marchesi

Eine Perle im Piemont

.Max und Lidia Graf und Gräfin v. u. zu Trauttmansdorff-Weinsberg führen unsere Autorin Dr. Maria Harmer durch das jahrhundertealte Weingut Marchesi Alfieri

Weinberge und gewundene Straßen. Schon der Weg nach San Martino Alfieri ist eine Einstimmung auf mein Ziel: das prachtvolle barocke Castello, Zentrum des Weinguts Marchesi Alfieri, ungefähr auf halber Strecke zwischen Alba und Asti, oberhalb der kleinen mittelalterlichen Ortschaft auf einem Hügel. Die riesigen Zedern, Eichen, Linden und eine einzige, gewaltige 300 Jahre alte Eiche sind prägende Elemente des fünf Hektar großen Parks, der 1815 vom preußischen Landschaftsarchitekten Xavier Kurten in Form eines englischen Gartens angelegte wurde.

Vor mehr als 30 Jahren war ich zum ersten Mal hier auf einem Fest, im vergangenen Jahr haben wir gleich zweimal hier getanzt: bei einer Hochzeit und einem runden Geburtstag.

Der Kies knirscht unter den Schuhen, Max und Lidia Graf und Gräfin Trauttmansdorff-Weinsberg führen mich über den Hof in die elegante Orangerie – ein Meisterwerk des piemontesischen Barock –, an der sich duftende blühende Kletterrosen emporranken. Viel Licht fällt durch die großen Fenster in die Orangerie, in der die Zitronen- und Orangenbäume überwintern.

„Man kann sie noch förmlich riechen“, schmunzelt Lidia Gräfin Trauttmansdorff-Weinsberg geborene Contessa Rossi di Montelera, „doch das für mich Besondere hier ist das Gesamtkonzept, das Zusammenspiel von historischer Architektur, dem Wein- und Gästebetrieb, unserer Familie und den Menschen im Ort, das über lange Zeit gewachsen ist und sich gegenseitig befruchtet.“

Max Graf v. Trauttmansdorff-Weinsberg

Stars im Keller

Fruchtig sind auch die Weine. Seit 1696 wird auf dem Gut Wein produziert. 30 Hektar Reben sind aktuell im Besitz des Weingutes, 18 Hektar sind mit Barbera bepflanzt, einer der Leitsorten aus der Region, dem Piemont.

„Hier ist ein Schluck von unserem Genusswein, den wir gern und häufig trinken“, sagt Max Graf Trauttmansdorff-Weinsberg und gießt „La Tota“ in unsere Gläser. Die rubinrote Flüssigkeit funkelt im Glas, und die Aromen gehen in Richtung reifer Pflaumen und leichter Vanille. „Mein absoluter Lieblingswein ist ein ,Barbera Alfiera Superiore‘“, ergänzt seine Frau, die er hier in San Martino vor mehr als 30 Jahren geheiratet hat. „Er heißt ,Carlo‘, benannt nach dem letzten männlichen Alfieri und ist etwas ganz Spezielles.“

Der letzte männliche Alfieri, ein Geschlecht, das die Geschichte des Piemont mitgeprägt hat. Als Nachkommen der Familie Alfieri führen heute die drei Schwestern Emanuela, Antonella und Giovanna San Martino di San Germano den Betrieb. „,Die Vergangenheit schätzen, ohne die Zukunft aus den Augen zu verlieren‘ ist unser Motto“, erklärt die Tochter bzw. Nichte Lidia nicht ohne Stolz. Konkret äußert sich das in der umsichtigen Erhaltung und liebevollen Restaurierung der Gebäude und in steter technischer Innovation bei der Erzeugung des Weines. Das Ehepaar führt mich aus der Orangerie in den Hof, erläutert das Prozedere von der Traube bis zur trinkfertigen Flasche. „Die Trauben werden von Hand gelesen, jeder Weingarten separat und getrennt vinifiziert“, betont Max, der in Wien an der Universität für Bodenkultur Landwirtschaft studiert hat. Das Piemont ist vor allem für seine unglaublichen Rotweine, für Barolo, Barbaresco und Barbera bekannt. Insgesamt gibt es im Piemont mehr als hundert verschiedene Rebsorten, von denen die meisten hier heimisch sind. „Unsere vier wichtigsten Sorten im Betrieb sind neben dem Barbera der Pinot noir, Grignolino und Nebbiolo.“

Lichtdurchflutete Salons

Der Nebbiolo ist nicht nur edel, sondern auch alt: Schon Plinius der Ältere nannte die Rebsorte „nubbiola“, was ein lateinischer Verweis auf den Nebel ist, der sich häufig im Herbst, wenn gelesen wird, über die Weingärten des Piemonts legt. Weinproduktion aber ist, das wird mir bei ihren Erklärungen schnell klar, weniger theoretisches Wissen als vielmehr Liebe, Passion und Handwerk. „Um gute Qualität zu erlangen, muss der Ertrag streng reduziert werden. 65 bis 70 Prozent der Arbeit passiert im Weingarten, und da muss man sehr achtsam sein und alles mit der Hand machen. Rebe für Rebe werden überschüssige Blätter weggeschnitten, um den reifenden Trauben genug Licht aber auch ausreichend Schatten zu gewähren. Der Klimawandel ist eine große Herausforderung für uns Weinbauern. In den letzten Jahren hatten wir leider sehr wenig Niederschlag.“

„Wir probieren, so biodynamisch wie möglich zu arbeiten, so wenig wie möglich zu spritzen, sind aber kein Biobetrieb“, ergänzt Lidia.

Das Ehepaar zeigt mir die Stahltanks, erklärt, dass sie so gut wie nie pumpen müssen, weil die Kellerstruktur von oben nach unten geht. „Das heißt, oben werden die Trauben angeliefert und der Most fließt dann sozusagen einen Stock tiefer. Eine super Konstruktion, da haben sich die Vorfahren schon etwas ausgedacht“, lobt Max Graf Trauttmansdorff-Weinsberg und führt mich weiter in den Keller, in das Herzstück des Betriebes.

Der historische Fasskeller liegt unterhalb der Orangerie und beherbergt etwa 250 französische Eichenfässer. Wir gehen durch die aus Ziegeln gebauten Räume mit gewölbter Decke in den Reifekeller, der in den alten Stallungen des Betriebes untergebracht ist. Ständig schweift der Blick von Max und Lidia Trauttmansdorff-Weinsberg kritisch über die Fässer. Einige kommen von der Fassbinderei Stockinger aus dem österreichischen Waidhofen an der Ybbs und genießen in Fachkreisen einen ausgezeichneten Ruf.

„Hier lagern die Barbaras und Nebbiolos – je nach Sorte – zwischen acht, zwölf oder auch bis zu 20 Monate in Eichenfässern. Dann wird der Wein in Flaschen abgefüllt und liegt nochmals ein halbes Jahr oder ein Jahr, bis er in den Handel kommt.“

Die Temperatur im Keller ist gemäßigt, die Atmosphäre eindrucksvoll. Im 14. Jahrhundert wurde die Kellerei erstmals erwähnt, das Weingut Marchesi Alfieri zählt zu den ältesten im Piemont. Aktuell werden jährlich etwa 150 000 Flaschen abgefüllt, rund 65 Prozent davon ins Ausland verkauft. „Wir haben uns mit dem Barbera einen Namen gemacht und sind stolz, unsere Weine inzwischen weltweit zu verkaufen.“ Verantwortlicher Önologe des Weingutes ist seit vielen Jahren Mario Olivero. „Seit die männliche Linie Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist, haben die Frauen hier das Sagen“, schmunzelt der zwei Meter große Österreicher. „Dieser Ort war immer, immer in privaten Händen, wurde nie verkauft und ist ununterbrochen in der Familienlinie geblieben“, ergänzt seine Frau, „und nun sind es drei Schwestern, meine Mami Emanuela, Giovanna und Antonella San Martino di San Germano, die hier alles übernommen haben und diesen Betrieb quasi wieder aufgebaut haben. Ihre ersten 10 000 Flaschen haben sie im Jahr 1990 produziert. Max und ich dürfen nun diese Verantwortung als nächste Generation mittragen.“

Das Ehepaar, das fünf Kinder und bereits zwei Enkelkinder hat, führt mich in die alte Schlossküche im Keller. „Jetzt schaut sie ein bisschen aus wie in ,Downton Abbey‘“, lacht Lidia. „Lange war es eine Rumpelkammer, vor Kurzem haben wir den Originalzustand wieder hergestellt, daneben neue Degustationsräume eingerichtet und eine komplett neue Showküche mit Blick in die alte Schlossküche dazugebaut.“ Hier verbindet sich Geschichte und Gegenwart, Romantik mit der in der Weinbranche erforderlichen Hygiene.

Orangerie

Trüffelsuche im Schlosspark

Neben dem Wein ist auch die weiße Trüffel eine absolute Spezialität der Gegend, die Trüffelmesse in Alba jedes Jahr im November ist legendär – die „Tartufo bianco d’Alba“. In der Erinnerung an ein köstliches mehrgängiges, von Lidia gekochtes Trüffel-Essen läuft mir das sprichwörtliche Wasser im Mund zusammen. Eierspeise mit Trüffeln, Spaghetti mit Trüffeln, Tatar mit Trüffeln … Unvergessen auch die Trüffelsuche mit einem speziell dafür ausgebildeten Hund im Schlosspark. „Unser Gärtner und sein Trüffelhund sind herrlich!“, bekräftigt Lidia und ergänzt: „Trüffeln passen eben ganz besonders gut zum Barbera und zum Barolo. Unsere Trüffel und ein Glas ,Carlo Alfieri‘ – mehr braucht man nicht!“

Antike Möbel, modernes Bad

Max und Lidia möchten mir noch die teils renovierten Gästezimmer zeigen. Elf Doppelzimmer gibt es insgesamt, davon vier in „La Margherita“, einem traditionellen piemontesischen Bauernhaus im Park. Nur wenige Schritte vom Weinkeller selbst entfernt beherbergt die weitläufige Residenz sieben weitere elegante Zimmer. „Jeder, der Wein getrunken hat, kann sich ein Zimmer mieten, wenn er nicht mehr weiterfahren will“, reißt mich Lidia Gräfi n Trauttmansdorff-Weinsberg aus meinen kurz abgeschweiften Gedanken und erzählt sprudelnd von Individualreisenden, Firmen, Gourmet- und Freundesgruppen, die die Zimmer mieten.

Sie öffnet die Tür zum Gästezimmer mit dem Namen „Barbera“. Ein sehr geräumiges Schlafzimmer mit einem großen Doppelbett; antike Möbel und ein modernes Bad, daneben ein kleiner Salon mit einem Kamin. „Eine Flasche Alfiera Barbera d’Asti Superiore, die wäre jetzt genau die richtige, um sie hier am Kamin auszutrinken!“, schwärmt der Hausherr und kontrolliert mit Kennerblick jedes Detail.

„Wir sind Teil eines Teams, jeder packt an“, sagt seine Frau wie zur Erklärung. Liebe und Leidenschaft sprechen aus den Worten von Max und Lidia Trauttmansdorff-Weinsberg. Mittlerweile verbringen sie die Hälfte des Jahres in ihrem österreichischen Zuhause östlich von Wien und die andere Hälfte hier in San Martino Alferi.

„Meine Mutter war schon als Kind viel hier“, erzählt Lidia. „Meine drei Schwestern und ich sind in Genf in die Schule gegangen, meine Mutter ist gependelt. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten und mit der Intensivierung unseres Engagements haben wir diesen Ort unglaublich schätzen und lieben gelernt!“

Wir gehen zurück Richtung Orangerie. Von der Terrasse hat man einen prachtvollen Blick auf die umliegenden Hügel, auf die Weingärten und hinunter in den Ort. Mein Blick schweift durch den Park, zu den Zedern, Eichen und Linden, bleibt hängen an der alten andalusischen Tanne. Im Schatten dieser Bäume fand vor vielen Jahren der Empfang nach der Hochzeit von Max und Lidia statt, zwei Töchter haben mittlerweile hier geheiratet, nun spielen die Enkelkinder im historischen Park. „Die Vergangenheit schätzen, ohne die Zukunft aus den Augen zu verlieren“ – treffender als im Motto des Familienbetriebes kann man es wohl kaum zusammenfassen.