Gutshaus

Sonaten für ein Schloss

Das Schloss Altenstein in Bad Liebenstein in Thüringen wurde in den letzten Jahren zu einem ganz besonderen Kulturdenkmal wiederaufgebaut.

Von Christian Personn

Musik kann Steine bewegen, und das heißt nicht nur, dass sie Steine erweicht. In dem liebreizenden Schloss am Südwesthang des Thüringer Waldes sind die Steine seit über 100 Jahren ziemlich in Schwung geraten: Und das lag besonders an Johannes Brahms, dem weltberühmten Komponisten, der im November 1894 und 1895 auf Schloss Altenstein ein paar überaus kreative Wochen verbrachte. Diese Zeit war sehr prägend für ihn – nur folgerichtig, dass aktuell dort eine Brahms-Gedenkstätte eingerichtet wird. Besonders die „Waldeseinsamkeit“ rund um Schloss Altenstein schätzte der Dirigent und Komponist Brahms – von dem weitläufigen Park schwärmte er seinen Freunden in vielen Briefen vor. Das architektonische und gärtnerische Kleinod mit dem Ausmaß von heute 160 Hektar wurde von den Herzögen von Sachsen-Meiningen erschaffen. 1736 war dieser Sommersitz der Herzöge auf dem Altenstein, am Standort einer mittelalterlichen Burg, fertiggestellt worden. Es handelte sich um ein schlichtes barockes Schlossgebäude.

Herzog Georg I. begann 1798, die bis dahin kaum genutzte Anlage zu beleben, indem er einen Landschaftsgarten mit zahlreichen Parkarchitekturen anlegen ließ: mit künstlichen Talgründen und dramatisch-felsigen Aussichtspunkten. Der Herzog genoss es, die Anlage „mit leichter Kutsche“ zu erkunden – der verbreiteten aristokratischen Art, sich in Landschaftsparks zu bewegen. Sein Wunsch war es, quasi als räsonierende Mobilität, mittelbar über Geschichte, Vergänglichkeit und das Verhältnis von Mensch und Natur nachdenken zu können. Dieser Eigenschaft verdankt der Schlosspark Altenstein seine Einordnung unter Gartenfachleuten als „sentimentaler Landschaftspark“.

Sohn Georg II. war auch so eine Art Schöngeist – er ist mit dem Zusatz „Theaterherzog“ in die Analen eingegangen. Zwischen 1888 und 1891 ließ er den barocken Vorgängerbau zu einer Sommerresidenz im Stil der englischen Neorenaissance grundlegend umbauen. Anstelle der gleichmäßigen Fensterachsen der barocken Fassade erhielt das Schloss große mehrteilige Fenster, der Nord- und der Ostfassade wurden „Bow Windows“ vorgestellt.

Der Hauptzugang wurde aus der Mittelachse verlagert und erhielt einen großzügigen Portikus. Das Dach gliederte man durch Kielbogengiebel und hohe Schornsteine, die als gestalterisches Element genutzt wurden. Das Dach wurde mehrfarbig gedeckt. Westlich des Schlosses entstand ein Küchenbau als Fachwerkkonstruktion, und Georg II. ließ ihn durch einen Küchengang mit dem Schloss verbinden. Im Mai 1889 konnte Richtfest gefeiert werden.

Dafür schaffte man 208 Liter Bier, 200 Bratwürste und ebenso viele Zigarren herbei. Georg war ein durch und durch von Genuss geprägter Mensch, und es gefiel ihm, sich zwischen Jagdaufenthalten im Schloss mit Schauspielern oder Musikern zu treffen. Sie hatten zu seinem „Divertissement beizutragen“, was so viel bedeutet: Es wurde ausgiebig über Kunst und Politik debattiert. In Schloss Altenstein sollte es möglich sein, frei von den Zwängen des höfischen Lebens Gespräche zu führen – und eben auch zu musizieren. Besondere Aufmerksamkeit widmete Georg II. deshalb dem Treppenhaus, das nach dem Vorbild des englischen Hatfield House angelegt wurde: mit Kleinskulpturen als Musikinstrumente auf den Treppenpfosten.

Mittelalterdorf

Für Johannes Brahms wirkte Schloss Altenstein jedenfalls wie ein Jungbrunnen. Der mit seinen 58 Jahren damals als rüstig und schon etwas betagt geltende Musiker freundete sich in Altenstein mit dem Klarinettisten Richard Mühlfeld an, dessen differenziertes Spiel auf der Klarinette ihn faszinierte und berührte. Mühlfeld galt als bester Klarinettist seiner Zeit – seine Spiel wurde von Zeitgenossen als technisch und künstlerisch vollendet, warm und klangvoll, poetisch und feinsinnig gerühmt. Kritikern schien es so, als könne Mühlfeld mit verschiedenen Zungen singen. Brahms wollte eigentlich nicht mehr schöpferisch arbeiten, ließ sich aber nun doch zu einer weiteren Schaffensphase inspirieren. So entstanden in seinen letzten Lebensjahren vier Meisterwerke der Kammermusik: das Klarinettenquintett hMoll, das Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier op. 114 und die beiden Sonaten op. 120. Auf zahlreichen Konzertreisen nach Wien, Berlin und London spielten Brahms und Mühlfeld sie selbst auf den Bühnen, ein internationaler Triumphzug.

Wie herzlich das Verhältnis zwischen Schlossherr Georg II. und seiner dritten Ehefrau, der Schauspielerin Ellen Franz, zu den Musikern war, zeigt das Privatkonzert von Mühlfeld und Brahms vor dem Herzogpaar im November 1894, bei dem die beiden Sonaten op. 120 nach einem gemeinsamen Abendessen gespielt wurden, noch bevor sie bei einem Konzert im Wiener Tonkünstlerverein im Januar 1895 erstmals öffentlich erklangen.

Diese so bewegte Zeit in Schloss Altenstein faszinierte über 100 Jahre später Renate und Kurt Hofmann aus Lübeck. Die beiden Professoren trugen jahrelang eine umfangreiche Sammlung an Brahmsiana zusammen, die den Grundstock des 1990 gegründeten Brahms-Instituts der Lübecker Musikhochschule bildet.

Op de Hörn

Diejenigen Dokumente, die speziell die Beziehung Brahms zu dem Musiker aus Meiningen beleuchten, haben die Sammler aber Schloss Altenstein vermacht. Eine Ehre für die dortige Schlossverwaltung und die Brahms-Gedenkstätte – aber auch eine Bürde, berichtet Schlossverwalterin Susanne Rakowski: „Das Haus ist ja 1982 fast vollständig abgebrannt und befindet sich noch im Wiederaufbau.“ Das behindert bis heute eine fachgerechte Lagerung der Bestände. Und so wurde die Sammlung als Leihgabe ins Thüringer Landesmusikarchiv in Weimar gegeben. In einem Raum des Schlosses steht aber schon eine Bronze des sitzenden Brahms, der Mittelpunkt der nun peu à peu eingelagerten Sammlung von Fotogravuren, Originalbriefen und Notendrucken. Dort findet sich auch ein Schreiben an Clara Schumann. Brahms bat sie, ihn zu besuchen: „Ich wünschte, Du mögest hier an meinem Fenster sitzen, auf meinen Balkon hinausgehen können und dann hinaus in den herrlichen Park und Wald. Die schönsten Fasane, Hirsche und Rehe dutzendweis’ spazieren mit.“ Doch die enge Freundin, inzwischen die bekannteste Musikerwitwe Europas, lehnte ab. Zu tief saßen ihre Erinnerungen an den Ort, den sie als junge Frau besucht hatte. Und wo sie eine folgenreiche Entscheidung treff en musste: Ihre Karriere als Pianistin hatte sie aufzugeben, zugunsten der Ehe mit Robert Schumann. Auch wenn es eine Liebesheirat war, wusste Clara um die Bedeutung des Schrittes, Robert hatte ihr dieses Opfer ans Herz gelegt. Mit zwei Freundinnen verbrachte sie ganz zurückgezogen die letzten Tage vor ihrer Hochzeit in Schloss Altenstein – und grämte sich ziemlich. Auch weil dort in diesen Tagen für sie nur ein böse verstimmter und kaum bespielbarer Flügel bereit stand.

Die Arbeiten an den Schlossfassaden und den umliegenden Schlossterrassen ebenso wie die Rohbauarbeiten im Inneren sind inzwischen weitestgehend abgeschlossen. Anhand historischer Fotografien und Beschreibungen sind der Speisesaal und Teile des Haupttreppenhauses rekonstruiert. Als Pendant zum Speisesaal entstand im Obergeschoss ein moderner Konzertsaal. Die weiteren Schlossräume sollen durch hölzerne Ausstattungsteile und Farbgebungen im Sinne der Bauzeit gestaltet werden. Dank einer großzügigen Schenkung der Stifter Renate und Kurt Hofmann konnten im Schloss bereits zwei Ausstellungsräume eingerichtet werden – das Chinesische Kabinett und eben die Brahms-Gedenkstätte. Der Park ist trotz der Baumaßnahmen am Schloss (bis Ende 2026) zu besichtigen.