
Die Klosterburg der Tempelritter
Das Convento de Cristo in Portugal ist die am besten erhaltene Burg der legendären Templer. Nach dem Besuch lässt es sich auf dem Gut der Familie von Dom Luis de Castro, Conde de Nova-Gôa komfortabel entspannen.
Von Henrike Freifrau v. Speßhardt
Das rote Tatzenkreuz war ihr Erkennungszeichen, Jerusalem ihr ursprünglicher Stammsitz. Seit der Gründung um 1118 galten die Tempelritter aus dem Orden der „Armen Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem“ als mutigste und zugleich gnadenloseste Kämpfer der Christen im Heiligen Land und wurden schnell so einflussreich, dass sogar Könige ihre Macht fürchteten. Ihr Clou: Als Pioniere im Finanzwesen entwickelten sie ein frühes Bankensystem, das es Pilgern ermöglichte, ihre Vermögensgegenstände vor Reiseantritt zu hinterlegen und bei ihrer Ankunft im Heiligen Land entsprechende Beträge gegen Gebühren wieder abzuheben. So wurden die selbst entbehrungsreich lebenden Templer schnell steinreich: Um das Jahr 1300 verfügten sie in Europa über ein breites Netzwerk von 15 000 Ordensmitgliedern und hielten etwa 10 000 Besitzungen. Doch dass der Orden als eine Art adlige Eliteeinheit direkt dem Papst unterstellt war, half ihm auch nicht weiter, als der französische Regent Philipp IV. 1307 ihn in einer gut geplanten Geheimaktion über Nacht brutal zerschlagen ließ. Philipp, auch genannt „der Schöne“ (1268–1314), war bei den Templern hoch verschuldet und benötigte doch dringend frisches Geld für neue Kreuzzüge. Zudem hatte der selbstbewusste Großmeister des Templerordens, Jacques de Molay (1244–1314), Philipps Anweisung zum Zusammenschluss des Tempelordens und des Johanniterordens für einen neuen Feldzug gegen die Ungläubigen abgelehnt. Der Haftbefehl des Königs stützte sich im wesentlichen auf Gerüchte und Denunziationen. Inquisitionsuntersuchungen und Folter der Templer zogen sich über viele Jahre und förderten doch wenig Belastbares zutage. 1312 wurde der Orden von Papst Clemens V. trotzdem offiziell aufgelöst. Das immense Vermögen der Ritter ging dem französischen Königshaus und dem Orden der Johanniter zu. Diejenigen Templer, die die Säuberungen überlebt hatten, kamen ebenfalls bei den Johannitern unter oder gründeten neue Orden. Jacques de Molay, der letzte Großmeister des Ordens, wurde 1314 auf der Pariser Île de la Cité auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Das Ende der Templer schien besiegelt.

865 Jahre Templer in Tomar
Hätte sich die Situation in Portugal nicht ganz anders dargestellt! Das dortige Königshaus beteiligte sich nicht an der Verfolgung und Enteignung des Ordens, weil dies grundlegend eigenen Interessen zuwidergelaufen wäre. Die Templer waren unverzichtbarer Verbündeter in der Reconquista, der Rückeroberung großer Teile der Iberischen Halbinsel aus arabischer Herrschaft. Nach der offiziellen päpstlichen Auflösung benannten sich die portugiesischen Ritter 1319 lediglich in „Ordem de la Cavalaria de Nosso Senhor Jesus Cristo“ um. Bis 1834 blieben die Christusritter unter dem Schutz der portugiesischen Krone bestehen, bildeten das Rückgrat der portugiesischen Entdeckungsfahrten und waren so über Jahrhunderte einfl ussreich. Bereits 1159 hatten aus den Kreuzzügen zurückkehrende Templer vom ersten portugiesischen König Dom Afonso Henriques das Gebiet um Tomar erhalten, etwa 130 Kilometer nördlich von Lissabon am Fluss Nabão gelegen. Dort bauten sie ab 1160 eine Wehrburg, in der sie ihr strategisches Militär- und Verwaltungszentrum errichteten. Das Convento de Cristo diente sowohl als Kloster als auch als Festung. Die militärische Stärke des Ordens zeigte sich bei der Belagerung von Tomar im Jahr 1190, als er die Stadt erfolgreich gegen eine muslimische Armee verteidigte und die Ritter ihren Ruf als beeindruckende Krieger festigten.

Der Mythos lebt
Die über die Jahrhunderte erweiterte Templerburg in Tomar steht immer noch und befi ndet sich seit 1983 unter dem Weltkulturerbeschutz der UNESCO. Bis heute sind originale Teile der ersten romanischen Anlage erhalten, wie die achteckige Kapelle aus dem 12. Jahrhundert. Ihre Gestaltung ist an die der Grabeskirche in Jerusalem angelehnt und symbolisiert die Verbundenheit der Templer mit dem Heiligen Land. Die dramatisch anmutende Innenarchitektur mit den himmelsstrebenden Säulen diente liturgischen Zwecken, war aber auch Initiationsstätte für neue Ordensmitglieder. Selbst reizüberflutete Teenager sind hier baff ob der Kraft und historischen Wucht des Ortes. Zumal die Legenden rund um die Templer bis heute nicht abreißen und ein Fremdenführer gestenreich darüber spekuliert, ob der geheimnisumwobene Heilige Gralder Templer nicht vielleicht doch unterhalb der Kapelle eingemauert sein könnte? Platz genug für Verstecke wäre jedenfalls in Tomar. Auch die restliche Architektur des riesigen Convento ist mehr als beeindruckend. Für die immense Anlage muss man auf jeden Fall viel Zeit einplanen. Gut und gern kann man sich hier einen ganzen Besuchstag aufhalten und frei durch die allein neun Kreuzgänge, die langen Klosterflure, Treppenhäuser, Innenhöfe, Terrassen und Gärten schlendern und die Stimmung des Ortes auf sich wirken lassen. Auf seiner Entdeckungstour wird man nicht allein gelassen: Überall fi nden sich Informationstafeln auf Englisch. Insbesondere während der Erweiterung der Burganlage unter König Manuel I. (1469–1521) erhielt der Bau seine heutige Form. Unter Manuels Herrschaft erlebte Portugal eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Blüte, die sich auch in der sogenannten manue linischen Architektur widerspiegelt, einer einzigartigen Sonderform der Spätgotik. Als Dank für die Entdeckungsreisen der Seefahrer, beispielsweise Vasco da Gamas Indienreise, und den dadurch entstandenen, immensen Reichtum zierten fortan maritime Motive wie Korallen, Muscheln und Algen sowie Taue, Nixen und Sirenen die Bauten. Nicht auslassen sollte man die frisch sandgestrahlten manuelinischen Fenster an der Fassade des Convento mit ihren unfassbar fi ligranen Steinmetzarbeiten, darunter Seetang, Meeresungeheuer, Krakenarme, gefl ochtene Taue und überdimensionierte Gürtelschnallen.

Ausspannen auf der Quinta
Zeit, die vielen Eindrücke und Gedanken sacken zu lassen, fi ndet sich abends auf dem nahen Rittergut Quinta da Bizelga des Conde de Nova-Gôa, dessen Familie hier seit 400 Jahren ansässig ist. Bei einem Glas Wein, einmal in der Woche laden Dom Luis und Dona Helena de Castro ihre Gäste dazu ein, erfährt man mehr über die Geschichte der Familie, die ihre ganz eigenen Erfahrungen mit den Templern machte. Weil ein Vorfahr sich weigerte, den Ordensrittern Schutzgeld zu zahlen, und im Anschluss einen Richter mit Fäusten traktierte, wurde er kurzerhand zur Strafe nach Malakka im heutigen Malaysia versandt, um dort Piraten zu jagen. Andere Familienmitglieder waren folgsamer und dienten 300 Jahre in der Kolonie Portugiesisch-Indien, was den heutigen Beinamen erklärt. Gastgeber Luis Eduardo de Mendia de Castro, 4. Conde de Nova-Gôa, war lange Jahre Präsident des portugiesischen Adelsverbands und kennt die Geschichte des portugiesischen Adels auch deswegen in- und auswendig. Die Familie de Castro ist ursprünglich ein galicisches Adelsgeschlecht, das hauptsächlich in den Königreichen Kastilien, Galicien und Portugal verbreitet war und einst zu den mächtigsten Familien des spanischen und portugiesischen Adels gehörte. Auch in Portugals bekanntester Liebesgeschichte kommt der Familienname vor. Jedes portugiesische Kind kennt die Geschichte von Inês de Castro, einer Vorfahrin des Grafen Nova-Gôa, ermordet 1355 auf Befehl von König Afonso IV., der die galicische Geliebte seines Sohns Pedro für nicht standesgemäß hielt. Der daraufhin anschließende Bürgerkrieg zwischen Vater und Sohn, die Lebensgeschichte von Inês und die postume Krönung ihres Leichnams als Königin von Portugal im Jahre 1361 gehören zu den bekanntesten Motiven der portugiesischen Literatur- und Filmgeschichte. Paparazzi hingegen waren vor Ort, als die Quinta da Bizelga 1959 hochherrschaftlichen Besuch verzeichnete: Die englische Prinzessin Margaret stattete der Templerburg einen Besuch ab, logierte auf dem Rittergut und ritt mit dem Vater des jetzigen Eigentümers durch dessen Korkeichenplantage. Pferde gehören auf der Quinta mittlerweile zwar der Vergangenheit an, aber lauschige Oliven-, Korkeichen- und Pinienhaine gibt es auf dem 400 Hektar großen Gelände immer noch zuhauf. Dom Luis und Dona Helena haben mehrere ruhige Ferienwohnungen auf dem Gelände eingerichtet, in denen sie dank Klimaanlage das ganze Jahr über Gäste begrüßen können. Der Pool und die romantischen Gärten des Gutes dürfen ebenfalls genutzt werden. Die Liebe zum Land, Verantwortung für Tradition und die wohltuende Gastfreundschaft haben die beiden auch an den Sohn des Hauses Dom Vasco, die Tochter Dona Mariana, den deutschen Schwiegersohn Gregor Alpers und deren Familien weitergegeben. Und so rundet sich der Besuch in Tomar zu einem Erlebnis ab, das Historienfans ebenso begeistern wird wie all diejenigen, die einfach nur Ruhe unter Olivenbäumen suchen.