
600 Jahre im Galopp
In ihrem Ferienpark im Cuxland bieten die Freiherren Marschalck v. Bachtenbrock ihren Gästen Entschleunigung in der Natur und Aktivitäten rund ums Pferd – und folgen damit einer jahrhundertelangen Familientradition.
Von Henrike Frfr. v. Speßhardt
Uns gab’s nie ohne Pferde!“, ruft Clemens Freiherr Marschalck v. Bachtenbrock, als er am frühen Morgen das Tor zur Koppel öffnet und zehn ausgelassene Rösser glücklich in Richtung Deichwiesen galoppieren. Noch liegen Nebelschwaden über der weiten Landschaft am Rand der Oste, dem linksseitig längsten Nebenfluss der Elbe in Niedersachsen. Bald werden erste Sonnenstrahlen den Boden zum Dampfen bringen und später die Schleier der kalten Nacht vertreiben. „Der Frühling steht endlich vor der Tür“, sagt Clemens v. Marschalck, dessen Familienname zugleich Programm ist – und das seit vielen Hundert Jahren. Denn das Wort Marschalck leitet sich etymologisch von der althochdeutschen „marah“, also der Mähre, und seinem Diener, dem „scalc“, ab. Bezeichnet wurden so ursprünglich Hüter einer Koppel bzw. die Pferdeverantwortlichen eines Herrschers. Und davon hat Clemens v. Marschalck einige im Stammbaum. 1142 erstmals mit Johann v. Bachtenbrock und dessen Sohn Sibode Marschalck urkundlich genannt, hatte der jeweils Älteste des Geschlechts seit spätestens 1435 das Hofamt des Erbmarschalls im Erzbistum Bremen, später im Herzogtum Bremen inne und führte den Zusatz „von Marschalck“. „Der Erzbischof regierte damals von Bremervörde aus, und das lag nur rund eine Pferdestunde von den hiesigen Weiden entfernt“, erklärt Clemens v. Marschalck.

Benachbarte Stammsitze
Drei kleine Orte in unmittelbarer Nähe zueinander spielen für die Geschichte des bremischen Uradelsgeschlechts eine Rolle: Kranenburg, eine Ansiedlung rechts der Oste, erster ehemaliger Wohnsitz der Familie mit einer Burganlage, die unter General Tilly im Dreißigjährigen Krieg zerstört und später geschleift wurde, sowie Klint, am gegenüberliegenden Ufer der Oste, das einstige Vorwerk der Burg. Früher stand hier Schloss Geesthof, geplant 1869 durch die Erweiterung von Vorgängerbauten von einem italienischen Architekten. Doch dieser unterschätzte die nordischen Wetterverhältnisse fundamental, sodass Schloss Geesthof bereits 1895 derart von Hausschwamm durchzogen war, dass man es abreißen musste. Die Familie nutzt seither den dritten historischen Familiensitz, das Anfang des 19. Jahrhunderts entstandene und um 1900 umgebaute Rittergut Hutloh in Hechthausen. Dort leben heute Clemens Freiherr Marschalck v. Bachtenbrock (*1973) und seine Frau Ute (*1975) mit den drei Töchtern Ella (*2007), Kirsten (*2009) und Isabel (*2015). Bis auf gelegentliche Besuche von Hochzeitsgästen, einer der Salons ist Außenstelle des Standesamtes, kommt die Familie hier zur Ruhe. Drei Kilometer weiter dagegen tobt auf dem ehemaligen Gelände von Schloss Geesthof in ihrem Ferienpark Geesthof ganzjährig das Leben. Auch Senior Hubertus Freiherr Marschalck v. Bachtenbrock (*1943) ist noch gelegentlich für dieses Großprojekt tätig, das er zu Beginn der 1970er-Jahre – neben einer Landwirtschaft – ins Leben rief. Auf 25 Hektar am Rande der Oste schuf er einen Naherholungswohnpark mit Reiterhof. Jahr für Jahr entstanden neue Holzhäuser und Stellplätze für Campingwagen auf dem birkengesäumten Gelände. Nach der Hochzeit 2006 übernahmen Ute und Clemens v. Marschalck den auf fast 50 Häuser und Blockhütten angewachsenen Ferienpark.

Vom Arztkittel zur Arbeitshose
Dabei war der Berufsweg beider zunächst ein vollkommen anderer. Die geborene Hannoveranerin Ute v. Marschalck hatte nach dem Studium in Göttingen als promovierte Zahnärztin im nahen Horneburg gearbeitet, Clemens sein Medizinstudium mit Stationen in Göttingen, Berlin und New York ebenfalls erfolgreich mit dem dritten Staatsexamen abgeschlossen. „Ich habe allerdings schon während des Praktischen Jahrs festgestellt, dass der Klinikalltag eher nichts für mich ist“, sagt er. Eine Zeit, die er als Arzt in einer New Yorker Klinik verbrachte – und dadurch Zeuge des schrecklichen Attentats auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde. Damals half er unmittelbar vor Ort, Überlebende medizinisch und psychisch zu betreuen. „Auch das war sicherlich Anlass für mich, darüber nachzudenken, wo genau es im Leben eigentlich hingehen sollte. Ich verspürte zunehmend den Ruf der Scholle, zumal keines meiner fünf Geschwister damals den Betrieb weiterführen wollte. Klar war das auch Verpflichtung. Aber eine, die Ute und ich letztendlich gern gemeinsam angenommen haben.“ Nach der Übernahme brachten beide schnell eine eigene Note in den Betrieb ein, trennten sich auch von einigen der vielen Konzepte der Elterngeneration. Den Hausbooten auf der Oste beispielsweise, die extrem wartungsintensiv waren. Oder der Landwirtschaft, die heute verpachtet ist. Kerngeschäft bildet mittlerweile ein Forst, ein Weihnachtsbaumverkauf und natürlich der Ferienpark. Ihm angeschlossen sind ein großer See im ehemaligen Sandabbaugebiet, ein kleines Schwimmbad für trübere Tage und zwei große Reithallen. 20 Pferde sind hier im Einsatz. Das Alleinstellungsmerkmal „Ferienpark mit Reitschule“ zieht vor allem Familien mit Kindern aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen an. Manchmal kommt Besuch aus den Niederlanden oder Dänemark. Die Preise rangieren von 70 Euro pro Nacht für ein kleines Chalet im Winter bis hin zu 265 Euro für ein Sommerhaus, wobei der Mindestaufenthalt im Winter bei zwei, im Sommer bei sieben Nächten liegt. Vermarktet wird vor allem über die eigene Homepage. Bei voller Auslastung können v. Marschalcks rund 370 Gäste bei sich unterbringen. „Wir sind damit einer der größten Betriebe dieser Art in Deutschland“, sagt Clemens v. Marschalck nicht ohne Stolz. 2016 haben er und seine Frau weiter aufgerüstet und zehn große, ochsenblutfarbene Ferienhäuser an den ehemaligen Baggersee bauen lassen, die bis zu acht Personen Platz bieten und über eigene Saunen verfügen. „Die kommen bei den Familien großartig an, weil sie durch Aussehen und Lage ein wenig Bullerbü-Charme ausstrahlen“, sagt Ute v. Marschalck. Zudem sind dort Hunde willkommen.

Breit aufgestellt in Sachen Energie
Alle Häuser sind ganzjährig bewohnbar. Wärmepumpen sorgen bei den Schwedenhäusern für wohlige Wärme, die älteren Häuser sind an Gas angeschlossen, eine Hackschnitzelanlage versorgt alle anderen Betriebsgebäude des Ferienparks. Photovoltaik auf allen Stallgebäuden und ein von Clemens v. Marschalck konstant verbesserter dynamischer Stromverbrauch sorgen für eine nachhaltige Energiebilanz, ebenso wie die soeben installierten E-Säulen. Man fühlt sich gut gerüstet für die kommenden Jahrzehnte, auch wenn einige der früh erbauten Häuser trotz guter Pflege eines Tages ausgetauscht werden müssen. In der Coronazeit wurden „Arbeiten erledigt und Investitionen getätigt, die wir jahrelang vor uns hergeschoben haben“, erzählt Clemens v. Marschalck. Nach einem ersten Schock habe man die Pandemie insgesamt gut überstanden. Auch deswegen, weil während der jeweiligen Lockdownlockerungen die Auslastungszahlen der Häuser und Campingstellplätze enorm gewesen seien. Auch der „Raubritter“ konnte in der Coronazeit renoviert werden: Das Restaurant befi ndet sich in einem ehemaligen Pferdestall.
Es bietet 60 Sitzplätze plus Terrassenplätze im Sommer und ist mit einfacher, aber von den Gästen geschätzter Speisekarte von Ostern bis Oktober geöffnet. „Von sechs Restaurantmitarbeitern kommen fünf aus der Ukraine“, erzählt Ute v. Marschalck und ergänzt: „Ohne ihre Mitarbeit wäre es schwierig.“ 60 Festangestellte und saisonale Honorarkräfte benötigen Marschalcks über das Jahr, mindestens. „Glücklicherweise haben wir ein gutes Team, was auch unsere Gäste zu schätzen wissen“, sagt Ute v. Marschalck.
Viele ihrer Angebote für die Gäste verlangen nach wirklich tatkräftigen und verantwortungsvollen Arbeitskräften. So wie der „Püttenhüpper“, ein von Marschalck entworfenes Flachboot, das im Sommer Gästegruppen zur Vogelbeobachtung in die Pütten fährt, die großen Wassergebiete im Land zwischen den Deichen. Wer mag, kann bei Marschalcks auch ohne Vorkenntnisse einen Angelschein für die Hausgewässer erwerben, um im großen See vielleicht aus Versehen einen der scherzhaft genannten „Stefan-Aust-Störe“ zu fangen.
Der Hintergrund: Als die Knochenfi sche im See des Nachbarn, des ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteurs Stefan Aust zu groß wurden, fragte der kurzerhand, ob nicht im Marschalck’schen See noch Platz sei. „Es war Platz, und er brachte eine Ladung Störe mit dem Lkw vorbei“, lacht Clemens v. Marschalck. Und ergänzt: „Die Fischart war bis 1900 auch in der Oste zu fi nden, passt daher sehr gut hierher. Durch Überfi schung und die Verschmutzung des Flusses war sie lange Zeit nahezu ausgerottet.“ Dank der Verbesserung der Wasserqualität des Flusses und verschiedener Wiederansiedlungsprojekte schwimmen heute übrigens nicht nur im Marschalck’schen See, sondern auch in der Oste wieder Störe.