merbitz

Ein neues Kapitel

Benita Gräfin v. u. zu Westerholt und ihr Mann Philipp setzen die Tradition auf Gut Merbitz in Sachsen-Anhalt fort, indem sie das Alte erhalten und Neues schaffen.

Von Comtesse Dr. Bettina de Cosnac

Nein, nicht ohne meinen Mann!“ Verblüff t starre ich auf mein i-Phone und glaube, mich verhört zu haben. Bitte, wir sind im 21. Jahrhundert. „Aber Sie sind die Erbin“, möchte ich antworten, verkneife es mir aber. Dann wird ihre Haltung klarer: „Wir sind ein Team! Gemeinsam sind wir nach Sachsen-Anhalt gekommen, gemeinsam arbeiten wir auf Gut Merbitz.“ Die Antwort von Benita Gräfi n v. u. zu Westerholt und Gysenberg leuchtet ein, auch wenn ihr Mann, Philipp, die meiste Zeit für die Messe Frankfurt arbeitet und Haus und Hof neben seinem Homeoffi ce bestellt. Trifft man die beiden, wird sofort klar: Sie sind ein Team! Die 58-jährige Benita und ihr 61-jähriger Mann Philipp ergänzen sich so wunderbar wie ihre geschmeidigen Antworten. „Vor zwölf Jahren sind wir hierhergezogen, haben aber zehn Jahre gebraucht, um diesen Schritt tatsächlich zu gehen.“ Es sei schwer gewesen, von Butzbach im Westen in den Osten zu ziehen, obwohl sie Merbitz von den Ferien bestens kannten und die harten Wendejahre längst vorbei waren.

Und es war für Benita eine „wirkliche Überraschung“, dass die Wahl ihrer Eltern in einem Drei-Mädel-Haus auf sie, die Jüngste, fi el. „Ich weiß noch: Sie besuchten uns am Nikolaustag 2002. Mein Vater überraschte uns mit der Nachricht, ich solle Merbitz übernehmen. Mir kamen die Tränen.“ Das klingt wie ein Heiratsantrag. War es gewissermaßen ja auch. Benitas Eltern vermählten ihre Tochter mit ihrem Lebenswerk: Gut Merbitz. Es war das Wertvollste, was sie –neben den Kindern – in ihrem Leben geschaff en hatten. Durch Rückkauf, hohe Investitionen, Visionen und eigene Arbeitskraft.

Winterhalter

Mut der Wiedereinrichter

Nach der Einheit Deutschlands warteten Claus v. Krosigk und seine Frau Angelika geb. v. Nottbeck ihr Rentenalter ab, um 1998 endlich den Besitz des adoptierten Claus in Vollzeit zu übernehmen. Er hatte das Gut in Sachsen-Anhalt mit nur drei Jahren geerbt. Vorausgegangen waren zwei tragische Motorradunfälle der eigentlichen Erben. Wie üblich horchten die Trauernden sich damals in der Verwandtschaft um. Ihre Wahl fiel auf den damals noch kleinen Claus aus Hohenerxleben. „Er musste jahrelang in den Ferien mit den alten Tanten in Merbitz Karten – Schwarzer Peter – spielen, während seine Geschwister, Cousins und Cousinen sich anderswo vergnügten“, schmunzelt Benita. „Wie oft erzählte er uns die Geschichte!“ Trotz Spielopfer konnte der Vater sein Erbe nie antreten. Das DDR-Regime und die Teilung Deutschlands verhinderten es. Als der Prokurist Claus v. Krosigk in seiner Handelsfirma aufhörte und auch seine Frau, die für einen Bundestagsabgeordneten arbeitete, pensioniert wurde, kehrten sie Bonn und dem schönen Rheinland den Rücken und zogen in den Saalekreis. Schon 1993/1994 kauften sie das heruntergekommene Gutshaus und die Patronatskirche von der Treuhand zurück und pachteten an die 400 Hektar, die sie, als Nicht-Landwirte, in einer GbR zusammen mit Nikolaus Graf v. Kielmansegg aus Heinde bewirtschafteten. Stück für Stück sanierten sie auch das Anwesen mit 30 Gebäuden. Für die Kirche gründeten die drei Töchter 1999 einen Förderverein. Zusätzlich erhielten sie Unterstützung von der Stiftung für Kirchen, KiBa, und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Parkterrasse

Zurück zu den Wurzeln

„Es ist inzwischen der einzige vollständig zurückerworbene Krosigk’sche Besitz“, betont Benita. Und: „Die Eltern wurden von der Dorfgemeinschaft gut empfangen.“ Im Osten damals keine Selbstverständlichkeit.

Seit dem 16. Jahrhundert wurde das Gut durchgängig, bis auf die DDR-Zeit, von der Familie Krosigk bewirtschaftet. Das uradlige Geschlecht wurzelt in der Nachbarschaft und lässt sich bis 1103 zurückverfolgen. In den Jahren nach der Wende sorgten erste große Familientreffen im Saalekreis für aufmerksame Presse.

Nachdem Westerholts 2013 neben dem gewachsenen Besitz auch den Betriebsleiter von den Eltern übernommen hatten, suchten sie vor wenigen Jahren einen Nachfolger. Der „Neue“ hatte bereits für die Gut Merbitz GbR gearbeitet und erfuhr bei einem Besuch auf dem Hof als Erster von der just frei gewordenen Stelle. Spontan bewarb er sich und wurde genommen. „Wir erfüllten ihm damit einen Kindheitstraum und haben es nie bereut.“

Der „Einheimische“ Oliver Holetschka glänzt durch Leidenschaft, Fachwissen und beste Vernetzung. „Von der alten Nachbarschaftshilfe wie zu DDR-Zeiten profitieren wir durch ihn. Eine Hand hilft bei uns wirklich noch der anderen. Im Westen ist das nicht immer so.“

Umstellung auf Bio-Landwirtschaft

2024 zahlten Westerholts das letzte von den Eltern zugekaufte Land endlich ab. „Gerade habe ich die ersten fünf Hektar alleine neu dazugekauft. Für die Zukunft.“ Benita ist stolz. Seit 2023 arbeitet die neue Merbitz-Seeben GbR mit altem Bauernwissen und moderner Ökologie auf rund 1000 Hektar. Nach rund 25 Jahren konventioneller Landwirtschaft stellten Westerholts im Jahr 2019 auf Bio-Landwirtschaft um. „Man fühlt sich einfach wohler, wenn man saubere Landwirtschaft betreibt.“ Als zweites Standbein planen sie seit 2021 „saubere Energie“ mit einem 60 Hektar großen Solarpark. 2025 soll er ans Netz gehen. Photovoltaik ist ein komplexes Feld. Das Erbrecht ist zu bedenken und eine Vielzahl von Auflagen: Solaranlagen dürfen nur an Straßenrändern oder Schienentrassen stehen, keinesfalls auf den exzellenten 80-Punkte-Agrarböden, den Ausläufern der fruchtbaren Magdeburger Börde.

Leseraum

Und die Erben der Erben?

„Unsere Söhne, Moritz und Anton genossen es, auf das nahe Wettiner Burggymnasium mit Kindern der Region zu gehen. Sie haben Freunde gefunden, studieren in Leipzig und Hamburg und können sich beide vorstellen, den Besitz zu übernehmen.“ Wer ihn bekommt, wissen ihre Eltern noch nicht. Auch nicht, ob sie dann in Merbitz bleiben werden. Ihr eigenes intergenerationelles Zusammenleben mit ihren Eltern allerdings funktionierte bestens. Für die Kinder war das großartig. Wichtig dabei war „die räumlich klare Trennung“.

Benita hatte während dieser Zeit die intensivste Zeit ihres Lebens mit ihrem Vater. „Ich bin dankbar und froh darüber. Diese Zeit bis zu seinem Tod 2016 hilft mir heute noch bei vielen Entscheidungen.“ Bereuen sie es, in den Osten gegangen zu sein? „Das zeichnet doch unsere Familien aus, Besitz zu übernehmen“, meint Philipp Westerholt. Klaglos? „In dunklen Momenten“, gibt Benita zu, „wenn mir die alten Freunde doch fehlen, sage ich mir schon, der Preis für das Erbe ist hoch.“ Dann fährt das Paar für ein paar Tage an die Ostsee. Eine herrliche Entschädigung.

Eine andere ist es, wenn sich ihre Kirche zum jährlichen Gospelkonzert und Weihnachtsgottesdienst füllt. „In der DDR waren die Kirchen geschlossen. Bei uns ist sie off en, und es ist rappelvoll“, freut sich Benitas Mann. Seit die Söhne aus dem Haus sind, ist es ruhiger geworden, Philipp und Benita wohnen mit Angelika v. Krosigk in Merbitz, nach wie vor in getrennten Haushalten. Aber das tägliche gemeinsame Abendessen ist nicht mehr wegzudenken. „Zu den Anfangszeiten meiner Eltern war hier mehr los“, erinnert sich Benita, „viele Freunde aus dem Westen kamen, um zu sehen, was meine Eltern geschafft hatten.“ Sogar die Tradition des jährlichen Heringsessens am Aschermittwoch wurde fortgesetzt als Erinnerung ans Rheinland und als Treffpunkt naher und weiter Freunde und Bekannter der Umgebung. Das Gästebuch auf Merbitz zeugt davon. Und ein archivierter Bericht im Deutschen Adelsblatt von 1996 schildert ihren Mut, zurückzukehren und das lange Undenkbare in einem Alter zu leisten, in dem sich andere in den Ruhestand zurückziehen. Gut Merbitz war ein einmaliger, untypischer Unruhestand! Ein Aufbau Ost. „Wie war das alles möglich? Die Antwort ist einfach: nur zu zweit!“ Das Zitat des verstorbenen Claus v. Krosigk steht als Erinnerung und vielleicht Mahnung auf der neuen Merbitz-Webseite: www.merbitz-seeben.de