Anfangstage

Ein Juwel im Biotop

Mit Lust auf die Zukunft bewahren Severin Graf v. u. zu Hoensbroech und seine Frau Anja Rosa die Vergangenheit. Sie gründeten die „Gräflich Hoensbroech’sche Kultur- und Naturstiftung“ und mobilisieren Familie, Freunde und Förderer für die Renovierung des baufälligen Barockschlosses und den Aufbau eines „Permakulturparks Schloss Türnich“ in Kerpen bei Köln.

Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff

In Stiefeln und dickem Wollpullover pendelt Severin Graf v. u. zu Hoensbroech heute mal wieder zwischen Park und PC. Er macht kurz Rast im Schlosscafé, kommt aber nicht dazu, den frisch gebackenen Apfelkuchen zu genießen. Als einen Ort der Ruhe, eine Oase der Natur vor den Toren Kölns nehmen vor allem Besucher Schloss Türnich wahr. Der Schlossherr selbst hat einen eng getakteten Terminkalender, sein Handy ist immer griffbereit. Es hält die vielen Fäden seines Lebens zusammen. Severin Hoensbroech ist ein Multitasker. Einer, der immer mehr Ideen als Zeit hat, dessen Energie und Tatendrang ausreicht, um in ein ausgefülltes Leben noch ein zweites ebenso ausgefülltes zu quetschen – und nebenbei noch mit seinen Brüdern Raphael und Alexis ein Buch über „Das Peripetie-Prinzip – Die Kunst wirksamer Führung“ zu schreiben (Murmann-Verlag, 2017).

Musikzimmer

Hauptberuflich arbeitet der Diplom-Psychologe als Regisseur, Schauspieler und Moderator. Als viel gebuchter Trainer für Führungskräfte und Keynote Speaker eilt Hoensbroech durch die Republik oder versammelt seine Zuhörer in Schloss Türnich. Inzwischen seltener steht der 47-Jährige als Schauspieler auf der Bühne, führt Regie und engagiert sich bei sozialen Projekten wie der Theateraufführung für das Libanon-Projekt der Malteser. Zurzeit probt er mit professionellen Schauspielern und Ghetto-Kids für eine Aufführung des „Kaufmann von Venedig“ am Kölner Gleisdreieck im Mai. Vor sechs Jahren suchten er und seine Frau Anja Rosa geb. Kallmeyer sich eine neue Aufgabe. Sie zogen mit den Kindern – Nepomuck, heute 11 Jahre alt, Philomena, 10, Aimee, 9, und der jetzt fünfjährigen Yolanda – von Köln nach Türnich, von der Stadt aufs Land – aber nicht ins Schloss.

Rittersaal

Risse im Fundament

Schloss Türnich ist eines der letzten noch vollständig erhaltenen Barock-Ensembles, ein „Juwel des Rheinlands“. Es wurde 1760 von Carl Ludwig Freiherr von Rolshausen als „Maison de plaisance“ gebaut und ist seit 1850 im Besitz der Grafen v. u. zu Hoensbroech. 1890 ließ der Marquis Franz Eugen Graf v. u. zu Hoensbroech das von einem Wassergraben umgebene Herrenhaus mit prachtvollen Rokoko-Elementen verschönern – zur Freude der nächsten Generationen. Im Zuge des fortschreitenden Kohleabbaus der Rheinbraun AG im benachbarten Braunkohlerevier sank jedoch der Grundwasserspiegel – mit fatalen Folgen für das u.a. auf Tonlinsen erbaute Schloss. Mangels Grundwasser zog sich der Ton zusammen, Hohlräume entstanden, das Gebäude drohte zur Mitte hin zu kippen.

Seit 1979 ist Schloss Türnich nicht mehr bewohnbar. Severins Vater, Godehard Graf v. u. zu Hoensbroech, wohnt mit seiner zweiten Frau Marie-Thérèse geb. Gräfin v. Galen im Renteigebäude im Südflügel der Vorburg. Ihr einsturzgefährdetes „Lustschloss“ vor Augen, hatten die Hoensbroechs einen langen, zähen Rechtsstreit mit Rheinbraun betrieben. Die Zahlungen reichten schließlich, um die Prozess kosten zu tilgen und die notwendigsten Sicherungsmaßnahmen am Schloss vorzunehmen. Mittlerweile wird das gesamte Gebäude von einer Ringzugverankerung gehalten, das Treppenhaus und die wertvollen Deckenstuckaturen werden mit Balken abgestützt. Mithilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Landes NRW und der Stadt Kerpen wurde 2009 das Dach erneuert. Ein Schweizer Künstler übernahm die Kosten für einen eleganten grau weißen Fassadenanstrich. Nach und nach wird das barocke Herrenhaus restauriert – es bleibt jedoch ein „Sorgenschloss“. Ausgestattet mit rheinischer Gelassenheit konzentrierten sich Graf Godehard v. u. zu Hoensbroech und Gräfin Marie-Thérèse v. u. zu Hoensbroech auf den Aufbau der Peripherie und setzten dort schon früh ihre Überzeugungen rund um die Themen Ökologie und Gesundheit um. Sie gründeten u. a. eine Firma für pflanzlich-homöopathische Arzneimittel und gestalten die Gärten und den landwirtschaftlichen Besitz naturnah und vielfältig. Als in den 1980/90er-Jahren die Bauern noch sorglos die chemischen Keulen schwangen, durchgrünten sie eine nach Demeter-Richtlinien angebaute Obstplantage mit insgesamt 18 Kilometer langen doppelten Wallhecken, damit die Vögel nisten, Igel und Hase einen Unterschlupf sowie Insekten Nahrung finden. Sie machten Wald und Park zu einzigartigen Biotopen, in denen seltene Pflanzen gedeihen und außergewöhnlich viele verschiedene Tiere leben. Nur selten wird das Idyll von Spaziergängern gestört, die auf der wie eine gotische Kathedrale angelegten Lindenallee staunend die Architektur mit der Natur genießen. 2017 wurde Schloss Türnich als UN-Dekade-Projekt für biologische Vielfalt ausgezeichnet. Mit Ansiedlung der Ceres Heilmittel GmbH erhielt der Schlosshof einen sehenswerten und ökologisch wertvollen Heilpflanzengarten. Ein Leben im Einklang mit der Natur, in Ruhe und Abgeschiedenheit – für Godehard und Marie-Thérèse Hoensbroech ist es ein passendes Lebensmodell. Ihre Nachfolger aber öffnen die Tore von Türnich.

Schwedenhaus

„Wer die Natur beherrschen will, muss ihr gehorchen.“ Francis Bacon

Türnich im Kopf, aber weit davon entfernt, in einem mexikanischen Waldzoo in Tuxtla Gutiérrez entdeckten Anja und Severin kurz nach der Übergabe einen Stein mit dem oben genannten Zitat von Francis Bacon. Es ist nicht der Stein des Anstoßes und auch nicht der Stein, der alles ins Rollen bringt, aber die Botschaft wird zum Wegweiser in die Zukunft von Schloss Türnich. Mit ihren Kindern, Hühnern und Hähnen, die Grace Jones, Britney oder James Brown genannt werden, bewohnt die junge Familie das „Schwedenhaus“ mitten im Wald von Türnich. Hier reifen die Pläne für eine nachhaltige Nutzung des Areals. Weil es nicht anders geht, wechselt Anja Hoensbroech, die sich als Juristin auf Völkerrecht und internationale Menschenrechte spezialisiert hat, ihren Beruf, plant, gestaltet und packt mit an, in der Gastronomie wie in der Landwirtschaft. Zwei begabte Köche, die ihr Handwerk in Sterne-Restaurants gelernt haben, servieren immer wieder freitags kulinarische Attraktionen wie „Vegan in sieben Gängen“, aber auch „Gutes vom Galloway-Rind“. Die Menüs sind stets von bester Bioqualität, Obst und Kräuter oft aus eigenem Anbau. Führungen, Firmenevents und Filmlocation, Wildkräuter-Workshops, Weihnachtsmarkt und Musik-Picknicks in den Gärten von Schloss Türnich ziehen viele Besucher an. Hochzeitspaare geben sich in der Kapelle oder im Lindenkranz im Park das Jawort, feiern anschließend im stilvoll eingerichteten Renteisaal. Der Schlossherr selbst nutzt die eigene Bühne, um Seminare und Gruppentrainings für Führungskräfte zu halten. Das Paar zieht alle Register im klassischen Repertoire der Nutzungsmöglichkeiten. Doch das sind erst die Anfänge von dem, was einmal werden soll.