Schloss Reichstädt

Ein Schloss wird Energiesparmodell

Wie Träume wahr werden, zeigen Ulrich und Rea v. Raben. Vor 25 Jahren kauften sie Schloss Eichbichl im bayerischen Voralpenland und verwirklichen dort ihr Ideal von Tradition, Familiensinn und umweltbewusstem Leben.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

Angekommen! Nach kurvenreicher Autofahrt durch Wälder im Schnee und Felder im Matsch, vorbei an Orten mit so schrägen Namen wie Tuntenhausen, überkommt mich beim Anblick von Schloss Eichbichl dieses Gefühl der Erleichterung – und es bleibt. Angekommen! So fühlten sich Ulrich und Rea v. Raben auch, als ihnen vor nunmehr 25 Jahren der Kauf von Schloss Eichbichl gelang und sie den Umzugswagen aus dem spanischen Pamplona ins bayerische Voralpenland dirigieren konnten.

Prasselndes Kaminfeuer, englischer Tee in dickbauchiger Silberkanne, bunte Canapés, Zuckergebäck und – wohlige Wärme! In kalten Schlössern wird dies gern gepriesen, hier ganz besonders. Ulrich und Rea v. Raben wollen aus Schloss Eichbichl das erste energieautarke Schloss in Bayern machen. Der erste große Schritt ist bereits getan: Sie heizen mit Erdwärme und nutzen dafür eine neue, die Erde schonende Methode – die oberflächennahe Geothermie. Wie das funktioniert, wird Rea Raben später erklären, vorerst geht es um die Frage: Warum eigentlich Eichbichl? Was brachte die beiden Württemberger – Ulrich und Rea v. Raben geb. Liewald stammen beide aus Stuttgart – dazu, sich im bayerischen Voralpenland ein vernachlässigtes Schloss zu kaufen?

Schloss Reichstädt

„Eichbichl ist mehr als Heimat – für uns ist es ein Sehnsuchtsort“, erklärt Rea v. Raben und taucht tief ein in die Vergangenheit. „Schon als ich meinen Mann kennenlernte, wir gingen damals noch zur Schule, sprach Ulrich immer wieder davon, später einmal einen Familiensitz erwerben zu wollen. Der Traum vom eigenen Schloss war bei ihm eine quasi genetisch bedingte Sehnsucht.“

Um 1160 zogen die Herren von Raben mit Heinrich dem Löwen anlässlich des Wendenfeldzugs nach Mecklenburg. Sie waren erfolgreich, kamen zu Reichtum, bauten oder kauften Schlösser in Rederanck, Raben-Steinfeld, Klein-Trebbow, Kirch-Stück …

Als die Wirtschaft im Zuge der napoleonischen Befreiungskriege (1813–1815) zusammenbrach, verlor auch sein direkter Vorfahre, Johann von Raben, all seinen Besitz und musste sich als Offizier in der württembergischen Armee verdingen. Der Verlust des Familiensitzes wurde, wie ein Stigma, als allgemein sichtbarer Verlust der Bedeutung der Familie von Generation zu Generation weitergegeben.

Die Kinder der Schlossherrin

„Kauf dir ein Schloss!“

„Das riet uns bei unserer Hochzeit ein meinem Mann sehr nahestehender Onkel. Sein Rat fiel bei Ulrich auf fruchtbaren Boden – und auch ich fand diesen Gedanken nicht abwegig. Aber ich ahnte nicht, dass der Weg dahin über so viele Umwege führen würde.“

Dieser Weg führte das junge Paar zunächst einmal weit weg, nach Amerika, wo der Physiker Ulrich v. Raben an der Eliteuniversität Yale promovierte, während seine Frau als Ärztin im sozialen Randgebiet arbeitete. „Es war eine aufregende, sehr inspirierende, aber auch wahnsinnig anstrengende Zeit – alles andere als geeignet, eine Familie zu gründen“, erinnert sich Rea v. Raben. Sie atmete auf, als Headhunter ihren Mann für den Posten des Vorstandsassistenten bei Siemens entdeckten. Nach ihrer Rückkehr kauften sie ein Haus im Münchner Vorort Baldham. Im Abstand von zwei Jahren wurden Max, Alexandra und Benedikt geboren. Als sich 1990 das Nesthäkchen Elisabeth ankündigte, war die Familie schon auf dem Sprung nach Pamplona, wo Ulrich v. Raben die Leitung einer spanischen Siemens-Niederlassung übernahm.

Im Exil wuchs die Sehnsucht nach einem endgültigen Zuhause. Ankommen und bleiben – am liebsten in historischem Gemäuer. Jeden Samstag radelte Ulrich v. Raben mit seinen vier kleinen „Raben-Kindern“ zum Kiosk, kaufte jedem Kind ein Eis und für sich einen Stapel deutscher Zeitungen. Akribisch durchforsteten er und seine Frau die Angebote, sie suchten im Osten, schauten im Westen. Alles, was halbwegs infrage kam, heftete Rea ordentlich in einem Ordner ab – Eichbichl lag immer obenauf. Zwei Jahre lang zogen sie im Geiste ein – und immer wieder aus. In letzter Minute wurden sie überboten – und bekamen dann doch den Zuschlag. Am 14. August 1995 unterschrieben Ulrich und Rea v. Raben den Kaufvertrag für Schloss Eichbichl – eine „Ruine mit Tünche“, wie der neue Schlossherr damals humorvoll verkündete. Gleich am nächsten Tag rollten die Umzugswagen von Pamplona nach Frauenneuharting. Der erste Sommer war herrlich, der Winter hart. Eisige Winde zogen durch die schlecht isolierten Fenster. In drei Pullovern mit abgeschnittenen Fingerhandschuhen saßen die vier Kinder frierend vor ihren Hausaufgaben und kämpften mit den Anforderungen des bayerischen Schulsystems. Zwischen Diktaten da und Rechenaufgaben dort versuchte die engagierte Mutter, ihren Kindern die bayerische Heimat näherzubringen, sie mit vielen Gleichgesinnten zusammen zu bringen. Zwanzig Jahre lang organisierte Rea v. Raben mit einer Freundin die „Radltouren“ des bayerischen Adelsverbands, jetzt setzt ihr Sohn Max das erfolgreiche Konzept seiner Mutter fort und engagiert sich für die „Bayerischen Radllöwen“, einer Variante von „Adel auf dem Radl“

Zugleich bemühte sich die damals junge Schlossherrin, die unwirtliche Burg in ein elegantes Zuhause zu verwandeln. „Wie schaff ich das, wie spar ich was?“, war ihre Devise, die sie zu fantasievollen Kreationen anspornte. Statt teurer Tapeten verschönerte sie die Küchenwände mit geschmackvollem Geschenkpapier, eine Brokatdecke machte den Biertisch zur vornehmen Anrichte. Das Geld wurde für dringende Großprojekte gebraucht. Alle 38 alten Sprossenfenster mussten gegen doppelt verglaste Thermopenscheiben ausgetauscht werden. Ein finanzieller Aderlass – erst recht, wenn man sich, wie die damals noch fröstelnden Schlossherren, klassische Profile wünschte und das Denkmalamt die ursprüngliche Optik forderte.

Nicht immer fiel es Ulrich und Rea v. Raben leicht, den meist teuren Anforderungen der Denkmalschützer gerecht zu werden – aber immer wieder gelang es dem kreativen und weltoff enen Ehepaar, einen kostengünstigen Ausweg zu fi nden. Beim Sonntagsausfl ug ins Umland entdeckten sie ein Abbruchgebäude mit genau passenden Bodenplatten, die sie für wenig Geld übernehmen konnten. Die sündhaft teure Planung für die Neugestaltung des Parks mit vier ins Ensemble integrierten Garagen umging Rea v. Raben, indem sie mit einer Studentin für Gartenarchitektur einen Win-Win-Pakt schloss. Volle Unterstützung bei ihrer Diplomarbeit plus Übernahme der Druckkosten gegen sorgfältigst ausgearbeitete Pläne, die Rea v. Raben später erfolgreich beim Denkmalamt einreichen konnte.

Die Modernisierung der Heizung ist der Kontaktfreude des Hausherrn zu verdanken. Ein rotarischer Freund, Absolvent der Bergbauuniversität in Freiberg/Sachsen, berichtete Ulrich v. Raben von seinen geothermischen Studien. Seine mehrstellige Ölrechnung vor Augen erklärte sich der Schlossherr sofort bereit, sich an der Studie zu beteiligen und Eichbichl als Versuchsobjekt zur Verfügung zu stellen.

Falken-Zuchtanlage

Oberflächennahe Geothermie

„Schon nach fünf Jahren hatte sich die Investition amortisiert“, freut sich Rea v. Raben. Stolz zeigt sie mir die überraschend kleine Wärmepumpe, das Herzstück der Heizung, und erklärt, stark vereinfacht, das Prinzip der oberflächennahen Geothermie.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Praxis, die in Bayern verboten ist, weil bei den ca.150 bis 400 Meter tiefen Bohrungen die Grundwasser führende Tertiärschicht der Erde durchbrochen werden könnte, werden bei der oberfl ächennahen Geothermie nur fünf Meter tiefe Löcher gebohrt. Darin werden die Wärmekollektoren, spiralförmige Schläuche, die aussehen wie überdimensionale Lockenwickler, eingegraben. In den Schläuchen zirkuliert in einem geschlossenen Kreislauf ein Wasser-Gel-Gemisch, das die Bodenwärme aufnimmt. Die angewärmte Flüssigkeit wird zu einer Wärmepumpe im Haus geführt. Diese entzieht dem Wasser-Gemisch die Wärme und verdichtet sie – umgekehrt wie beim Kühlschrank – zu höheren Temperaturen. In einem „Puff erspeicher“ wird die Erdwärme in Form von bis zu 62 Grad warmem Wasser „gelagert“. Über die herkömmlichen Rohre wird das heiße Wasser in das vorhandene Heizungssystem oder die Warmwasserleitung weitergeleitet.

In den beiden oberen Stockwerken konnten die ursprünglichen Heizkörper aus den 1970er-Jahren beibehalten werden. Bei der Wohnung im Erdgeschoss mit den immer feuchten Wänden wurde neu gedacht. Hier wurden Kupferrohre in den Wänden verlegt. Seitdem ist auch diese Wohnung immer trocken und warm.

Kaum war die bislang unbenutzte Wohnung renoviert, möblierte die aktive Hausherrin das Apartment mit ausgesuchten Erbstücken, stellte sie bei verschiedenen Vermietungsplattformen wie Airbnb und Booking.com ins Netz und schuf eine zusätzliche Einkommensquelle mit Kurzzeitmietern aus aller Welt.

Gleichzeitig wuchsen die Pläne zum nächsten Schritt auf dem Weg zum ersten energieautarken Schloss in Bayern: selbst erzeugter Strom mit einer eigenen Fotovoltaikanlage. Eine Schlossmauer mit Fotovoltaikplatten wurde vom Denkmalamt abgelehnt. Jetzt basteln Ulrich und Rea v. Raben an der Idee, einen Zaun mit dezent verborgenen Fotovoltaikplatten um ihr Anwesen zu bauen. Pläne dafür gibt es bereits, die Umsetzung wird warten müssen. Der sich plötzlich verbreitende Coronavirus verändert alles – und macht Eichbichl zum beschützenden Nest für alle längst ausgefl ogenen Kinder. „Sie können alle kommen und bleiben!“ Die Mutter, Schwiegermutter und bald dreifache Großmutter breitet die Arme weit aus. „Dafür sind Schlösser doch da!“ So haben es sich Ulrich und Rea v. Raben immer gewünscht.

Infos zur Geothermie: www.geothermie.de/bibliothek/lexikon-der-geothermie/o/oberfl aechennahe-geothermie.html