Schloss Reichstädt

Dem Herzen folgen

Allen Widerständen zum Trotz kaufte die Theologin Dr. Ilse von Schönberg zehn Jahre nach der Wende das damals sehr marode Schloss Reichstädt in der Nähe von Dresden. Sie rettete den Besitz ihrer Vorfahren vor dem Verfall, vermietet einen Teil und nutzt die geschmackvoll renovierten Salons für Veranstaltungen.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Reichstädt muss gerettet werden!“ Über Jahre hinweg verfolgte Dr. Ilse von Schönberg diese Idee. Unterstützung erhielt sie dabei nicht. Nicht von Außenstehenden und nicht von der Familie: Ihre Ehe war geschieden, die drei Kinder hatten Bedenken, die Verwandtschaft schüttelte den Kopf. Ein Kollege, der es sehr gut mit ihr meinte, warnte: „Sie haben drei Handicaps: Sie heißen von Schönberg. Sie sind Theologin. Und: Sie sind eine Wessi!“

Im Gespräch mit Ilse von Schönberg kommt man somit schnell auf die alles entscheidenden Fragen: Warum zog es eine beruflich erfolgreiche Schuldekanin, gut etabliert im Badischen, in den Osten? Warum kaufte sie sich ein riesiges und seit Jahren leer stehendes Schloss? Was bringt eine Frau auf der Höhe ihrer Karriere dazu, ihre Kraft und ihr Geld in einen Besitz zu stecken, der noch nicht mal ihr Elternhaus war? Ilse von Schönberg hat auf jeden Fall schnell Antworten auf meine Fragen und nennt einige Gründe: „Ich bin 1943 in Dresden geboren. Sachsen ist meine Heimat. Dieses Gefühl ist geblieben, auch wenn ich in Niedersachsen aufgewachsen bin.“ Und es gibt eine familiäre Verbindung zu dem Barockschloss: Onkel und Tante lebten bis 1945 dort. Im Zuge der Bodenreform wurden Hans und Margarete v. Schönberg von der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet und flohen in den Westen.

Schloss Reichstädt

Auf den Spuren der Ahnen

Im Sommer vor der Wende, also 1989, verlegte Otfried v. Schönberg, der damalige Senior des Familienverbandes, den Familientag nach Dresden. „Es ist jetzt an der Zeit, sich anzuschauen, wo die Familie zu Hause war“, betonte er damals ahnungsvoll. Die Teilnehmer des Treffens besichtigten Tanneberg, Roth-Schönberg, Purschenstein, Frauenstein … und dann Reichstädt. Geleitet wurde die Rundreise vom kompetenten Baudirektor Dresdens, Prof. Adam. Sein Kommentar zu Schloss Reichstädt: „Aus diesem Schloss könnte man was machen, die Bausubstanz ist nicht schlecht, die Nähe zu Dresden ist gut.“ Ilse von Schönberg hat diese Einschätzungen genau wahrgenommen, sie drangen in ihr Herz. „Schon beim ersten Rundgang spürte ich die wohltuend harmonische Atmosphäre des Hauses, erkannte seine Schönheit und einstige Eleganz“, erinnert sie sich.

Eine wichtige Überlegung war auch, dass die 1945 vertriebenen Schlossbesitzer, Hans und Margarete v. Schönberg, keine Kinder hatten – es gab folglich keine Erben mit Besitzansprüchen. Ilses Wünsche wurden konkreter. „Allerdings hatte ich anfangs gar nicht vor, im Schloss zu leben. Aber ich wollte auf unserem Familien-friedhof begraben werden, zu meinen Wurzeln zurückkehren“, erinnert sich die Theologin.

Die Sehnsucht nach Reichstädt ließ Ilse von Schönberg nicht mehr los, begleitete sie über Jahre – und durch einige Lebenskurven. Sie wurde zur Schuldekanin in Lörrach berufen und kaufte sich ein verfallenes Schwarzwaldhaus. Liebevoll und mit viel Eigenarbeit renovierte die leidenschaftliche Restauratorin das alte Bauernhaus. Zudem begleitete sie ihre drei Kinder, Christian-Alexander, Dorothee und Silvia bis zum Abitur – und ins Leben.

Aber: Wie magisch angezogen reiste sie immer wieder nach Reichstädt. Sie freundete sich mit dem Ortspfarrer an, besuchte oft das mittlerweile leer stehende Schloss. 1997 bot die Gemeinde Schloss Reichstädt für über eine Million Mark zum Verkauf an. Frau von Schönberg wollte verhandeln, ihre Anfrage wurde ignoriert. „Lieber leer, als eine Wessi“, erfuhr sie hinter vorgehaltener Hand. Andere Bewerber winkten schnell wieder ab, sobald sie sich die Renovierungskosten klarmachten.

Dann berichtete die Lokalzeitung, dass das Schloss an eine buddhistische Glaubensgemeinschaft vermietet werden sollte, und die Empörung in der Gemeinde war groß. Unter diesen Umständen sei „die Schönberg“ das kleinere Übel – so entschied der Gemeinderat.

Zehn Jahre nach ihrem ersten Besuch kaufte Dr. Ilse von Schönberg Schloss Reichstädt für 30 000 Mark – eine Mark pro Quadratmeter für Schloss und Park zur Deckung der Kosten, die der Gemeinde entstanden waren.

Faktisch hatte das Schloss damals keinen Wert. Das elegante Mobiliar, das Margarete v. Schönberg einst von ihrer stattlichen Mitgift in Höhe von 150 000 Goldmark angeschafft hatte, war verschwunden. Kulturbanausen hatten in den 1980er-Jahren die eleganten Öfen aus Meißner Porzellan zerschlagen. Die wertvollen Bilder der Ahnen waren von russischen Soldaten bei ihrer Siegesfeier 1945 mit Bajonetten zerschlitzt worden, oder sie waren beschlagnahmt worden.

Nach dem Krieg nutzte die Gemeinde das Gebäude als Kindergarten, Schule, Pionier- und Kulturhaus. Ein Kunstmaler aus dem Dorf hatte in ein paar Räumen eine Malschule eröffnet, die meisten Zimmer standen leer, in manchen hausten Obdachlose. Das einst elegante Barock schloss verfiel. „Nur mit den Augen der Liebe und ein wenig Sachverstand sah man, welche Schönheit sich hier verbarg“, erklärt Ilse von Schönberg, es klingt wie voller Mitleid für die geschundene Seele des einstigen Familiensitzes. Sie war bereit, alles zu geben.

Die Kinder der Schlossherrin

Abenteuerliche Anfänge

Ilse von Schönberg verkaufte das hübsch renovierte Bauernhaus im Badischen mit gutem Gewinn. Mit dem Startkapital für einen ersten Renovierungsschub zog sie in den Osten und campierte im eigenen Schloss. Die Anfangszeit war abenteuerlich. Nichts funktionierte, zum Duschen ging sie ins Nachbarhaus, das der Gemeinde gehörte. Vergeblich bewarb sich die promovierte Theologin und langjährige Schuldekanin um eine Stelle als Religionslehrerin. „Religionsunterricht ist hier nicht gefragt“, erklärte man ihr.

Nach einjähriger Arbeitslosigkeit resignierte sie, kehrte zurück ins Badische und wurde dort wieder in den Schuldienst aufgenommen. Doch die willensstarke Schlossbesitzerin gab nicht auf. Sie bewarb sich weiter, reiste oft nach Reichstädt. Nach vielem Hin und Her wurde sie schließlich doch von der sächsischen Landeskirche als Schulpfarrerin übernommen und konnte zumindest ein paar Stunden in der Woche an verschiedenen Schulen im Erzgebirge und schließlich am Gymnasium in Dippoldiswalde unterrichten.

Ein Lichtblick. Das Blatt wendete sich. Sie erhielt Lastenausgleichszahlungen als Nacherbin von zwei Besitzen im Osten und konnte sich endlich mit ganzer Kraft ihrem Herzensprojekt widmen.

Falken-Zuchtanlage

Schutt, Schweiß und Schätze

Drei Architekten habe sie dann verschlissen, berichtet die Bauherrin heute. Schließlich war es der Sohn eines Pfarrers in Baden, der sich in Dresden niederließ, mit dem die Zusammenarbeit funktionierte, der sorgsam und sparsam arbeitete. Schon sehr bald bot Ilse von Schönberg einem Maler und einem Maurer, beide damals arbeitslos, die Festanstellung an. Das starke Duo sanierte Raum für Raum, schaffte 40 Container voll Schutt aus dem Gebäude und stieß bald auf ungeahnte Schätze: wertvolle Secco-Malereien aus dem Barock an den Wänden, an der Decke bemalte Holzbalken aus der Renaissance.

Nach mehr als 20 Jahren Renovierungsarbeiten ist Schloss Reichstädt nun wieder, was es einmal war: eine Perle des Barock im Erzgebirge. Heute vermietet Ilse von Schönberg drei große Wohnungen und baut ihr Veranstaltungsprogramm aus. Mit Standesamt im Spiegelsaal und Kirche nebenan, bietet Schloss Reichstädt einen idealen Rahmen für Hochzeiten. Gefeiert wird im Gartensaal, im Rosenzimmer, dem Tabakskolleg oder im Jagdzimmer. Wer will, kann übernachten. Die vier individuell eingerichteten Suiten sind nach berühmten Gästen des Hauses oder Familienmitgliedern benannt: vom Zarenzimmer und der Maria-Theresia-Suite bis zur Postmeistersuite, die Adam-Rudolph v. Schönberg gewidmet ist.

Besonders gern öff net Frau von Schönberg ihr Haus für Familientage oder Jugendveranstaltungen wie „Adel auf dem Radl“ und christliche Pfadfi ndergruppen.

„Es ist ein volles Leben“, freut sich Ilse von Schön berg. Den Schuldienst hat die jetzt 76-Jährige quittiert, aber hin und wieder predigt die Theologin von der Kanzel in der Kirche nebenan. Und manchmal gönnt sie sich – für die temperamentvolle Macherin noch neu und ungewohnt – einen Moment der Ruhe, der stillen Freude über das, was ihr gelungen ist.

Sie hat das Schloss ihrer Vorfahren zu neuem Leben erweckt. Was nach ihr kommt, das wird sich weisen. Noch sieht es nicht so aus, als würde eines ihrer drei Kinder nach Reichstädt ziehen. Vielleicht ist es ja ein Enkel, der den wieder aufgenommenen Faden der Generationen weiterspinnt. Wer weiß? „Aber“, so sagt sie,„ich bin angekommen. Hier will ich begraben sein, auf dem Friedhof meiner Familie, im Land meiner Ahnen.“ Mehr Infos unter: www.schloss-reichstaedt.destrong>