Wuerzburger Residenz

Das geniale Künstler-Duo

Der Architekt Balthasar Neumann und der Maler Giovanni Battista Tiepolo schufen im 18. Jahrhundert mit der Würzburger Residenz eine der schönsten barocken Schlossanlagen Europas.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Er liebte Prunk und Pracht, entstammte einer einflussreichen Familie und wurde 1719 zum Fürstbischof in Würzburg gewählt: Johann Philipp Franz Reichsgraf v. Schönborn. Der Spross einer weitverzweigten, mächtigen Familie, die im Verlauf weniger Generationen geistliche Fürstentümer in Würzburg, Bamberg, Mainz, Worms, Speyer und Trier besetzte, sah sich mit seiner Wahl zum Fürstbischof am Ziel – oder besser gesagt am Anfang. Er wollte repräsentieren, im familiären Wettstreit glänzen und vor allem bauen. Er hatte Glück. Gleich im ersten Jahr seiner Regentschaft flossen enorme Summen aus einem Unterschlagungsprozess in seine Schatzkammern. Damit waren seiner Baulust keine Grenzen mehr gesetzt.

„Nehm er doch den Böhmen!“

Dies wurde dem Fürstbischof bei seiner Suche nach einem geeigneten Architekten geraten. „Der Böhme“, das war Balthasar Neumann, damals noch gänzlich unbekannt. 1687 als siebtes von neun Kindern eines Tuchmachers im böhmischen Eger geboren, war Balthasar Neumann auf seiner Gesellenwanderung als Glocken- und Geschützgießer in Würzburg sesshaft geworden: ein wissensdurstiger junger Mann, der sich weitgehend autodidaktisch zum Architekten hochgedient hatte und der – das spürte Schönborn schon nach einer ersten Audienz – hochbegabt war. Der Fürstbischof folgte seinem Instinkt und beauftragte den damals 32-jährigen Newcomer mit einem Entwurf der Würzburger Residenz.

Es sollte das ruhmreichste Werk seines Lebens werden.

Prunk und Pracht

Eine barocke Schlossanlage in einer Gesamtbreite von 168 Metern, mit Hofkirche, Kaisersaal, königlichen Gemächern, fürstlichen Audienzzimmern und einem Treppenhaus, das bis heute als eines der größten Raumwunder der Architektur gepriesen wird. Dass es dazu kam, verdankt Balthasar Neumann auch seinem ausgeprägten Geschick im Umgang mit den Mächtigen. Kaum hatte er seinen ersten Entwurf abgeliefert, mischte sich der baubegeisterte Schönborn-Clan in die Planungen ein. Allen voran der oft tonangebende Onkel Lothar Franz von Schönborn, damals Kurfürst in Mainz. Er brachte seinen Hofarchitekten Maximilian von Welsch und Johann Dientzenhofer, den Erbauer von Schloss Pommersfelden, ins Spiel. Der Bruder des Würzburger Fürstbischofs, Friedrich Carl, Reichsvizekanzler in Wien, schickte seinen Stararchitekten Lucas von Hildebrandt. Und weil der Bauherr selbst nichts Geringeres als Versailles für den adäquaten Maßstab seiner Residenz hielt, wurden auch die französischen Architekten Robert de Cotte und Germain Boffrand in die Planungen miteinbezogen. Sie alle mischten mit, brachten sich ein, setzten ihre Zeichen. Der um einiges jüngere und längst nicht so renommierte Balthasar Neumann musste Konzessionen machen, konnte aber letztlich seinen ursprünglichen Entwurf mit Erfolg verteidigen.

Deckenfresko

Baustopp nach Tod des Fürstbischofs

Am 22. Mai 1720 wurde der Grundstein für eine der bedeutendsten Schlossanlagen des Barock gelegt. Die Bauarbeiten waren in vollem Gange, als vier Jahre später Johann Philipp Franz von Schönborn tot von einem Jagdausflug zurückgebracht wurde. Dies ereignete sich so überraschend, dass manche gar an Giftmord glaubten.

Bei den Neuwahlen setzten sich die Gegner der Schönborn-Partei durch und bestimmten den gelehrten, sehr bescheidenen Christoph Franz von Hutten zu seinem Nachfolger. Hutten, dem Prunk und Pracht zuwider waren, stellte unverzüglich den Residenzbau ein. Seine Regentschaft währte jedoch nur fünf Jahre, die Wahl nach seinem frühen Tod gewann wieder ein Schönborn, Friedrich Carl, der Bruder des früh verstorbenen Johann Philipp Franz von Schönborn. Umfassend gebildet und mit großem politischen Einfluss stürzte sich der neue Fürstbischof sofort auf das Prestigeprojekt „Würzburger Residenz“, holte Balthasar Neumann zurück und übertrug ihm die Bauleitung. Im Dezember 1744, 24 Jahre nach der Grundsteinlegung, war der Rohbau vollendet. Man feierte ein großes Dankesfest, ließ 16 heilige Messen lesen.

Bald danach wurde alles schwieriger. Die beiden maßgeblich beteiligten Architekten Maximilian von Welsch und Lucas von Hildebrandt starben kurz nacheinander. Ein Jahr später, 1746, wurde der Bauherr selbst zu Grabe getragen. Sein Nachfolger, Anselm Graf von Ingelheim genannt „Echter von Mespelbrunn“ hielt das unendlich teure Bauprojekt für schiere Verschwendung. Der gerade noch umjubelte Balthasar Neumann fiel in Ungnade, der Bau wurde gestoppt.

Doch schon nach 29 Monaten endete auch diese Ära, Ingelheim starb, und Karl Philipp Reichsfreiherr von Greiffenclau zu Vollrads trat seine Nachfolge an. Er war ein Geistesverwandter Schönborns, befürwortete die Tradition des fürstlichen Mäzenatentums und setzte als eine seiner ersten Amtshandlungen Balthasar Neumann wieder als Oberbaudirektor ein. Nachdem der Rohbau stand, Kaiserzimmer und Hofkirche bereits in Angriff genommen waren, konnte sich Karl Philipp von Greiffenclau auf die dekorative Gestaltung der Haupträume im Mittelbau konzentrieren.

Erneut in der Gunst seines Fürsten stehend versammelte Balthasar Neumann die besten Dekorationskünstler aus ganz Europa – Italiener, Deutsche, Franzosen und Niederländer – und vereinte sie zur kreativen Arbeitsgemeinschaft. Gemeinsam schufen sie ihre ganz eigene Stilvariante, das „Würzburger Rokoko“.

Für die künstlerisch größten Herausforderungen, die Gestaltung des Kaisersaals, vor allem aber der riesigen Kuppeldecke im Treppenhaus, gewann der Fürstbischof mit viel Geschick und überaus fürstlicher Entlohnung den besten Freskenmaler seiner Zeit: den Venezianer Giovanni Battista Tiepolo.

Deckenfresko von Tiepolo

Das Deckenfresko von Tiepolo

Der Maler stand im Zenit seines Ruhms. Seine Freskenzyklen in der Scalzi- und Gesuatikirche, in venezianischen Palästen und dem erzbischöflichen Palast in Udine waren weit über Italien hinaus berühmt. Im Dezember 1750 traf der gefeierte Künstler mit seinem 23-jährigen Sohn Domenico und dessen jüngerem Bruder, dem 14-jährigen Lorenzo, in Würzburg ein. Sein erster Auftrag war die Freskierung des Kaisersaals. Greiffenclau sah darin eine Art Prüfung –er wollte testen, ob der viel gerühmte Meister auch für Höheres, nämlich das Kuppeldach im Treppenhaus, geeignet sei. Tiepolo bestand mit Bravour. In nur zwei Jahren gestaltete er den damals noch ganz und gar kargen Raum zum königlichen Prunksaal, in dem die Reichsidee mit der „Brautfahrt der Beatrix von Burgund“ und zwei weiteren monumentalen Freskomalereien verherrlicht wurde.

In den winterlichen Zwangspausen widmete sich Tiepolo den beiden sieben Meter hohen Altarbildern der Hofkirche und begann mit den Entwürfen für die Decke des Treppengewölbes. Sein Ölgemälde „Apollo und die vier Kontinente“ überzeugte den Fürstbischof vollends. Es hängt heute übrigens im Metropolitan Museum in New York. Es war der Entwurf für das größte Bild, das Tiepolo jemals gemalt hat, jemals malen würde. 19 mal 32 Meter misst die freitragende Deckenkuppel über dem prunkvollen Treppenhaus. Tiepolo füllte die enorme Fläche mit einer allegorischen Darstellung der vier Erdteile – Europa, Asien, Afrika und Amerika (Australien war noch nicht entdeckt!) – und einem sich öffnenden Götterhimmel mit der glanzvollen Erscheinung des Sonnengotts Apollo. Wie ein Kosmos, belebt von Menschen, Tieren, Göttern, umhüllt von wuchtigen Wolkenwänden, wölbt sich das gewaltige Fresko über den Betrachter. Und der Maler sicherte sich geschickt die Gunst seines Fürsten, indem er das Porträt Greiffenclaus inmitten von himmlischen Wesen und barbusigen Amazonen in den Götterhimmel über Europa verewigte.

Greiffenclau war begeistert, zahlte 12 000 Gulden plus Gratifikation und bewunderte die täglichen Fortschritte. In nur anderthalb Jahren schaffte Giovanni Battista Tiepolo ein Jahrhundertwerk und reiste im November 1753 mit seinen Söhnen zurück nach Venedig. Kurz vorher war Balthasar Neumann gestorben, ein Jahr danach starb auch sein Auftraggeber Fürstbischof Karl Philipp von Greiffenclau. Es ist das Ende der Ära des Würzburger Rokokos.

Der nächste Fürstbischof von Würzburg und Bamberg, Adam Friedrich Graf von Seinsheim, vollendete das Werk seiner Vorgänger und beauftragte den begnadeten Stuckateur Ludovico Bossi mit einer klassizistischen Ausschmückung des Treppenhauses und Franz Anton Ermeltraut mit Grisaille-Malereien im Vestibül. Der geometrisch angelegte Hofgarten wurde vollendet und der Residenzplatz bebaut.

Mit der Säkularisation fiel das Fürstbistum Würzburg 1814 an das Königreich Bayern. Vorübergehend nutzte Kronprinz Ludwig die Residenz, 1821 kam Prinzregent Luitpold in den sogenannten Toskana-Zimmern der Residenz zur Welt. Seit dem Ende der Monarchie in Bayern 1918, wird die Residenz Würzburg von der Bayerischen Schlösserverwaltung betreut. Mit großer Sorgfalt stellte sie den historisch originalgetreuen Zustand wieder her – nicht ahnend, welches Ausmaß an Zerstörung die nahe Zukunft bringen würde.

Ein US-Offizier rettet die Residenz

Nach einem schweren Bombenangriff im März 1945 auf Würzburg brannte mit der Stadt auch die Residenz bis auf die Außenmauern aus. Wie durch ein Wunder überstanden die Fresken Tiepolos das Inferno. Dem amerikanischen Kunstschutzoffizier John D. Skilton war zu verdanken, dass sie auch anschließend nicht durch glühenden Bauschutt oder Nässe zerstört wurden. Eilends ließ er mit Holz und Dachpappe ein schützendes Notdach bauen.

Schon bald nach Kriegsende begannen umfangreiche Renovierungsarbeiten, die sich über Jahrzehnte hinzogen. 1981 schließlich wurde die Würzburger Residenz von der UNESCO als „Weltkulturgut“ ausgezeichnet. Heute besuchen jährlich über 340 000 Besucher die Residenz, schwelgen in Prunk und Pracht barocker Fürstbischöfe und eines genialen Künstler-Duos.

Mehr Infos unter: www.residenz-wuerzburg.de