Benediktinerinnenkloster

Schatzhüterin im hohen Norden

Seit 2018 leitet die junge Priörin Erika v. Bülow das Adelige Kloster Preetz. Ihre Begeisterung für die Geschichte und Kultur des schleswig-holsteinischen Kleinods ist ansteckend.

Von Henrike Frfr. v. Speßhardt

Fotos: Bernd Perlbach

Den Hirsch trifft alle Schuld. Denn als der bei einer Jagd unter der alten Eiche verharrt und den Jäger selbstbewusst anschaut, anstatt abzuspringen, ist sich Albrecht II. Graf v. Orlamünde (ca. 1182–1245) ganz sicher: Dieser Ort kann nur heilig sein. Und glänzt da nicht auch ein Kreuz zwischen dem prächtigen Geweih auf? Ob sich diese göttliche Erscheinung nun im Jahr 1211 oder 1212 zutrug, haben die Geschichtsschreiber vor lauter Aufregung schnell wieder vergessen. Überliefert ist: Albrecht, seines Zeichens Enkel des dänischen Königs Waldemar I. (1131–1182) und Statthalter der Grafschaften Holstein und Ratzeburg und des Landes Dithmarschen, stiftet an der Stelle der Eiche flugs das Benediktinerinnenkloster Campus Beatae Mariae zu Ehren der Jungfrau Maria und Johannes des Täufers. Das Nonnenkloster wird zu einem regen Zentrum der Kolonisations- und Kulturarbeit und findet nach einigen kleineren Ortswechseln 1261 an seiner jetzigen Stelle in Preetz den endgültigen Sitz. Es ist dem Bischof von Lübeck unterstellt, 70 Nonnen aus Ritterschaft und Lübecker Patriziat haben dort fortan Platz.

Erika v. Bülow

Expansion und Reformation

Ab sofort wird expandiert: Bis 1286 werden mindestens 16 Dörfer auf dem Klosterbesitz neu gegründet. Der ist mittlerweile beträchtlich angewachsen, denn immer wieder haben Schenkungen ritterschaftlicher Familien und eigene Landkäufe ihn erweitert. Zwar befinden sich heute nur noch rund 1600 der ehemaligen 24 000 Hektar Land- und Waldgebiet im Eigentum des Klosters, doch seit es im Zuge der Reformation 1542 in ein adliges Damenstift der Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft umgewandelt wurde, blieb anderes über Jahrhunderte mehr oder weniger beim Alten. Die Klosterordnung von 1636, die der dänische König Christian IV. (1577–1648) dem Kloster gab, ist noch heute die Grundlage der Klosterverfassung. Neben den grundherrlichen Rechten übte das Kloster über Jahrhunderte die höhere und niedere Gerichtsbarkeit und das Patronatsrecht an den Kirchen aus. Unruhig wurde es erst wieder im 19. Jahrhundert, als Dänemark nach dem Deutsch-Dänischen Krieg auf seine Rechte in Schleswig und Holstein verzichtete und die Herzogtümer an Österreich und Preußen abtrat. Die preußische Ständeordnung von 1869 und verschiedene Bodenreformen gaben dem riesigen Einflussgebiet den Rest.

Frauenklöster – besondere Orte

Die Vielfalt der Frauenklöster in Deutschlands Norden ist weltweit einmalig. Nach wie vor sind viele der oft im frühen Mittelalter gegründeten Stifte Orte aktiven geistlichen und weltlichen Lebens engagierter Frauen, die sich auch als Hüterinnen der in den Klöstern erhaltenen Schätze verstehen. Denn während anderorts im Norden christliche Ausstattungen und Objekte, Bücher und Architekturen oft Reformation und Säkularisierung zum Opfer fielen, blieben sie in den Frauenklöstern an ihrem Ursprungsort erhalten. So ist das auch in Preetz. Ob es nun die 1573 von dem Lübecker Orgelbauer Hans Köster erbaute Orgel, das um 1335/40 wohl vom Meister des Gestühls der Lübecker Katharinenkirche erbaute Chorgestühl oder die über 10 000 wertvollen alten Schriften der historischen Predigerbibliothek sein sollen – zu bestaunen gibt es jede Menge wichtigster Kulturgüter. Führungen finden vor allem von Mitte Mai bis Mitte Oktober statt. Für Bücherpatenschaften oder Spenden ist man in großem Maße dankbar, denn das Kloster gehört nicht der Nordkirche an, muss also alle Gelder für den Erhalt selbstständig erwirtschaften oder extern erbitten.

Preetzer Klosterkirche

Altes erhalten, Neues schaffen

Als Priörin und damit Bewahrerin des Ganzen fungiert die 1988 geborene Erika v. Bülow, die auf dem holsteinischen Gut Alt-Bokhorst im Kreis Plön, 30 Minuten von Preetz entfernt, groß wurde und die die Aufgabe von ihrer Vorgängerin Viktoria v. Flemming 2018 übernahm. Nicht erst, als die Kunsthistorikerin sich während ihrer Bachelorarbeit zur „Barockisierung der Damenstiftskirche in Preetz“ intensiv am Kloster aufhielt, verfiel sie der Idylle in der Nähe von Kiel vollends. Nach ihrer Abschlussarbeit 2018 an der Universität Kiel, die sich den Konventskirchen in Norddeutschland bis zur Reformation widmete, trat sie die Nachfolge Victoria v. Flemmings an.

Kloster für die Zukunft fit machen

Erika v. Bülow sieht sich nun in der, wie sie selber sagt, „freudigen Pfl icht“, jahrhundertealte Traditionen und Kulturgüter zu beschützen, zugleich sucht sie nach Möglichkeiten, das Kloster für Gegenwart und Zukunft fi t zu halten. Denn Energiekrise und Klimawandel machen auch vor den Toren des Klosters nicht Halt. Momentan wird mit Öl und Gas geheizt. Erika v. Bülow möchte das Kloster unabhängig von fossilen Energien bekommen und den Klosterforst mit klimaresilienten Baumarten durchmischen, um ihn auch für kommende Generationen stabil und gesund zu erhalten. Auch die Sicherung des Klosterarchivs, es ist sensationellerweise seit dem 13. Jahrhundert vollständig erhalten, steht auf ihrer To-do-Liste ganz oben: „Es muss dringend in einen klimatisierten, geschützten Raum umgesiedelt werden, wir wollen es unbedingt im Kloster behalten und nicht ins Landesarchiv abgeben“, sagt die Priörin.

traditioneller Weihnachtsmarkt

Ein Vetter als Mitstreiter

Bei allen Projekten steht ihr ein Vetter dritten Grades bei. Dr. Detlev v. Bülow ist seit dem 1. Januar 2021 als ehrenamtlicher Klosterprobst und Nachfolger von Eckhard Graf Hahn tätig. Wälder, Ländereien und der dazugehörige Wirtschaftshof sowie die Vermietung der klostereigenen Immobilien gehören ebenfalls zu den geteilten Aufgaben der beiden Bülows. Denn neben der Klosterkirche und ihren Wirtschaftsgebäuden, das gesamte Gelände steht unter Denkmalschutz, existieren zwölf historische, einst von adligen Familien für ihre Töchter errichtete Konventualinnenhäuser. Deren 65 Wohneinheiten, vom Ein-Zimmer-Apartment bis zur Sieben-Zimmer-Wohnung ist alles dabei, möchten gut verwaltet werden. Gerade auch durch die rund 120 Bewohner der Anlage, selten zieht einmal einer freiwillig aus, bleibt das Kloster ein lebendiger Ort, der neben kulturellen Veranstaltungen an seiner Gottesdiensttradition festhält und ein eigenes geistliches Leben führt. Ein Netz ehrenamtlicher Klosterprediger sorgt mit regelmäßigen Gottesdiensten dafür. Für Taufen und Trauungen steht die Kirche ebenfalls zur Verfügung, und nachdem es coronabedingt über die vergangenen Jahre nicht stattfinden konnte, wurde auch das Kulturprogramm des Klosters im Sommer dieses Jahres wieder aufgenommen. „Im September 2023 feiern wir unser 450-jähriges Orgeljubiläum mit Orgelkonzerten und Vorträgen, außerdem ist eine wissenschaftliche Tagung in Zusammenarbeit mit dem historischen Seminar und dem kunsthistorischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zum Thema „Das Kloster Preetz im Mittelalter“ geplant, darauf freut sich Erika v. Bülow. Auch die Einrichtung eines kleines Cafés schwebt ihr vor.

Klosterleben heute

Sie lebt auf dem Gelände, hat Residenzpflicht. Auf 15 Klosterdamen hat sich die Zahl der weiteren Konventualinnen mittlerweile verkleinert. Erika v. Bülow und ihre beiden Schwestern Louise und Adele wurden von ihren Eltern, Vater Harry v. Bülow (1952–2022) und Ute geb. Colmorn, bereits 1997 als sogenannte „Expectantinnen“, also Anwärterinnen, eingeschrieben. Alle eingeschrieben Damen genießen das Anrecht darauf, frei im Kloster zu wohnen. Derzeit leben jedoch alle Konventualinnen außerhalb des Klosters. Einmal jährlich versammeln sie sich zu einer Konventsitzung, bei der alle wichtigen Angelegenheiten des Kloster besprochen werden. Voraus setzung für die Einschreibung einer Dame im Konvent ist übrigens – ebenso wie vor 500 Jahren – die Zugehörigkeit zur Schleswig-Holsteinischen Ritterschaft, ob nun zu den uradeligen schleswig-holsteinischen Geschlechtern, den Familien Ahlefeldt, Brockdorff , Buchwaldt, Holck, Rantzau, Reventlow, Rumohr, Schac k und Thienen oder den zugewanderten Familien, darunter die Baudissin, Bernstorff , Bülow, Hahn, Holstein, Platen und Plessen. Auch die Angehörigen ursprünglich bürgerlicher Geschlechter wie der Kielmansegg, Liliencron, Luckner und Schimmelmann haben das Recht auf Eintritt. Gehen muss bis heute, wer heiratet. Erika v. Bülow ist ein solcher Glücksgriff für das Kloster, dass man sich nur wünschen kann, die Ritterschaft möge diese Regelung eines Tages kippen.

Und die Eiche, mit der alles begann? Steht angeblich immer noch auf dem Gelände. Dass Untersuchungen allerdings ergaben, sie sei erst etwa 500 Jahre alt, muss ja nicht gleich jeder wissen.