Senioren-WG für Rüstige
Auf Schloss Elmischwang bei Augsburg schaffen Hubertus Freiherr und Dr. Michaela Freifrau v. u. zu Aufseß v. Podewils eine gesellige Alternative zur Einsamkeit im Alter.
Von Dorothee Gräfin v. Walderdorff
Mittags wird gemeinsam gegessen, am Abend trifft man sich zum Musizieren im Musikzimmer oder zum Bridge in der Bibliothek. Ich brauche nicht viel Fantasie, um mir ein vergnügliches Miteinander von Senioren in Schloss Elmischwang vorzustellen. Im Gegenteil, das kompakte Schlösschen mit seinen vier Türmen unter den Zwiebelhäubchen ist eine schon auf den ersten Blick schöne Alternative zur Einsamkeit in menschenleeren Räumen und erst recht zum streng geführten Seniorenheim. Hier zu leben, wäre für mich wie eine Rolle rückwärts ins Studentenleben, als ich mir mit mehreren Mitbewohnern eine Wohnung teilte. Jeder hatte damals sein eigenes kleines Zimmerchen, das man nur allzu gern für ein Schwätzchen in der gemeinsamen Küche verließ. Man teilte seinen Alltag und wurde zu lebenslangen Freunden.
Allerdings: Die Wohngemeinschaft im Schloss ist eine WG de luxe in herrschaftlichem Ambiente. Das 1902 unter der Leitung von Alexander Freiherr v. u. zu Aufseß von Johann Rieperdinger erbaute Schloss im Stil der Neorenaissance strahlt Eleganz und gleichzeitig Geborgenheit aus. Im Entrée hängt das Stetten-Wappen seiner Mutter in Eisen gegossen, Ahnen schauen von den Wänden, und auf der breiten Treppe liegt ein roter Läufer, wie man es kennt und mag. Dazu kommt die sehr besondere Lage von Schloss Elmischwang mitten im Naturpark Augsburg Westliche Wälder. In lauen Sommernächten kann man gemütlich auf dem Balkon sitzend beobachten, wie sich die Rehe vorsichtig aus dem Dickicht des angrenzenden Waldes wagen, wie im Herbst die Blätter bunt und bunter werden. Ausgedehnte Spaziergänge beginnen direkt vor der Haustür. Kein Lärm, kein Verkehr und kein Vergleich zu meiner letzten WG, wo der erste Bus um 5.30 Uhr morgens quasi vor meinem Bett hielt.
Die naturnahe Abgeschiedenheit hat allerdings auch ihren Preis. Der Ortsteil Wollmetshofen-Elmischwang ist winzig. Die Dörfer Fischach oder Langenneufnach sind jeweils zwei Kilometer entfernt. Für einen Café-Besuch am Nachmittag oder gar einen Ausfl ug in die City von Augsburg oder München braucht man ein Auto, sofern man sich nicht in den Linienbus zum Bahnhof setzen möchte. „Das wird sich ändern“, frohlockt Hubertus Freiherr v. u. zu Aufseß v. Podewils und berichtet von der für 2027 geplanten S-Bahn-Verbindung mit Haltestelle direkt hinter der Schlossmauer.
Hubertus Baron Aufseß und seine Frau Michaela geb. v. Siemens leben mit ihren vier Kindern in Prien am Chiemsee. Nach Elmischwang kommen sie, wenn es etwas zu regeln oder erledigen gilt. Und das ist häufi g der Fall. Zwischen ihren Terminen an einem durchgetakteten Hochsommertag führen sie mich durch sonnige, leere Räume. Die dazugehörenden Bäder sind großzügig und seniorengerecht mit begehbaren Duschen. Über drei Etagen verteilt gibt es neun Ein- oder Zwei-Zimmer-Apartments. Gekocht wird in einer großen gemeinsamen Küche, jeder für sich oder alle gemeinsam. So hat jeder sein eigenes kleines Reich und ist dennoch nie allein.
Das Haus bietet viele Möglichkeiten zur Geselligkeit. Im Musikzimmer wartet ein Keyboard darauf, bespielt zu werden, in der Bibliothek, dem Bastelzimmer, im ebenerdigen Speisesaal oder auch im Park kann man sich in kleinerer oder größerer Runde treffen. Im Souterrain wurde eine kleine Hauskapelle eingerichtet, die immer zum stillen Gebet geöffnet ist und in der Gottesdienste für beide Konfessionen stattfinden. Man kann sich das muntere Leben im voll besetzten Schloss gut vorstellen, auch wenn es heute hier so still ist, dass man beim Gehen die Holztreppe knarzen hört.
Altenheim seit 1946
So ruhig war es in diesem Gemäuer eigentlich noch nie. Seit 1946, nach Auszug der Flüchtlinge aus dem Osten und dem Umzug der Freiherrn v. u. zu Aufseß ins gegenüberliegende Forsthaus, wurde das Schloss als Altenheim genutzt. Nach dem Landkreis Augsburg übernahm der Johanniterorden von 1957 bis 1970 die Leitung. Als Heimleiterin war Rose v. Kalkreuth eingesetzt. Schließlich, ab 1998, wurde das Haus in privater Trägerschaft von den Eigentümerinnen Gertrud Freiin v. u. zu Aufseß und ihrer jüngeren Schwester Irmgard geführt. Unter ihrer Ägide entstand 1999 der „Neubau“ als Erweiterung für schwerere Pflegefälle.
Die beiden unverheirateten und kinderlosen Schwestern waren ein gut eingespieltes Team. Gemeinsam verwalteten sie ihr Erbe, Gut Elmischwang, zu dem neben dem Seniorenheim noch Wald und verpachtete Landwirtschaft gehören. Ihr jüngerer Bruder Otto, ebenfalls unverheiratet, war Zeit seines Lebens kränklich und wurde nach einem Sturz vom Heuboden zum Pflegefall.
Überraschendes Erbe
Beim Käsekuchen im Speisesaal erzählt Hubertus Aufseß: „Wie es sich gehört, fuhr ich mit meiner damaligen Verlobten zum Anstandsbesuch nach Elmischwang. Mein Schwiegervater in spe, Ruprecht v. Siemens, lieh uns dafür einen seiner Oldtimer, einen BMW Dixi. Die Tanten waren begeistert: von meiner Braut, aber fast noch mehr von unserem Flitzer. Prompt tauften sie ihr nächstes Dackelbaby Dixi.“
Von da an „strickten“ die alternden Baronessen unter größter Geheimhaltung an ihren Plänen für die Zukunft von Elmischwang. Mit besorgtem Blick beobachteten sie das junge Paar. Der damals ahnungslose Erbe, Hubertus Freiherr v. Podewils, war mit 19 Jahren an Leukämie erkrankt. Nur durch eine Knochenmarksspende seiner Schwester konnte er genesen.
Dann, einige Jahre nach seiner Hochzeit und kurz vor der Geburt des ersten Kindes, schickten die Tanten den werdenden Eltern einen Brief. Nach wolkiger Einleitung mit vielen Floskeln schrieben sie: „Wollt ihr einmal unser geliebtes Elmischwang mit all Freuden und Lasten übernehmen? Es wäre uns ein lieber Gedanke, unseren Besitz in Euren Händen zu wissen.“
Der großen Überraschung folgte eine Adoption. Gertrud Baronin Aufseß, die ältere und dominantere der beiden, adoptierte Hubertus Freiherr v. Podewils. Seitdem heißen er, seine Frau und ihre mittlerweile vier Kinder Freiherrn v. u. zu Aufseß v. Podewils.
Für die beiden alten Damen war dies vorerst genug der Vorsorge. Die Verwaltung von Elmischwang blieb fest in ihrer Hand und unter Kontrolle des Försters, ihres Vertrauten in geschäftlichen Angelegenheiten und im Laufe der Zeit auch Repräsentanten bei öffentlichen Auftritten. Erst als 2008 Gertrud Freiin v. Aufseß im Alter von 86 Jahren starb, gewannen die neuen Namensträger und Erben einer Hälfte des Besitzes an Einfluss. Nach vielen Querelen und großen Zahlungen konnten sie sich aus dem Pakt mit dem Förster lösen.
Ende und Neuanfang
Die Bewirtschaftung ihres Erbes wurde dadurch aber nicht einfacher. Der oberste Stock musste entkernt und das Schlossdach neu gedeckt werden. Außerdem kündigte der Heimleiter nach über 20-jähriger Tätigkeit wegen der zunehmenden Regulierung durch die Behörden. Zitat: „Meine DDR-Vergangenheit hat mich hier in Schwaben wieder eingeholt.“ Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger war mühsam, und auch die Rekrutierung von Pfl egepersonal wurde zunehmend schwieriger. Die Anforderungen an den Brandschutz wurden hoch und höher geschraubt, waren aber noch harmlos im Vergleich zum umfangreichen Katalog an Vorschriften des Bayerischen Pfl ege und Wohnqualitätsgesetzes. Geduldig kamen Hubertus und Michaela Aufseß den immer neuen Forderungen nach, scheuten keine Kosten und Mühen, auch wenn ihnen immer mehr die Einsicht fehlte. Schließlich, beim zwei Zentimeter zu tief angebrachten Handlauf an der Treppe, der nicht die geforderte Omega Form hatte, war’s vorbei. „Aus! Schluss! Jetzt reicht’s!“
Am 30. April 2023 wurde das „Freiherrlich von Aufseß’sche Altenheim Schloss Elmischwang“ geschlossen. Für die Bewohner wurden neue Unterkünfte gesucht und gefunden. „Das Haus leerte sich, aber wir wussten nicht, wohin die Reise in Elmischwang gehen sollte“, schildert Michaela Aufseß die bedrückende Phase der Ungewissheit nach dem großen Knall. Der Gedanke an das Naheliegende reifte erst in der Ruhe nach dem Sturm: Wohngemeinschaften für Senioren, die das Haus mit seinen Möglichkeiten genießen können und zu schätzen wissen. Die Rüstigen im Schloss, wer pfl egebedürftig ist, wird im Neubau versorgt. Damit können wie eh und je in Elmischwang wieder Senioren leben. Im Unterschied zu früher aber werden die Pfl ege und Betreuung – bei Bedarf auch 24/7 – von einem ambulanten Pfl egedienst übernommen. So konnten die geltenden Vorschriften der Behörden weitgehend auf die für normale Wohngebäude geltende reduziert werden.
Es ist die perfekte Lösung, freut sich Michaela Aufseß: „Die Räume bis hin zum Aufzug sind bereits seniorenfreundlich ausgestattet. Wir brauchten kaum etwas zu verändern, mussten lediglich Küchen für die Wohngemeinschaften einbauen. Auch der kooperierende Pfl egedienst hat sich schon sehr bewährt. Liebevoll und engagiert betreute er die 100-jährige Irmgard Freiin v. u. zu Aufseß in ihren letzten Lebenswochen. Mit dem Wissen, ihr geliebtes Elmischwang in gute Hände gegeben zu haben, starb sie im Spätsommer 2024.