Gutshaus

Ein Schloss im Dornröschenschlaf

Ein verwunschenes Anwesen bei Amberg, oben auf einer Felsenterrasse. Schloss Neidstein wurde weltberühmt durch einen exzentrischen Schlossherrn, den Filmstar Nicolas Cage – und durch die Biografie über Ottilie von Faber-Castell, Erbin des gleichnamigen Industrieunternehmens.

Von Christian Personn

Der neue Schlossherr beeindruckt mit stattlicher Präsenz. Er ist viel größer, als er auf der Leinwand wirkt, findet die Maklerin Sabine Gammel, als sie im Winter 2005 den Kaufinteressenten Nicolas Cage aus Los Angeles durch das 28-Zimmer-Anwesen in Etzelwang führt. Mit der bildhübschen Ehefrau Kim (damals 24) am Arm, bekleidet mit Pudelmütze und formvollendeten Cowboystiefeln, stolzierte der Sprössling der weltberühmten Filmfamilie Coppola durch das Eingangsportal. „Er wirkte wahnsinnig attraktiv – mit seiner Größe, seinem Style und dem guten Aussehen“, berichtet die Immobilienfachfrau der Münchner Boulevard-Zeitung „tz“ später. Und: „Als wir das Schloss betraten, hat mich Herr Cage angestupst und gesagt: ,Das nehme ich‘“, erzählte Gammel.

Kuno und Maike v. Zedlitz

Neidstein erfüllte seine Träume: ein Schloss aus dem Mittelalter, authentisch, noch bewohnbar und etwas abgelegen. Für zwei Millionen Euro erwarb der Hollywood-Star 2006 das Schloss samt 165 Hektar Wald – für gerade mal drei Jahre.

Der Neffe des berühmten Regisseurs Francis Ford Coppola schwärmte damals von der Architektur und dem Grün um das Gemäuer. Er habe eine „authentische, familiäre Immobilie“ gesucht. Und freue sich, ein so „wunderbares Refugium“ gefunden zu haben, wo er „unbeschwerte Stunden mit der Familie“ verbringen wolle. Als Erstes ließ Cage die Mauern sanieren – und dann passierte erst mal wenig.

Nicholas Cage hatte sich nun also ein altes Schloss gekauft, doch offenbar wollte er es neu einrichten. Denn die in Amerika lebenden Eigentümer hatten zwischenzeitlich das zum Teil jahrhundertealte Inventar dem Münchner Auktionshaus Neumeister übergeben. Spitzenstücke waren eine Brüsseler Tapisserie aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, die das Haus Wittelsbach der Familie Brand schenkte, gotische Skulpturen und als Hauptlos Carl Spitzwegs Gemälde „Der Festungskommandant“, mit 400 000 Euro angesetzt. Vieles wurde veräußert, aber einiges kehrte auch wieder in die 500 Jahre alten Gemächer der Familie von Brand zurück. Auch der neue Schlossherr tauchte noch einmal auf: Am Pfingstsamstag 2008 flog der Schauspieler mit dem Hubschrauber in Etzelwang ein, wie der Bürgermeister noch heute zu berichten weiß. Schloss Neidstein war eines von Dutzenden Immobilien, die Cage dank der Millionengagen aus Filmbestsellern (wie „Leaving Las Vegas“, „The Rock“, „Con Air“) Anfang der 2000er-Jahren gekauft hatte.

Rastlos jettete er damals durch die Welt und erwarb noch eine Burg in England, eine Bahamas-Insel, Anwesen in Rhode Island und New Orleans. „Ich hatte einige Phasen, in denen ich ausgeflippt bin und wilde Sachen gemacht habe, aber das war größtenteils Absicht“, erzählte er später in einem Interview mit dem Magazin „GQ“. „Ich glaube, viele Leute in der Öffentlichkeit haben sich von der Vorstellung hinreißen lassen, dass ich eine Art wilder Verrückter bin, was anfangs Spaß gemacht hat.“

Seine Eskapaden wurden immer skurriler und irgendwann auch ziemlich teuer. Für stolze 276 000 Dollar ersteigerte er z. B. einen Tyrannosaurus-Schädel aus der Mongolei. Einfach so, um ihn zu besitzen. 17 Millionen Dollar schuldete Cage am Ende dem Finanzamt und anderen Gläubigern. Seine Karriere schwächelte zudem mächtig – und panisch trennte sich der, auch privat in Krisen geratene Künstler von fast allen Immobilien. Schloss Neidstein wurde im März 2009 verkauft – an den heutigen Besitzer Konrad Wilfurth. Danach fiel das Schloss zumindest medial wieder in den Dornröschenschlaf aus alten Zeiten.

Mittelalterdorf

Wann genau der Vorläufer des Anwesens – die Burg Neidstein – erbaut wurde, lässt sich nur schätzen. Am Fuße der Burgruine wurden Gefäßscherben gefunden, die auf die Mitte des 11. Jahrhunderts datiert wurden. Die Erbauer der Burg sollen zum Dienstadel des Bistums von Bamberg gehört haben. In der Gründungsurkunde des Klosters Michelfeld von 1119 ist ein Ruppert de Stein als Zeuge aufgeführt, der als frühester erwähnter Adliger auf Neidstein gilt. Die Neidsteiner starben allerdings „am Mannesstamme“ um 1300 aus. Danach kam es zu einem häufigen Besitzerwechsel. Eigentümer waren u. a. Kaiser Ludwig von Bayern, Pfalzgraf Rupprecht II., Pfalzgraf Rudolf II., Kaiser Karl IV., der Sohn Otto des Kaisers Ludwig von Bayern sowie Herzog Ludwig der Reiche von Bayern Landshut. Letzterer verpfändete 1466 die Burg und das Lehen an Hans den Prantner. Sein Nachfahr Jobst von Brand errichtete das heutige Schloss, nachdem die Burg 1504 zerstört worden war. Die nächsten wichtigen Bauabschnitte: 1634 wurde der Turm des Schlosses gebaut, wobei Steine der alten Ruine verwendet wurden. In den Folgejahren mussten immer wieder beträchtliche Bau- und Instandsetzungsarbeiten an den Schlossgebäuden, dem Malz- und Dörrhaus der Schlossbrauerei, dem Brauhaus, dem Schlosstor und der Schlossmauer durchgeführt werden. 1860 erhielt der Hauptbau zwei prägnante Ecktürmchen. Sämtliche Innenräume wurden erneuert.

Neidstein blieb jahrhundertelang das stille Refugium der Familie von Brand. Erstaunlich viele Baumaßnahmen erfolgten dann aber 1918/19. Vermutlich trieb die neue Schlossherrin, Gräfin Ottilie von Faber-Castell, nach ihrem Einzug die Arbeiten zügig voran. Sie hatte 1917 Philip Paul von Brand geheiratet. Hinter diesem schlichten Fakt versteckte sich eine große Lebens- und Liebesgeschichte, die Stoff für schwelgerische Romane (Asta Scheibs Roman „Eine Zierde in ihrem Hause“) und den opulenten ARD-Zweiteiler „Eine mutige Frau“ von 2009 wurden.

Op de Hörn

Ottilies Biografie beeindruckt

Als Enkelin von Lothar von Faber hatte sie 1896 nach dem frühen Tod ihres Vaters zunächst umfangreichen Grundbesitz der Familienstiftung geerbt. 1898 heiratete sie Alexander Graf zu Castell-Rüdenhausen (1866–1928), der 1900 Geschäftsführer und Teilhaber des Unternehmens wurde, das den Namen Faber-Castell erhielt. 1903 ging mit dem Tod der Großmutter, Ottilie senior, das Unternehmen in die Hände der Enkelin Ottilie über; Geschäftsführer blieb ihr Ehemann. Der Erste Weltkrieg hatte das Ehepaar allerdings entfremdet, Ottilie wollte mit ihrer (früheren) heimlichen Liebe Philipp von Brand zu Neidstein (1868–1935) leben – und ließ sich 1917 von Alexander scheiden. Ein gesellschaftlicher Skandal, nur in reichen Industriellenkreisen toleriert. Ein Jahr später wurde Ottilie Hausherrin auf Schloss Neidstein, wo sie bis zu ihrem Tod 1944 lebte. Das Amberger Anwesen blieb Sitz der ehemaligen Freiherren von Brand. Bis der Mime aus Hollywood einflog.

Nach dem Verkauf von Nicolas Cage an den Rechtsanwalt Konrad Wilfurth wurde das Schloss für die Nutzung als Tagungsstätte renoviert. Im August 2015 teilte das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik mit, Neidstein für Veranstaltungen nutzen zu wollen. Heute wird es überwiegend für Hochzeiten und andere Festivitäten vermietet. Musik- und andere Kulturevents sind angekündigt – vielleicht ja auch ein Filmfestival mit den Klassikern von Nicolas Cage …