Anfangstage

Alpakas vor dem Schloss

Vor genau 20 Jahren brachte Hartwig Kraft-von Wedel die ersten Alpakas nach Sachsen. Mit seiner Frau Katharina baute er das heute erfolgreiche „Alpakazentrum Schloss Wiederoda“ auf.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Es ist eine der vielen Geschichten vom schwierigen Neuanfang im Osten. Und sie beginnt mit dem Kraft’schen Familientag im Sommer 1998. Nach Kaffee und Kuchen nahm Dieter Kraft seinen Vetter Hartwig beiseite und bot ihm den Kauf des ehemaligen Familienbesitzes im sächsischen Remsa an: Zwei vom Verfall bedrohte große Vierseithöfe in Einzellage, einen Teil der dazugehörigen 90 Hektar fruchtbarer Lehmlössboden konnte man pachten. Hartwig Kraft-von Wedel war damals 31 Jahre alt, hatte Landschaftsarchitektur studiert und arbeitete in einem Büro in Krefeld. Seine berufliche Laufbahn schien ebenso gradlinig wie die von ihm ausgearbeiteten Pläne für Grünflächen. Dieses Angebot veränderte schlagartig seine Zukunftsaussichten – und war eine gewaltige Herausforderung.

Seit gut 300 Jahren ist die Familie Kraft in der Region ansässig. Ihre Wurzeln gehen auf die schwäbische Familie v. Krafft, ursprünglich v. Steg, zurück. Wie bereits seine Mutter, Gisela geb. v. Wedel verheiratet mit Dr. phil. Heinrich Kraft, führt auch ihr Sohn Hartwig den Doppelnamen Kraft-von Wedel.

Bis 1953 bewirtschaftete sein Onkel Ernst Kraft das Gut, das dank seiner erfolgreichen Kaltblutzucht als Musterbetrieb galt. Dann jedoch änderte sich das politische Klima. Landwirte mit größerer Betriebsfläche wurden verjagt – oder gar nach Rügen deportiert. Ein Vetter Krafts war bereits von seinem Gutshof im benachbarten Zschannewitz vertrieben worden. Die Familie wurde gewarnt, sie seien als Nächste dran! Schweren Herzens verließ Ernst Kraft mit seiner Familie das Gut.

Die Höfe gingen an die LPG „Neues Leben Remsa“, verfielen mehr und mehr und wurden unter anderem von der lokalen Betriebskampftruppe der DDR für ihre Übungen im Häuserkampf genutzt. Es war ein Bild des Niedergangs, des Verfalls vieler Gebäude. Dennoch beschloss Hartwig Kraft-von Wedel, die Familientradition in Remsa fortzusetzen, die verlassenen Höfe seiner Vorfahren wiederzubeleben. Aber wie?

Tage- und vor allem nächtelang grübelte und googelte der junge Landschaftsarchitekt nach einer tragfähigen Geschäftsidee. Schließlich entdeckte er im Internet eine Seite über Alpakas, eine Kamelart mit kindlichem Gesichtsausdruck und flauschigem Fell. Hohe Renditen beim Verkauf von Jungtieren wurden erwähnt. Außerdem benötigen die Tiere nur wenig Fläche – das klang vielversprechend! Kraft-von Wedel studierte den Alpaka-Markt in Australien, Neuseeland und den USA , besuchte renommierte Züchter in England und Holland und die ersten Züchter in Deutschland. Er war auf der richtigen Spur, erkannte, dass sich das Alpaka bald auch in Europa als Zucht-und Freizeittier durchsetzen wird.

Musikzimmer

Ein göttliches Geschenk

Alpakas sind eine mindestens 5000 Jahre alte Nutztierart. Der Sage nach schenkte Inti, der Sonnengott der Inkas, den Herrschern Perus als Zeichen seiner besonderen Gunst Alpakas. Lange war die Zucht der Tiere mit dem „Vlies der Götter“ den Inka-Herrschern und wenigen Adeligen vorbehalten. Bis ins 20. Jahrhundert scheiterten alle Versuche, Alpakas aus Peru auszuführen. Erst in den 1980er-Jahren ergaben sich Exportmöglichkeiten über Chile und später direkt von Peru aus in die westliche Welt.

Mit der Vision, den deutschen Alpakamarkt aufzubauen und damit den Familienbesitz zu erhalten, machte sich der Pionier auf den Weg in den Osten. Nichts war einfach, aber alles gelang. Im Januar 1999 erwarb der Landschaftsarchitekt die ersten 17 Alpaka-Stuten, im Herbst hatte sich die Herde bereits auf 27 Alpakas vergrößert – die erste Generation von „Zauberland Alpaka“ in Remsa.

Auf den sächsischen Weideflächen gediehen die „Damen aus dem Inkareich“ prächtig, der Anfänger wurde zum Profi. Er absolvierte Richterkurse in England und Peru, reiste zu jeder Alpaka-Show, bei der sich eine wachsende Zahl von Züchtern aus ganz Europa versammelte, gründete 2001 den „Alpaka-Zuchtverband Deutschland“. Jedes Jahr importierte er bis zu 90 Stuten aus Chile, um die große Nachfrage in ganz Europa zu decken.

Bei einer Show in Ulm lernte Hartwig Kraft-von Wedel dann auch, wie könnte es passender sein, seine künftige Frau Katharina kennen. Die gelernte Pferdewirtin und passionierte Reiterin hatte ebenfalls ihre Leidenschaft für Alpakas entdeckt, fand durch sie ihre große Liebe und mit ihr eine Lebensaufgabe.

Rittersaal

Härtetest im Osten

Die Schwäbin zog nach Sachsen, bestand den Härtetest in Remsa, im einsam gelegenen Gutshaus, das anfangs nur mit Holzöfen beheizt werden konnte. Bevor das Dach saniert wurde, regnete es an manchen Stellen bis zur ersten Etage durch. „Der Osten ist nichts für Weicheier“, dies begriff die junge Frau sehr schnell. Ihr erster Sohn Philipp, geboren 2004, wuchs ebenso wie seine Geschwister Sophia (*2007), Konstantin (*2008) und Gloria (*2012) mehr oder weniger im Schneeanzug im großen, zugigen Haus auf, lernte mit den Fohlen auf der Weide zu laufen. Neben der Alpaka-Zucht entwickelte Katharina im Lauf der Jahre ein zweites Standbein des Betriebs: die Verarbeitung der Alpaka-Wolle. Nach ihren Entwürfen entstanden aus einem Gemisch der feinen Alpaka-Haare mit Mohair plüschige Damenmäntel, Mützen, Jacken, Jäckchen und kleine Deckchen für Kinder und Babys – kuschelig warm und weich und garantiert ohne Chemie. Geografisch zwischen Leipzig und Dresden, gefühlt in tiefster ländlicher Einsamkeit, schufen sich Hartwig und Katharina Kraft-von Wedel in wenigen Jahren ihr eigenes Zentrum: das „Zauberland Alpakas“. Züchter einer neu entstehenden Alpaka-Szene reisten nach Remsa, holten sich Rat, kauften Jungtiere, tragende Stuten oder Deckhengste. Jedes Jahr wurden Zuchttiere aus Chile oder Kanada importiert, teilweise auch gleich direkt an Endkunden verkauft.

Als Koryphäe seiner Zunft bietet Hartwig Kraft-von Wedel Seminare für Alpaka-Züchter und Fortbildungskurse für Tierärzte an. Er schult und reist, seine Frau zieht die Kinder und Alpakas groß, stellt die Firma zur Verarbeitung von Alpaka-Wolle auf solide Beine. Ihre Tage sind mehr als ausgefüllt, dennoch lockt die beiden ein großes Abenteuer, das ihnen noch mehr Platz und noch mehr Möglichkeiten bietet.

Kauf von Schloss Wiederoda

2008 kaufen Katharina und Hartwig Kraft-von Wedel das benachbarte Schloss Wiederoda vom Landkreis Torgau/Oschatz. Ein gewaltiges Sanierungsprojekt! Das im 15. Jahrhundert erbaute und 1721 barockisierte Schloss (siehe Kasten) wurde zuletzt von einer Förderschule für geistig Behinderte genutzt. Kurz vor dem Verkauf war das Dach saniert worden, die Heizung funktionierte. Darüber hinaus allerdings gab es wenig, was weiter nutzbar war. Auf die historischen Böden hatte man dicke Schichten PVC genagelt, Zwischenwände und Tapeten mussten entsorgt werden, Wände neu verputzt und gestrichen, die alten Holzböden aufgearbeitet, Haustür und Fenster erneuert werden.

Immer wieder im Winter zweifelte das Paar an ihrer Entscheidung, bedauerte das viele Geld, mit dem sie alte Baubsubstanz erhalten müssen. Sie träumen vom fußbodengeheizten Bungalow und niedrigen Betriebskosten. Doch dann trösten sie sich mit dem Gedanken an ihre Kinder, die ihr Erbe fortführen sollen – und warten geduldig auf den Sommer. Spätestens mit den ersten warmen Tagen siegt die Lust über die Last, sie freuen sich an dem, was sie haben, was sie geschaffen haben. Nach fast fünfjähriger Renovierung kann die Familie Schloss Wiederoda beziehen. Ihr früheres Domizil, das obere Gutshaus in Remsa, der sogenannte Planitz’sche Hof, wird verkauft, der untere Kraft’sche Hof wird weiter für die Alpaka-Zucht genutzt.

Auch das zum Schlossensemble gehörende historische Torhaus drohte vollends zu verfallen. Nach dem Krieg wurde es als Dorfkonsum und Post stelle genutzt. Seit der Wende stand das historische Gebäude leer, wanderte durch die Hände mehrerer Spekulanten, bis es Hartwig und Katharina Kraft-von Wedel einer englischen Immobilienmaklerin abkaufen konnten. Das Dach des Torhauses wurde mithilfe von europäischen Fördergeldern in einem „Kraftakt“ 2014/2015 saniert.

Rokokosalon

Alpakazentrum Schloss Wiederoda

,… nennen Hartwig und Katharina Kraft-von Wedel ihren Betrieb nach dem Umzug ins Schloss. Sie nutzen die neuen Möglichkeiten, entwickeln und realisieren immer neue Ideen. Dank ihres sanftmütigen Wesens und ihrer liebevollen Ausstrahlung eignen sich Alpakas besonders gut zur tiergestützten Therapie. Deshalb werden sowohl Alpakas für Therapiezwecke ausgebildet wie auch Therapeuten und Interessierte geschult. Seit Neuestem kann man auch Alpakas buchen, als Attraktion bei Hochzeiten und Kindergeburtstagen oder Begleittier bei Wanderungen. Vor allem aber kann man sie besuchen. Die Schlossherren empfangen Reisegruppen ab zehn Personen, bieten Kaff ee und Kuchen im Schloss und Alpakas auf ihrer Weide davor. Abschluss jeder Kaff eefahrt ist der Besuch im Hofladen im Schloss. Neben den Klassikern wie Jacken, Mützen und Mänteln gibt es mittlerweile auch Alpaka-Decken, Alpaka-Betten, Alpaka-Schmuck, Alpaka-Fellbären … eigentlich alles, was man sich aus wunderbar weichem Webpelz vorstellen kann.

20 Jahre sind seit den ersten Anfängen vergangen, man kann mit Spannung erwarten, was die nächsten bringen werden. Viel Glück!