Gutshaus

British Flair in Norddeutschland

Eingebettet in die Landschaft des Elbe-Weser-Dreiecks liegt Gut Hörne. Kuno Freiherr v. Zedlitz und Neukirch und seine Frau Maike haben sich hier mehrere originelle Standbeine geschaffen.

Von Henrike Frfr. v. Speßhardt

Eine winterliche Brise weht über das Kehdinger Land am niedersächsischen Unterlauf der Elbe. Die Landschaft hier oben besteht aus Watt, Deichen, Marschland, Moor und Geest und ist in weiten Teilen flach und dünn besiedelt. Ein ungewöhnlicher und interessanter Natur- und Kulturraum, den nicht unbedingt alle kennen, selbst wenn er touristisch gut erschlossen ist. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden die hiesigen historischen Territorien Bremen und Verden zu einem unter schwedischer Herrschaft stehenden Reichsterritorium Bremen-Verden mit der Hauptstadt Stade zusammengefasst. Das Elbe-Weser-Dreieck, das sich zwischen Unterweser und Außenweser einerseits und der Elbmündung und der Unterelbe andererseits zieht, umfasst 4500 Quadratkilometer. An seinem oberen Zipfel liegt das Rittergut Hörne im Ort Balje hinter einem schon im Mittelalter angelegten Deich, der es bisher stets vor den Wassern von Elbe und Oste schützte, die in unmittelbarer Nähe fließen. Die Elbe ist auf der Höhe von Hörne bereits ganze sechs Kilometer breit. Auch das namensgebenden „Hörn“, der Bogen im Marschboden, hat das Gut seit jeher vor Überschwemmungen bewahrt. In 30 Minuten ist man von hier aus mit dem Auto in Cuxhaven, nach Bremen benötigt man anderthalb Stunden, nach Hamburg zwei. Die Fahrt nach Stade dauert heutzutage rund eine Stunde.

Um 1500 wäre die Strecke wohl eine Tagesreise lang gewesen, als der Stader Bürgermeister Heinrich v. Gehren vom Bremer Erzbischof das Rittergut als freies Eigentum geschenkt bekam. Seitdem ist es, mit durch weibliche Erbfolge wechselnden Namen, durchgehend im Familienbesitz, darunter zwei Jahrhunderte lang im Eigentum derer v. Plate, seit 1860 als v. der Decken’scher Besitz, danach ein Sitz derer v. Lenthe, bis die Mutter des heutigen Eigentümers, Elisabeth v. Lenthe (*1920), im Jahr 1950 den aus Schlesien stammenden Landwirt Hans-Christoph Freiherr v. Zedlitz und Neukirch (*1920) heiratete.

Kuno und Maike v. Zedlitz

Pioniere des ökologischen Landbaus

Heute leben auf Gut Hörne Kuno (*1953) und Maike v. Zedlitz (*1960). Der Landwirt und die Erzieherin sind beide Kinder des Nordens, haben sich in Hamburg kennen- und lieben gelernt und 1989 geheiratet, nachdem der Betrieb 1988 übergeben worden war. Ebenfalls 1989 stellte Kuno v. Zedlitz die rund 200 Hektar große Fläche auf biologischorganischen, viehlosen Ackerbau um und war damit einer der Pioniere des ökologischen Landbaus in der Region. Produziert wurden Back- und Futterweizen, Triticale, Dinkel, Raps und Ackerbohnen. Ein Teil des Landes ist mit Kleegras bestellt, das eine regenerierende Wirkung auf den Marschboden hat.

Das geklinkerte Gutshaus entstand von 1871 bis 1873 im neogotisch-englischen Stil, der auf die Begeisterung der Vorfahren Claus Alexander v. der Decken und seiner Frau Marie v. Plate für alles Britische zurückging. Beide reisten regelmäßig nach England und Schottland. Der Bau ist geradezu extravagant für die hiesige Landschaft, insbesondere sein gelber Backstein aus Dänemark sonst regional kaum zu finden. Auch den südenglisch inspirierten Landschaftsgarten legten die Vorfahren an, erweiterten dazu das Grundstück und schufen Sichtachsen durch die Bepflanzung mit außergewöhnlichen Gehölzen, die als ehrwürdige Baumgreise bis heute den schönen Park prägen. Eine kaukasische Flügelnuss ist ebenso darunter wie die seltenen geschlitztblättrigen Linden und Eichen, die dem feuchten Untergrund trotzen und Dank guter Pflege in sehr gutem Zustand sind. Im Sommer verirrt sich schon einmal der ein oder andere Besucher des von Maike v. Zedlitz betriebenen, von Frühjahr bis Herbst gut besuchten Cafés in den eigentlich privaten Garten. Die beiden Gutsbesitzer nehmen es gelassen, so wie sie ohnehin von der bekannten nordischen Entspanntheit sind, in ihrer Freizeit gerne Musik der Rolling Stones hören, Ente fahren oder Bed-&-Breakfast-Reisen nach England unternehmen. So entstand auch die Idee zu einem weiteren Standbein des Guts, denn Zedlitzens teilen ihr Haus im Sommer großzügig mit jeder Menge Zimmergästen, die morgens im eichengetäfelten Speisezimmer mit roter Tischdecke zusammenkommen, ganz nach britischer Tradition. „Wen man so abgeschieden lebt wie wir, ist es sehr erfrischend, Gäste aus aller Welt zu haben. Wir jedenfalls haben das sehr genossen und so gut wie nie schlechte Erfahrungen damit gemacht“, sagt Maike v. Zedlitz, die ihre vier Zimmer im Haus und zwei Ferienwohnungen in Nebengebäuden nicht über Online-Plattformen, sondern ausschließlich über Mund-Propaganda vermietet.

Mittelalterdorf

Im „Dorf“ auf Zeitreise gehen

Ganz besondere Gäste begrüßt das Gut auch an anderer Stelle regelmäßig. Denn Kuno und Maike v. Zedlitz betreiben auch das einzige mittelalterliche Modelldorf in norddeutschem Privatbesitz, in dem regelmäßig LARP-Gruppen auf Zeitreise gehen. Die Live Action Role Players, in Deutschland gibt es etwa 30 000 bis 50 000 Spieler, die sich diesem Hobby regelmäßig widmen, sind Menschen aller Altersklassen, die tagelang in die Rolle historischer Figuren schlüpfen. „Für die Mittelalterspieler ist das Dorf ,Op de Hörn‘ natürlich eine großartige Kulisse“, sagt Maike v. Zedlitz und erzählt begeistert von den hoch aufwendigen Kostümen der LARPs, die während ihrer meist mehrtägigen Veranstaltungen auf den Wiesen rund um das Modelldorf zelten.

Auch Fotoshootings, Musikvideodrehs, Hochzeiten und Geburtstage haben in dem authentischen Rundlingsdorf schon stattgefunden, das über eine geweihte Kapelle verfügt. Dass das holzumzäunte Modelldorf ausgerechnet in Balje steht, verdankt man dem Zufall. Als einige Lehrer der örtlichen Schulen in den 1990er-Jahren auf der Suche nach einem neuen Standort für ein in Braunschweig anlässlich des Stadtjubiläums entstandenes, ausrangiertes Mittelalterdorf waren, fragten sie auch in Hörne an. „Eigentlich wollten die nur mal schauen. Aber als sie die Wiesen nahe des Gutshauses betraten, waberten die Nebel wie in einem Mittelalterfi lm aus Hollywood über die reifbedeckten Gräser, und es war um sie geschehen“, lacht Kuno v. Zedlitz.

Op de Hörn

Er war ebenso begeistert von der Idee, das Dorf wurde abgebaut und auf einer kleinen Wurt nahe des Gutshauses wieder errichtet. Dort steht es nun, wird liebevoll gepflegt und harrt der Dinge, die da kommen.

Bald werden Kuno und Maike v. Zedlitz ihre landwirtschaftlichen Flächen an einen jungen Landwirt aus der Nachbarschaft verpachten und auch über die Nachfolge für ihr Lebenswerk denken sie nach. Vielleicht ist dann ja bald schon wieder mehr Zeit für Reisen nach England und die Stones, die 2025 übrigens mit ihrer Abschiedstournee loslegen.