Gut Drült

Der Boden bringt’s

Der Agrarökonom Benedikt Bösel bewirtschaftet das Gut Alt Madlitz in Brandenburg nach neusten Methoden regenerativer Landwirtschaft.

Von Dr. Armgard v. Reden

Wer an einem sonnigen Spätsommertag auf dem Jakobsweg von Frankfurt/Oder nach Berlin wandert, bekommt das passende Bild vom Nordosten Brandenburgs: Auf einem riesigen Feld eggt ein riesiger Trecker und zieht eine riesige Staubwolke nach sich. Nicht umsonst hieß diese trockene und sandige Gegend Deutschlands von alters her „des Heiligen Römischen Reiches Streusandbüchse“. Streusand gibt es bei Bodenwerten um 30 und einer jährlichen Niederschlagsmenge von rund 400 mm genug. Im heißen Sommer 2022 fielen laut der Messstation in Neu Madlitz sogar nur 380 mm Regen.

Fünf Minuten vom Jakobsweg entfernt liegt das frühere Finckenstein’sche Gut Alt Madlitz. Der letzte Besitzer, Karl-Wilhelm Graf Finck v. Finckenstein, kaufte es nach der Wende zusammen mit seinem Stiefsohn, dem Bankier Hans-Detlef Bösel, zurück, der das Gut 1994 vollständig übernahm. Der Besitz teilte das Schicksal vieler Güter im Osten: Die Ländereien waren in einer LPG aufgegangen, das Herrenhaus wäre fast draufgegangen. Es war baufällig, marode, kurz: It had seen better days. Und auf die Alteigentümer hatte auch hier niemand gewartet.

Finckenstein und Bösel schreckte das nicht ab: Sie kauften und pachteten Flächen zurück, setzten einen Verwalter ein und betrieben rund zehn Jahre lang konventionelle Landwirtschaft. Aber weil sie feststellen mussten, dass das in dem dortigen Sandkasten eher ein Zusatzgeschäft war, stellten sie den Betrieb 2004 auf ökologische Landwirtschaft um. Maßgeblich initiiert wurde dies von Cornelie Bösel, der Ehefrau von Hans-Detlef Bösel, die seit 2004 vor Ort den Betrieb kontrollierte, das Schloss und die zum Gut gehörenden Häuser sanierte. Heute leben sie und ihr Mann im Schloss, der Park ist für die Öffentlichkeit zugänglich.

Hofgarten

Benedikt Bösel: Landwirt mit Mission

Vor acht Jahren übernahm ihr Sohn Benedikt den Betrieb. Er lebt mit der britischen Kochbuchautorin Tess Ward und zwei Kindern in Alt Madlitz und katapultierte das Gut in die Zukunft. Als „Landwirt mit Mission“ ist Benedikt Bösel mittlerweile sehr bekannt. Der Banker, der noch ein Studium der Agrarökonomie absolvierte, wurde 2022 mit dem von „agrarheute“ ins Leben gerufenen Ceres Award als „Landwirt des Jahres“ ausgezeichnet. Seitdem bieten sich ihm noch mehr Möglichkeiten, die Mission zu erklären. Bösel nutzt die Chancen gern und kommunikativ überzeugend, wie z. B. in seinem Buch: „Rebellen der Erde“. So wie Bill Clinton im Wahlkampf 1992 den Stellenwert der Wirtschaft in das Kurzcredo „It’s the economy, stupid“ fasste, so könnte man Benedikt Bösels Credo in die Formel „It’s the soil, stupid“ fassen: Der Boden bringt’s!

Bösel erkannte, dass das Konzept des Betriebes Alt Madlitz mit seinen rund 3000 Hektar, davon 2000 Hektar Forst und der Rest viehloser Ackerbau, bald nicht mehr aufgehen würde. Die Verluste von Feld und Wald wechselseitig auszugleichen war angesichts von Trockenheit und Stürmen immer schwerer. Er suchte nach einem neuen Weg und wurde fündig.

Familie

Regenerative Landwirtschaft

Zentrale Anliegen der regenerativen Landwirtschaft sind Biodiversität und die Regeneration des Bodens. So werden beispielsweise auf Äckern in breiten Streifen Obstbäume, Sträucher, Sonnenblumen und Gräser angebaut, die als Windschutz dienen, Wasser speichern und zum Lebensraum für Vögel, Hasen, Igel und Insekten werden und deren Erträge später als Tierfutter genutzt werden können. Was und wie Benedikt Bösel die neuen Ansätze auf seinen Feldern erklärt, klingt sehr einleuchtend – aber sind das denn auch wirklich neue Erkenntnisse?

Sind die Knicks, die Streuobstwiesen, über die Schafherden ziehen, oder das alte Wissen, welche Schädlinge Pflanzen meiden, wenn sie neben bestimmten anderen Pflanzen stehen (Möhren immer abwechselnd mit Zwiebeln pflanzen), nicht auch Ansätze einer syntropischen Agroforstwirtschaft? Benedikt Bösel stimmt zu: „Viel altes Wissens geht in die Agroforstwirschaft ein, aber jede Generation hat es in der Landwirtschaft mit neuen Herausforderungen zu tun. In unserer Generation ist es die Dürre und die Gefahr der Versteppung.“

Er zitiert Karsten Rinke, Experte für Wasserressourcen beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: „Wenn die Klimaerwärmung ungebremst weitergeht, hat man bis zum Ende des Jahrhunderts die ersten Areale (besonders in Brandenburg), die tatsächlich einer Versteppung unterliegen.“ Und das Problem wird sein, dass kein Wasser für die Bewässerung vorhanden ist. Es ist diese Gefahr, die Bösel mit der regenerativen Landwirtschaft abzuwenden versucht. Er lernt von Pionieren wie dem Schweizer Ernst Götsch und baut seit 2019 systematisch mit einem Team von idealistischen Fachleuten die Kernelemente der regenerativen Landwirtschaft auf.

Gartensaal

1. Syntropischer Agroforst: Als Erstes ließ er Bäume auf dem Acker pflanzen. („Nicht die reine Lehre von Ernst Götsch“, lacht er, „aber ich war ungeduldig.“) Heute sind sieben Agroforstsysteme etabliert. Als Erosions- und Wasserschutz steigern sie die Artenvielfalt und wirken sich auf das Mikroklima aus. Der Boden wird fruchtbarer, das Grundwasser sauberer. Rund 55 Hektar des Ackerlandes sind heute im Agroforstbestand. Um die Agroforstwirtschaft auszuweiten, gründete Benedikt Bösel extra auch eine Baumschule, die ihn mit vielen Obstbäumen unterschiedlichster Sorten und Sträuchern für die Felder versorgt.

2. Extensive Viehhaltung: Er begann mit 20 Salers- und Angus-Rindern. Heute weiden 200 Tiere im Rotationsweidebetrieb. Dieses sogenannte Mob Grazing bildet im Prinzip das natürliche Weideverhalten von wilden Herden ab: Die Tiere werden nach einigen Stunden auf eine neue begrenzte Weidefläche geführt, die sie abgrasen und ihren Dung hinterlassen. Damit die Weide sich erholen kann, kommt die Herde erst nach einigen Monaten wieder auf diese Parzelle. Das Ergebnis dieser „Bodenerholungskur“ ist mehr Wurzelmasse der Gräser, mehr Bodenaufbau. Bösel wurde unabhängiger von externen Düngerlieferanten und bekommt Fleisch als ein zusätzliches Verkaufsprodukt.

3.Sukzessive Forstwirtschaft: Auf den sandigen Böden Niedersachsens und Brandenburgs wurden primär Kiefern angebaut. Auf rund 70 Prozent des 2000 Hektar großen Waldgebiets der Bösels stehen Kiefern. Als Monokulturen sind sie besonders anfällig für Feuer, Dürre und Windbruch – eine tickende Zeitbombe! Die Kombination aus Wassermangel, hohen Wildbeständen und der alles überwuchernden Traubenkirsche machte zusammen mit den Stürmen die Erträge aus dem Wald zu einem Lotteriespiel. Glück im Unglück: Bösel gewann für sein Konzept „Holistische Transformation des Waldes“ einen Preis von Ecover und begann zusammen mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde mit den sogenannten Madlitzer Varianten zu erforschen, wie der Wald auf verschiedene Maßnahmen reagiert. Das ging von Referenzfläche 1, der normalen Monokultur bis hin zur Fläche 5. Hier wurden die umzäunten Gebiete in drei Teile geteilt. Auf der ersten wurden 40 Prozent der Bäume gefällt, auf der zweiten über 60 Prozent, die dritte erfuhr einen Kahlschlag. In allen drei Flächen wurden 20 bis 30 Baumarten, Sträucher und Kräuter in syntropischen Streifen gepflanzt und gesät. Zur Überraschung aller war die „Kahlschlagfläche“ der Star des Waldtransformationsprojektes. Die Pflanzen explodierten förmlich. Licht und Boden bilden hier ihr ganz eigenes syntropischen System. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären: „Auf den Boden kommt es an. Er ist der Schlüssel zu allem“, betont Benedikt Bösel.

4.Kreativer Kompost: Jeder Gartenbesitzer kennt den Prozess – aus dem Komposthaufen mit organischen Abfällen entsteht humusreiche Erde, in der es von Regenwürmern und Mikroorganismen nur so wimmelt. Bösel stieß bei seinen Recherchen dazu auf die amerikanische Mikrobiologin Elaine Ingham und erkannte, wie elementar wichtig Kompost sein würde, damit der Brandenburger Boden sich langfristig erholen und verändern kann. Er tauschte sich mit zahlreichen Fachleuten aus und begann zu experimentieren. Mit verschiedenen Systemen und Geräten, wie Wirbelstromkomposter oder Johnson-Su-Bioreaktoren, und mit Laurenz v. Glahn, seinem Manager für Nährstoffkreisläufe und Mikroorganismen, entsteht jetzt ein Kompost, der, gesiebt und vermischt mit anderen Substanzen, eine Beizmischung ergibt. Das gebeizte Getreide trocknet, geht es mit allen guten Nährstoffen versorgt in die Erde. Zusätzlich probiert der „Kompostmeister“, Ideen des Korean Natural Farming aus: Rinderknochen in Essig zur Kalziumgewinnung, fermentierte Fischabfälle, um Stickstoffdünger herzustellen. Agro-(Al-)Chemie in Alt Madlitz.

Forst und Forschung

Weil er mit seiner umfassenden Transformation des Betriebes Neuland betritt, gründete Bösel die Finck Stiftung, um den Umbau wissenschaftlich begleiten zu lassen und andere Betriebe beraten zu können. Mit mehreren Universitäten wie der Technischen Universität München oder der Universität Cottbus arbeitet er zusammen und erhält öffentliche Forschungsgelder. Auf vielen Feldern sieht man Messstationen, die die Ergebnisse der Transformation in Daten und Zahlen festhalten. Zusätzlich will die Finck Stiftung die Aus- und Weiterbildung sowie den Natur- und Umweltschutz fördern. Bösel ist ein überzeugter Ökoreformer, der weit über Alt Madlitz hinaus wirkt. Er plädiert dafür, das System der Agrarsubventionen in der EU zu verändern. Die Höhe der Subventionen soll von der Ackerfläche entkoppelt werden und sich stattdessen an einer Ökosystem-Analyse orientieren. , die Bodenwerte, ge und Klima berücksichtigt. „Damit werden Anreize für Landwirte geschaffen. Und: „Betriebe können heute für Umweltleistungen wie Kohlenstoffspeicherung und Biodiversität gut bezahlt werden“, ist Bösel überzeugt. Voraussetzung dafür ist allerdings die Einsicht in Berlin und Brüssel. „Die wird kommen“, Benedikt Bösel bleibt optimistisch. „Weil wir mit der Gesundheit des Bodens, der darauf wachsenden Pflanzen und lebenden Tiere, nicht nur unserer Gesundheit helfen, sondern auch der Gesundheit des gesamten Planeten. Welternährung, Klimaschutz kann man nicht unabhängig von Land und Landwirtschaft betrachten. „Wir haben keine andere Wahl!“