagegen geht, wie eingangs geschrieben, Schloss Gröditz.
16 Jahre hat Beatus v. Zenker an der Geschichte des Schlosses und der Familie aktiv mitgewirkt. Trotz der investierten Millionen und Tausenden von Arbeitsstunden nebst angespannten Nerven bereut er nichts. „Aber die eigenen Kinder sind mit einer anderen Geschichte groß geworden. In der Schweiz.“ Sie haben kein Interesse daran, das Erbe zu übernehmen.
Beatus v. Zenker sucht jetzt einen Interessenten oder eine Interessentin für Schloss Gröditz und den Förderverein. Jemanden, der die bereits entwickelte Konzepte fortführt, aber durchaus auch bereit für Neues ist.
Ein „Antrittsbesuch“ zum gegenseitigen Kennenlernen und zur Einstimmung könnte beispielsweise am 12. September 2023 beim Liederabend mit Rafael Fingerlos, Bariton, und den Klängen von Brahms im Rahmen des Kammermusikfestes erfolgen.
Infos zu Schloss Gröditz: schloss-groeditz.business.site
Infos zum Kammermusikfest in der Oberlausitz: kammermusikfest-oberlausitz.de