Schloss guttenberg

Vom Knappen zum Burgherrn

Wie Bernolph Freiherr v. Gemmingen in seine Rolle als Manager der Burg Guttenberg hoch über dem Neckartal hineinwuchs.

Stephanie v. Selchow

Bernolph Freiherr v. Gemmingen-Guttenberg, geboren 1963, besitzt eine große Schallplattensammlung. Kein Wunder, er hat früh angefangen, sie zusammenzutragen. Schon als Zehnjähriger verdiente er sich fünf Mark als Knappe bei den Rittermahlen in der familieneigenen Burgschenke – so viel kostete damals eine kleine Schallplatte, eine Single. Sein Großvater Gustav hatte die hoch und frei über dem Neckartal gelegene Burg Guttenberg kurz nach dem Krieg für den „Fremdenverkehr“ geöff net. Die erste Schenke im historischen Brunnenhaus war klein: Auf der Speisekarte für die Wanderer standen damals Wein, Bier, Apfelsaft und ein Paar Saitenwürstchen mit Brot für 1,20 DM.

Heute ist die vielfach umgebaute und vergrößerte Restauration verpachtet; 350 Gäste haben in den verschiedenen Räumlichkeiten Platz. In der spätmittelalterlichen Höhenburg kann man standesamtlich oder kirchlich heiraten, Familienfeiern ausrichten oder tagen. Auch die Rittermahle und Krimi-Dinner sind sehr beliebt. Beim Silvestermahl kündigt ein Herold zwischen den sechs Gängen Zwischenspiele mit Gauklern, Musikanten und Kleinkünstlern an. Um Mitternacht beginnt die große Feuershow – ohne lautes Feuerwerk, auf das in Rücksichtnahme auf die Greifvögel verzichtet wird.

Als der jetzige Burgherr 15 war, interessierte er sich noch mehr für Rockmusik und bat um mehr Taschengeld. Sein Vater Christoph schlug ihm dagegen vor, sich je fünf Mark mit Museumsführungen zu verdienen. Ein kluger Schachzug, denn so war Bernolph nicht nur musikalisch immer auf dem neusten Stand, sondern lernte – nachdem er bereits den Restaurationsbetrieb von innen kannte – auch die Geschichte der 800 Jahre alten Burg in- und auswendig kennen.

Seine Mutter Gabriele, geborene Freiin von Lersner, kümmerte sich damals um die Museumsführungen. „Sie war jahrelang die Seele des Hauses“, erzählt Gemmingen. Neben vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten – als Kreisrätin in der CDU, Stellvertreterin des Landrats, im Landesfrauenrat, als Äbtissin des Kraichgauer Adligen Damenstifts und als Vorsitzende VdDA Bezirksgruppe Heidelberg u. a. – veranstaltete sie auch zusammen mit ihrem Mann 50 Jahre lang Kammermusikkonzerte auf der Burg.

Hofgarten

Das Burgmuseum steht für das Thema Bäume

Inzwischen arbeitet das Burgmuseum im westlichen Teil der Burg zum Teil mit modernen QR-Codes. Besonders ist die Xylothek, die Holzbibliothek Carl von Hinterlangs aus dem 18. Jahrhundert (gr. Xylos = das Holz): Eine Sammlung von 93 Bänden, die wie Bücher aussehen, aber eigentlich aus kleinen Kästchen besteht, die jeweils eine Baum- oder Strauchart beschreiben. Außerdem beachtenswert ein vergoldeter Marien- und ein Christusaltar aus dem 15. Jahrhundert. Auch ein Nachdruck des berühmten Falkenbuches des Stauferkaisers Friedrich II. ist zu sehen: An der „Kunst mit Vögeln zu jagen“ kommt bis heute kein Falkner vorbei.

Anlage

Und so wurde die deutsche Greifenwarte aufgebaut

„Mein Vater lernte 1970 den Ornithologen Claus Fentzloff kennen“, erzählt Bernolph Gemmingen. „Dieser suchte damals eine Burg mit einer größeren Außenanlage, um Greifvögel fliegen lassen zu können. Wir konnten ihm eine wunderbare Flugterrasse aufs Neckartal bieten. Also pachtete Fentzloff die gesamte Außenanlage in den lang gestreckten Zwingermauern und baute hier die Deutsche Greifenwarte auf.

Eine Touristenattraktion! Mittlerweile gibt es ja auch auf vielen anderen Burgen kleinere Adlerwarten, aber damals war das neu, und bald kamen ganze Sonderzüge aus Frankreich! Den Falkner Fentzloff fand ich schon als Kind cool. Er lebte für seine Greifvögel. Ein paarmal durfte ich mit ihm auf echte Beizjagden mitgehen. Das war faszinierend!“

In Fentzloffs Zeit auf der Burg zwischen 1970 und 2008 kamen rund vier Millionen Besucher. Heute beschäftigt der Burgherr vier Falknerinnen und drei Falkner, zum Teil studierte Biologen: Sie betreuen die 60 bis 80 Großgreifvögel und Eulen, die jetzt auf ihren Standplätzen und in Volieren in der äußeren Zwingermauer leben.

Auch Bernolph Gemmingen hat einen Falknerschein zusätzlich zum Jagdschein gemacht – das ist ein „Befähigungsnachweis“ und eine Bedingung für eine „Zoogenehmigung“. Die wiederum braucht er, um Vögel in dieser großen Anzahl zu halten, mit ihnen Nachwuchs zu züchten und sie in Flugvorführungen zur Schau stellen zu dürfen.

Jeden Tag um 11 und um 15 Uhr sind Flugvorführungen: Wie Menschen müssen auch Vögel ihre Muskeln trainieren, um fit zu bleiben. Heute Nachmittag darf sich als Erste Jarislawa, ein europäischer Seeadler, ihr Abendessen mit einem „kontrollierten Wildflug“ verdienen. Die zuschauenden Familien auf der Flugterrasse sind ebenso fasziniert wie ehrfürchtig, als Falkner Stefan den 4,4 kg schweren Vogel seine 2,40 Meter Flügel-Spannweite ausbreiten und über die Köpfe hinwegsegeln lässt. Was für ein beeindruckender Vogel! Heute ist Ostwind – da schwebt auch der Weißkopfseeadler Lutak besonders schön über dem Neckartal. Alita, eine jüngere Mönchsgeierdame dagegen, ist noch nicht ganz so ein Profi und landet erst einmal auf einer der hölzernen Bänke mitten zwischen den Zuschauern, die so aber ihren markanten Kopf und ihr Federkleid genau betrachten können. „Wesentlich ist das Vertrauensverhältnis zwischen Falkner und Großvogel“, erzählt Gemmingen. „Bevor einer hier fliegen darf, wird er stundenlang abgetragen – das heißt, er sitzt auf dem Falknerhandschuh und gewöhnt sich erst einmal ganz langsam an den Menschen.“ Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, kann sogar eine Falknerstunde auf Burg Guttenberg buchen.

Gemäldegalerie

Der Unternehmensberater wird Burgherr

Bernolph Gemmingen entschied sich schließlich mit 31 Jahren, den Burgbetrieb zu übernehmen, den er ja von der Pike auf kannte. Nach Studien in Freiburg, St. Gallen und Fontainebleau arbeitete er damals bei der Unternehmensberatung Arthur Andersen. „Das war sehr interessant. Aber dann wollte ich nicht mehr auch am Wochenende arbeiten, sondern eine Familie gründen. Außerdem habe ich gesehen, dass mein Vater nicht mehr so gut konnte“, erzählt er. „Dreieinhalb Jahre hatten wir noch zusammen, leider ist mein Vater dann 1999 viel zu früh gestorben.“

Unter seiner Ägide trägt sich die Burg mit den Eintrittsgeldern der Greifenwarte und der Pacht aus dem Restaurationsbetriebes weitestgehend selbst. Zum Besitz gehören außerdem noch 400 Hektar Wald, etwas Land und ein Weinberg. Den Wald bewirtschaftet der Burgherr zusammen mit seinem Vetter Michael Gemmingen. Außerdem betreibt er einen Holzfachhandel im direkt unter der Burg gelegenen 500-Seelen-Ort Neckarmühlbach: ein in der Gegend beliebter Fachhandels- und Handwerksbetrieb, der weltweit Holz einkauft und regional verkauft.

„Die Burg mit allen anfallenden Aufgaben nimmt ungefähr 50 Prozent meiner Zeit in Anspruch“, erzählt der Burgherr, der in dem barocken Wohnhaus im östlichen Teil der Burg lebt und immer noch Patronatsherr ist – wie seine Vorfahren seit dem 15. Jahrhundert. Heute bedeutet das vor allem, dass er für zwei Kirchengemeinden ein Präsentationsrecht für die Bewerber auf eine vakante Pfarrstelle hat. An Weihnachten trägt er die alte deutsche Schönsperger-Bibel von 1487 – eine deutsche Bibelübersetzung aus vorlutherischer Zeit – in die Burgkapelle und lässt die Weihnachtsgeschichte daraus vorlesen.

In der verbleibenden Zeit treibt er Bau- oder EDV-Projekte voran, und widmet sich der Erforschung der Guttenberger Geschichte. Außerdem leitet er seit 1999 zwei gemeinnützige Stiftungen in Frankfurt, wie schon sein Vater vor ihm.

Und last, but not least ist er für seine Kinder da. Von seinem Vater hat Bernolph die kluge Tradition der jährlichen Familienkonferenzen übernommen. „Ich habe noch zwei jüngere Brüder und zwei Schwestern“, erzählt er. „Einmal im Jahr sollte jeder von uns fünfen früher schildern, was er gerade macht und wohin er will. Mein Vater fragte immer mal wieder, wer sich vorstellen könnte, die Burg zu übernehmen. Denn es stand keinesfalls von vornherein fest, dass ich das sein würde.“ Seine eigenen Kinder sind aber erst in ihren Zwanzigern: Clara 24, Julius 22 und Gustav 20 Jahre alt. „So eine Burg ist ja eigentlich ein Anachronismus“, sagt ihr Vater heute. „Meine Kinder sollen sich in der Welt umsehen und frei sein. Auch wenn wir Gemmingens hier schon seit über 550 Jahren und sogar in der 17. Generation sitzen, besteht kein Zwang, die Burg zu übernehmen.“