Götz & Goethe
… locken jährlich 50 000 Besucher ins idyllische Jagsttal in das kleine Dorf Jagsthausen. Die Freiherrn v. Berlichingen-Jagsthausen bewältigen diesen Ansturm als gut eingespieltes Team.
Von Dorothee Gräfi n v. Walderdorff
Ein Berlichingen allein macht noch kein Jagsthausen. Deshalb kommen sie zu dritt: Götz Freiherr v. Berlichingen-Jagsthausen und die Brüder Hans-Sigmund und Gottfried Freiherrn v. Berlichingen. Auf der Restaurant-Terrasse vom „Roten Schloss“ schlürfen wir Rhabarber-Schorle, tauschen Neuigkeiten aus und jammern ein bisschen über die Hitze.
Meine Frage „Wie lebt es sich mit einem so historischen Namen?“ sorgt für heitere Anekdoten. Baron Götz v. Berlichingen erzählt, wie bei einem Sportfest, an dem er als junger Schüler teilnahm, das Publikum laut loslachte, als sein Name über den Lautsprecher ausgerufen wurde. Höchst gepeint ging er an den Start. Die beiden anderen saßen mit gemischten Gefühlen im Deutschunterricht, als Goethes Klassiker „Götz von Berlichingen“ in der Schule behandelt wurde. Inzwischen aber haben sie die Geschichte ihres berühmten Vorfahren hundertfach erzählt: Durch einen Schuss aus den eigenen Reihen im bayrischen Erbfolgekrieg verlor der Ritter Götz von Berlichingen (1480–1562) seine rechte Hand. Der damals 24-jährige Raubritter gab nicht auf und beauftragte einen Schmied ihm eine Hand aus Eisen zu fertigen. Es wurde ein Meisterwerk mittelalterlicher Schmiedekunst, bestehend aus fast zweihundert Einzelteilen.
Später ließ Götz sich noch eine zweite, eine „Sonntagshand“, anfertigen, mit der er sogar einen Federkiel halten konnte – was er allerdings nur ungern tat. Lieber diktierte er dem Pfarrer aus Neckarzimmern seine zahlreichen Fehden. Knapp 200 Jahre später fi elen die „Lebensbeschreibungen des Ritters Götz von Berlichingen“ dem jungen Goethe in die Hände.
„Goethe war ein Glücksfall für unsere Familie!“
Inspiriert und animiert vom Freigeist des schwäbischen Ritters verfasste Goethe das historische Schauspiel „Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand“. Ein Riesenerfolg. Schon bald wurde das Stück in Berlin uraufgeführt. Es gilt als eines der bekanntesten Werke des Sturm und Drang.
Dank Goethe blieb Götz berühmt – seine beiden eisernen Hände werden wie Kronjuwelen gehütet. Ein einziges Mal verließen sie die Götzenburg. Sauerbruch führte sie seinen Studenten an der Berliner Charitée Anfang des 20 Jahrhunderts als Exempel gelungener Prothesentechnik vor. Seit der Untersuchung ist die Funktionstüchtigkeit eines Fingergliedes eingeschränkt. Heute wird die eiserne Hand nicht mehr aus der Hand gegeben.
Burgfestspiele Jagsthausen
Mittlerweile sind es Hunderttausende, die sich an Götzens Hand ergötzten. Nach zweijähriger Corona-Pause gehen gerade die 71. Burgfestspiele über die Bühne. Erstmals wurde der „Götz“ 1950 aufgeführt. Die Idee dafür entwickelte der Nachfahre Baron Wolf-Götz v. Berlichingen-Jagsthausen (1906–1955) gemeinsam mit dem Regisseur Hans Meisner. „Hier spürt man den Götz!“ soll Meisner bei seinem Besuch in Jagsthausen gerufen haben. „Der Krieg war gerade mal vier Jahre her“, erzählt Birgit Baronin v. Berlichingen. „In den Köpfen der Menschen waren noch die Bilder der vielen Toten. Und was macht der Großvater meines Mannes? Er macht Theater!“ Und triff t damit den Nerv seiner Zeit, die wiedererwachte Sehnsucht nach Vergnügungen. Bis in die 1970er-Jahre wurde nur der Götz aufgeführt, mit professionellen Schauspielern und Laien aus den umliegenden Dörfern. Später erweiterte das Festspielkomitee das Programm. In diesem Sommer werden sechs Theaterstücke für Groß und Klein gespielt – allen voran und alle Jahre wieder der „Götz von Berlichingen“.
Die Stuhlreihen von einst sind einer riesigen Tribüne mit 880 Plätzen gewichen. In mittelalterlicher Kulisse, umgeben von Türmen, Erkern und Wehrgängen wartet das Publikum auf das Zitat, wenn der Ritter in Rage poltert: „… er kann mich mal im Arsche lecken!“
Wer aus der Ferne anreist, kann im „Schlosshotel Götzenburg“ Luxus im mittelalterlichen Ambiente genießen, im „Götz-Zimmer“ und „Adelheid-Gemach“ übernachten oder ein Ferienapartment in der Vorburg mieten. Im Restaurant „Rotes Schloss“ werden Wild aus eigenen Wäldern und schwäbische Maultaschen serviert, oder man bleibt im Biergarten neben der Götzenburg hängen. Überall „spürt man den Götz“, den die Berlichingens gut vermarkten.
Team Berlichingen
Heuer genau 460 Jahre nach dem Tod ihres berühmten Vorfahren lenken Götz Freiherr v. Berlichingen-Jagsthausen (Jahrgang 1967) und seine Vettern Hans-Sigmund (1972) und Gottfried Freiherren v. Berlichingen (1979) mit ihren Frauen die Geschicke des „Ritter-Reichs“ an der Jagst.
Ich versuche zu sortieren. Wer macht was, und wo wohnt wer? Denn Schlösser gibt es in Jagsthausen gleich drei: die mittelalterliche Götzenburg, das Rote und das Weiße Schloss. Götz Freiherr v. Berlichingen allerdings – das steigert die Verwirrung – wohnt gar nicht auf seiner Götzenburg in Jagsthausen, sondern – quasi im Refugium – auf Schloss Rossach. Und weil seit dem berühmten Vorfahren der jeweils älteste Sohn stets Götz genannt wird, ist er Götz XVIII. Sein Großvater, Götz XVI., gründete die Burgfestspiele. Seine Mutter, Alexandra Baronin v. Berlichingen, vertrat die Familie 25 Jahre lang bei den Freilichtspielen. Dieses Jahr gab sie ihren Posten an ihre Schwiegertochter Birgit weiter, die nun in der Festspielleitung das traditionsreiche Theater mitgestaltet.„Bis zu deinem 30. Geburtstag halte ich dir den Rücken frei“, hatte sein Vater ihm versprochen. Der junge Baron Berlichingen studierte Jura und fühlte sich frei. 1994 aber starb sein Vater im Alter von nur 59 Jahren an einem Herzinfarkt. Sehr viel früher als gedacht musste Götz XVIII. Verantwortung übernehmen. Zur Seite steht ihm dabei seine Frau Birgit geb. Meyer. Sie haben drei Töchter: Maxima, Antonia und die zwölf-jährige Cosima.
Lange nach dem Tod ihres Mannes heirate seine Mutter Alexandra Baronin Berlichingen geb. v. Vultejus den ehemaligen Bundespräsidenten Prof. Dr. Roman Herzog. Bis zu seinem Tod im Januar 2017 lebten sie gemeinsam auf der Götzenburg. Nach einem Staatsakt in Berlin wurde Roman Herzog auf dem Friedhof in Jagsthausen beigesetzt.
Mehr Generationenmodell im Weißen Schloss
Seit dem 14. Jahrhundert lebt die zum fränkischen Uradel zählende Familie in und um Jagsthausen. Mit dem Bau von vielen Schlössern haben ihre Vorfahren für ausreichend Wohnraum gesorgt. Hans-Sigmund Baron Berlichingen lebt mit seiner Frau Sabrina geb. Gelz und ihren vier Kindern – Amélie, Tristan, Ottilie und dem gerade einjährigen Niclot – sowie seinem nach dem Tod seiner Frau Barbara verwitweten Vater im Weißen (Neuen) Schloss.
Sabrina Freifrau v. Berlichingen hat Lehramt studiert und arbeitet als Pädagogin an der örtlichen Grundschule in Jagsthausen. Sein Bruder Gottfried bewohnt mit seiner Frau Julia geb. Engelken und ihrem Trio – Lilia, Hans-Jakob, und Isalie – das Rote Schloss. Julia Freifrau v. Berlichingen ist promovierte Agrarwissenschaftlerin und als Regionalmanagerin der „Bio-Musterregion Heilbronner Land“ tätig.
„Gemeinsam sind wir stärker!“
Diese drei – und ihre Frauen! – managen den Betrieb um die Burgfestspiele und den zur Familie gehörenden Grundbesitz. Sie haben die Aufgaben untereinander aufgeteilt, sind sich gegenseitig aber die besten Ratgeber. Weil der Besitz im Zuge der Bodenreform aufgeteilt wurde, bewirtschaftet jetzt zwar jeder seine eigenen land- und forstwirtschaftlichen Flächen und die zahlreichen Immobilien. Probleme wie der Kampf gegen den Borkenkäfer, Holzverkäufe und alternative Nutzungsmöglichkeiten aber lösen sie gemeinsam. Ebenso wie die Möglichkeiten, den Betrieb mit erneuerbaren Energien breiter aufzustellen.
Die Gastronomie mit Schloss-Restaurant und Biergarten sowie das für Großveranstaltungen und Hochzeiten umgebaute Landgut Halsberg betreiben die Brüder Hans-Sigmund und Gottfried. Das Catering für Bankettveranstaltungen liefert wiederum die Restaurant-Küche.
Die Aufgaben rund um das „Schlosshotel Götzenburg“ teilen sich Baron Götz und seine Frau Birgit, die mit liebevollem Augenzwinkern erklärt: „Er macht die mühsamen Finanzen, ich kümmere mich um die Gäste.“ Überall gibt es Synergieeff ekte. Die sechs Berlichingens sind ein starkes Team, das sich gemeinsam den immer neuen Herausforderungen stellt.
Jetzt ist es eine Bugwelle von Veranstaltungen, Hochzeiten und Feiern, die wegen Corona abgesagt werden mussten. Davor war es die plötzliche Stille – die sie aber gut zu nutzen wussten. Im ersten Lockdown kaufte Birgit Baronin Berlichingen einen Whirlpool und baute eine lange Tafel für alle Familienmitglieder im ungewohnt leeren Innenhof auf. Das sind Bilder, die bleiben. Unvergessliche Stunden für eine Großfamilie, die zwar gemeinsam große Projekte stemmt, aber wenig private Freiräume hat.
Der Beruf neben der Burg
Während unseres Gesprächs klingeln immer wieder die Handys. Neben dem Business rund um die Burg hat jeder der drei Berlichingens einen Beruf. „Das ist uns wichtig“, betont der Jurist Götz v. Berlichingen, der als Partner in einer größeren Rechtsanwaltskanzlei in Heilbronn Anwalt für Erbrecht, Verkehrsrecht, Versicherungen und erneuerbare Energien ist. Gottfried v. Berlichingen, der wie sein Bruder Hans-Sigmund studierter Diplom.Agrarwirt ist, arbeitet als Immobilienmakler bei Engel & Völkers mit Schwerpunkt Land- und Forstimmobilien im süddeutschen Raum. Hans-Sigmund v. Berlichingen hat 2006 einen Waldfriedhof aufgebaut. Ein gefragter Ort, merkt man an den vielen Anrufern mit vielen Fragen, die Berlichingen stets mit großer Geduld beantwortet.
Man könnte es sich bequemer machen, vom Erbe leben. Doch davor graut den Herren von Berlichingen und ihren Frauen. „Wir haben alle so gute Ausbildungen, dass wir losgelöst von allem existieren könnten“, betont Birgit Baronin v. Berlichingen. Sie hat Wirtschaftsgeschichte studiert und warnt vor einem häufi gen und verhängnisvollen Zyklus: „Die erste Generation baut auf, die zweite erhält’s, und die dritte verprasst ihr Erbe.“ So wird es Jagsthausen nicht ergehen! „Seit über 800 Jahren lebt unsere Familie hier. Es ist unsere Aufgabe, einen gesunden Betrieb und das Gefühl für Heimat an unsere Kinder weiterzugeben“, erklärt Götz Freiherr v. Berlichingen, als die Rhabarber-Sschorle längst ausgetrunken und unser Rundgang von Schloss zu Schloss beendet ist.