frankreich

Schlösser in Frankreich: Passion ersetzt alten Adel

Der französische Immobilienmarkt bietet – im Gegensatz zum deutschen – Hunderte von Schlössern, Burgen und Herrenhäusern, die neue Besitzer suchen. Die meisten Käufer sind nicht adelig. Eine neue Generation und Gesellschaft verändern alte Kulturgüter mit modernen Konzepten.

Von Dr. Bettina de Cosnac

Ein Schicksal wie viele: Seit über fünf Jahren steht Schloss Robien, aus alter illustrer bretonischer Familie, mit über 100 Hektar zum Verkauf. Der Verkaufspreis war hoch angesetzt, denn die Erbengemeinschaft ist so zahlreich wie ein zweifacher Kaninchenwurf. Aber dunkler Granit, meterweise Dächer und die raue Bretagne im Hinterland sind keine begehrten Verkaufsattribute. Trotz mehrfacher Preissenkung schlummert das Schloss weiter – und verfällt. Keiner der Erben kann die anderen auszahlen, um das Schloss zu übernehmen.

Lindholm

In Frankreich ist das Erbgesetz gerecht und fatal zugleich

Seit dem napoleonischen Code Civil sind alle Kinder in der Erbschaft gleichberechtigt. Die Schattenseite der Regeln: Bis zur letzten Silbergabel wird – oft unsinnig – geteilt. Der Stammsitz oder andere historische Immobilien bleiben nicht in Familienhand, um die zusätzlich belastende hohe Erbschaftssteuer zu begleichen.*)

„Standen vor 20 Jahren vielleicht ein oder zwei Familienschlösser aus dem Besitz von fünf Generationen bei mir zum Verkauf, so sind es jetzt im Durchschnitt fünf bis sechs“, erzählt der auf historische Häuser spezialisierte Immobilienmakler Patrice Besse. Aber Geld, so seine Beobachtung, sei nur ein Problem. Schwerer wiegen: zu späte Übergabe, keine Erbregelung, fehlendes wirtschaftliches Know-how – und der Mangel an Fantasie und Mut bei den alteingesessenen Familien. Wenn die Ahnen an der Wand mahnen und lebende Geschwister, Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen kommentieren „wie kannst du nur, das war doch schon immer so“, wagt der Schlosserbe kaum, den Salon stilfremd und komfortabel zu modernisieren, den mottengeplagten Aubusson abzuhängen und fremde Menschen zum Promenieren in Haus und Garten einzuladen. Berührungsängste und starre Familienbande sind nicht förderlich, um einem historischen Haus Zeitgeist und Rentabilität einzuflößen.

Zum Vergleich: Der erbliche Freibetrag pro Kind liegt in Frankreich bei 100 000 Euro, in Deutschland bei 400 000 Euro.

Saltø

Frei von den Fesseln der Tradition

Bürgerliche Schlossbesitzer weisen hier munter den Weg. Schon in den 1920er-Jahren plädierte der spanische Arzt Joachim Carvallo, Besitzer des von ihm restaurierten Schloss Villandry, für die Öffnung der Schlösser für den Publikumsverkehr. Im Gegenzug forderte er staatliche Hilfen. Carvallo vereinte 1924 die adligen Schlossbesitzer in dem Interessenverband La Demeure Historique, um schlagkräftiger gegenüber dem Staat aufzutreten. In den 1980er-Jahren wiederum waren es die jungen Brüder Jacques und Michel Guyot, die eine Schlossruine nach der anderen aufkauften und zu rentablen Attraktionsstätten mit Ritterspielen und anderen Events ausbauten. Schlösser, die der entmutigte Adel längst aufgegeben hatte. Liebling der Szene ist derzeit Marc Lelandais, ein renommierter Unternehmer. Mit 44 Jahren verliebte er sich in das vernachlässigte Schloss Gaillard bei Amboise, kaufte es spontan dem dort hausenden Besitzer ab – einem greisen Tischler. Marc wandte sich von der Luxusbranche ab und bezog mit seiner Frau Sophie Schloss Gaillard. Gefragt, ob er sich eher als Schlossbesitzer, Mäzen oder Unternehmer sehe, kommt die Antwort blitzschnell: „Schlossherr klingt mir viel zu verstaubt. Ich bin eindeutig Unternehmer. Wobei man gleichzeitig auch Mäzen ist, wenn man ein altes Haus zum Leben erweckt.“ 100 000 Arbeitsstunden, 300 Arbeiter, zehn verschiedene Zünfte – Marc Lelandais scheute keinen Aufwand zur Renovierung von Schloss Gaillard, denn es vereint für ihn alle seine Leidenschaften: die Renaissance und Gärten. So kitzelte er die DNA der königlichen Domäne, sprich ihre Alleinstellungsmerkmale, heraus.

Wie bei einem Produkt fokussierte er sich auf die Gaillard-Marke Dom Pacello da Mercogliano, jenen italienischen Gärtner, der hier die ersten Orangenbäume nach Frankreich brachte. Zur DNA gehören auch die französischen Könige, die sich einst auf dem Schloss verlustierten. Als Renaissancespezialist lebt Marc Lelandais sich auf Schloss Gaillard aus, bleibt historisch korrekt, scheut aber weder gewagte Farben noch Humor und Anomalien. Statt leiblicher Ahnen grüßen in der Galerie Porträts des Hauskaters in Ritterrüstung und des Hofhunds als maliziös lächelnder Doge. Ölgemälde aus venezianischer Hand.

Gekauft hat der Unternehmer das Schloss aufgrund der wichtigen Historie für Frankreich: „Ein Schloss mit weniger Geschichte hätte ich nie erworben“, gibt er zu. Aber jedes Schloss habe eine Geschichte und sei es die Familiengeschichte, die sich gut vermarkten lässt. Diese gepaart mit intensivem Marketing seien das A und O des Erfolgs. Und radikale Kursänderungen wären einzuplanen. Das klingt plausibel. Aber Marc Lelandais trägt Siebenmeilenstiefel und nicht die Hemmschuhe des Adels. Jene glänzenden Lackschuhe der guten Erziehung zu Bedachtsamkeit, Zurückhaltung und gutem Ton. Marc Lelandais denkt – bei allem Genuss – durch und durch unternehmerisch. Er betreibt vom Schloss aus eine Consulting-Firma (natürlich mit Namen Dom Pacello) und ist Regionaldelegierter der Demeure Historique.

KaminzimmerMuseum

Verein zum Schutz historischer Denkmäler

15 Jahre lang präsidierte Jean de Lambertye dem Verein und führte ihn ins 21. Jahrhundert. Der lothringische Marquis mutierte dabei zum kleinen Revoluzzer. So strich er zum Entsetzen vieler Mitglieder kurzerhand den Begriff „Adel“ aus Texten und brachte neue Gruppierungen wie die 2016 kreierte „Groupe des Jeunes Repreneurs“, einen Stammtisch junger Erben alter Häuser, zum Erfahrungsaustausch zusammen. Er bestand darauf, das Adjektiv „neue“ (nouveaux) Übernehmer in die Bezeichnung einzufügen (Groupe des Jeunes et Nouveaux Repreneurs), um Bürgerliche zu integrieren.

Er befürwortete auch als einer der Ersten den Wirtschaftspreises für historische Häuser „Prix du Jeune Repreneur“. Der Preis war eine Idee, der im Denkmalschutz engagierten Annie Gondras – er unterstützt seit 2014 junge Menschen, die alte Gemäuer mit einem wirtschaftlich tragfähigen Konzept übernehmen. Es ist ein Geldpreis von 25 000 Euro, verbunden mit dem Rat von Experten. War es anfangs noch ein Adliger, Hélie de Noailles, der den Preis einem anderen „von und zu“, Ghislain de Castelbajac, verlieh, so sind die Preisgeber heute Immobilienmakler Patrice Besse und Versicherungsagent Dominique de la Fouchardière, zusammen mit der Stiftung der Monuments Historiques.

Die Preisträger kommen aus allen Gesellschaftsschichten, sind unter 45 Jahre alt und tragen, laut Jury, zum „wirtschaftlich-kulturellen Mehrwert“ des steinernen Objektes und seiner Umgebung bei. Ihren Besitz haben sie vor maximal fünf Jahren erworben, denn der Preis will gerade die schwierige Anfangszeit mit Geld und professionellem Rat erleichtern. Dieser Aspekt ist Jean de Lambertye besonders wichtig, musste er doch mit nur 21 Jahren und gänzlich unerfahren den großen lothringischen Familienbesitz überraschend übernehmen. Sein Vater war mit nur 55 Jahren an einem Gehirnschlag gestorben. „Zu früh und ohne Ratgeber“, kommentiert er das Erbe im Rückblick. Wie viele von der Familienhistorie geprägte adlige Nachfolger restaurierte er zunächst ein Nebenobjekt – die angrenzende Abtei –, bevor er sich an das souvenirbeladene Schloss wagte. Es war ein schwierige Zeit. Diese möchte er anderen jungen, auch nicht adligen Übernehmern, mit dem Preis erleichtern. Wie 2017, als die Auszeichnung ein höchst motiviertes Ehepaar mit kleinen Kindern erhielt. Das Paar kaufte einer Erbengemeinschaft das gigantische Schloss Vaugoubert in der Dordogne ab, um moderne Kunst zu fördern. Zur Finanzierung dienen die rund 200 Hektar Land, die für Jagden vermietetet werden und damit einen Teil der Restaurierungen tragen. Preisträger Nicolas Navarro (2016) hingegen stattete das von seinen Eltern geerbte Schloss mit einem Museum „August 1944“ aus, das historisch nachgestellte Schlachten durchführt – um Gefechte aus dem Zweiten Weltkrieg lebendig werden zu lassen. Man muss es mögen.

Der aktuelle Preisträger von 2019, Arnaud Bachelin (33) begeisterte die zwölfköpfige Jury derart, dass erstmals eine Abtei, Saint-Martin in Avallon, die 25 000 Euro Prämie erhielt. Der junge Besitzer, promovierter Archäologe, Botanist und Teehändler in Paris, überzeugte mit seinen Visionen von kultureller Begegnungsstätte, Mönchsgarten, Teelager und Büro. Zwar muss die Abtei erst noch aus der Asche von Verfall und Plünderungen und unter dem spröden Charme von Wellblechdächern auferstehen, aber ansteckende Begeisterung versprüht Arnaud Bachelin auch im Interview. Er ermuntert jeden, sich in ein solches Restaurierungsabenteuer zu stürzen, denn der ideelle Lohn sei unermesslich: morgens mit der Sonne aufzuwachen, die den Chorraum erhellt …

Passion gehört immer dazu

Restaurieren die Neu-Schlössler nur für eine Generation und nur zum eigenen Genuss? Laut Patrice Besse sind die meisten Käufer auf dem französischen Markt derzeit eingefleischte Junggesellen, Ästheten mit überdurchschnittlich gutem Einkommen und ohne Kinderwunsch. Die Frage nach der Vererbung steht bei den Käufern nicht so im Vordergrund wie vielleicht bei alten Familien. In einem aber sind sich bürgerliche Jungbesitzer und alter Adel einig: Man braucht Passion!

Die Zeiten aber haben sich geändert. Leistungsdruck und Anforderungen sind gestiegen. Das Schloss als kuscheliges Nest und Müßiggang im Louis-XVI.-Sessel sind Utopien. „Wenn man liebt, ist nichts zu teuer“, meinte noch vor einem Jahrzehnt Dekorateur Jacques Garcia, der Schloss Champ de Bataille in altem Pomp und Stil grandios herrichtete.

Unternehmer Marc Lelandais widerspricht: „Was man liebt, kostet durchaus!“ Deshalb sei es wichtig, mit einem Ort zu wachsen. Ein Ort, der einen einengt und belastet, sei – auch als Erbe – ungeeignet. „Nur was man gerne tut, gelingt!“, unterstreicht Jean de Lambertye. In Frankreich warten jedenfalls mehrere Hundert Schlösser, Burgen und Herrenhäuser auf Passionierte.